Saša Stanišić
Fragen an Sasa Stanisic
- Ihr Buch « Wie der Soldat das Grammofon repariert » erzählt vom Bosnien-Krieg. Ist für Sie schreiben eine Art Widerstand gegen schmerzvolle Erlebnisse?
Sasa Stanisic: Nein, eher eine Art Frage-Antwort-Spiel. Wir alle tragen mit und in uns eine Menge unbeantworteter Fragen, auch unerklärlicher Ereignisse und schlichtweg auch Unwissenheiten. Das Buch war für mich die Suche nach Antworten zu diesen Fragen, der Versuch unerklärliche Ereignisse mir selbst erklärbar zu machen und letzten Endes eine Art Eigenzwang, mich durch Recherche mit dem bosnischen Bürgerkrieg intensiv auseinanderzusetzen.
- Sie sind bosnischer Herkunft. Warum schreiben Sie auf Deutsch? Fühlen Sie sich jetzt als Deutscher?
Sasa Stanisic: Ich schreibe auf Deutsch, weil mir Deutsch leichter fällt, weil es schneller funktioniert und reichhaltiger im Wortschatz ist - lauter Elemente, die einem Autor die Arbeit erleichtern. Ich fühle mich nicht als Deutscher, aber auch nicht als Bosnier oder Schwede, ich wüsste gar nicht zu sagen, welche Gefühle man haben soll, um sich als zugehörig zu einer Nation zu fühlen. Nationen sind artifizielle Konstrukte wie Geld oder Jahreszeitenbeschreibungen, und auch wenn jegliche Gegenwehr umsonst ist, bleibe ich im naiven Glauben, dass Nationen nicht notwendig sind, nur Schwierigkeiten bereiten und zu der eigenen Identität nichts Wesentliches beitragen.
- Wie würden Sie die deutsche Sprache charakterisieren? Haben Sie sich schon mal ein deutsches Wort eingeprägt, weil es Ihnen besonders komisch vorkam?
Sasa Stanisic: Deutsch ist schon in Ordnung. Es hat sicher einen rauen Klang, aber es kann bisweilen genauso melodiös und weich daherkommen wie romanische Sprachen (wenn auch nur in romantischer Lyrik ...) Was das Deutsche interessant für mich macht, ist dessen Flexibilität und Mannigfaltigkeit, wenn es darum geht von gewöhnlichen Wortfolgen im Satz abzuweichen, neue Wörter zu bilden oder mit Phrasen zu arbeiten - und das Deutsche ist sehr reich an Phrasen und Redewendungen. Eine besondere Beziehung zu einem deutschen Wort habe ich nicht, bzw. es sind immer wieder neue Wörter, die mich beschäftigen - neulich habe ich mich lange über ein Dialektwort amüsiert - "pischeln".
- Wie stehen Sie zur bosnischen Sprache? Lässt sich ihr Einfluss im deutschen Text erkennen?
Sasa Stanisic: Wahrscheinlich schon - ich habe einige witzige Redewendungen 1 zu 1 übersetzt und hier und da habe ich auch versucht bestimmte strukturelle Eigenheiten des Bosnischen ins Deutsche zu übertragen, die man aber kaum bemerken wird, wenn man nicht beide Sprachen kann. Das Bosnische und überhaupt auch die anderen Dialekte aus dem ehemaligen Jugoslawien sind für mich emotionale Kategorien, ich höre sehr gern Musik vom Balkan und freue mich auch immer, wenn ich längere Zeit in meiner eigentlichen Muttersprache sprechen kann.
- Was ist für Sie Heimat? Wo ist Ihre Heimat?
Sasa Stanisic: Ich kann beide Fragen eigentlich mit einem Satz beantworten: Heimat ist dort am größten, wo das Glück am größten ist, und da Glück wandern kann, wandere auch ich ihm hinterher.
- Sind Ihrer Meinung nach Schriftsteller Erwachsene oder noch (große) Kinder, die Ihre kindliche Empfindsamkeit oder Neugierde behalten haben? Fühlen Sie sich als Erwachsener?
Sasa Stanisic: Wir alle sind große Kinder, wir alle spielen unsere Spiele, nur dass wir uns dabei weniger im Dreck wälzen als früher.
Pour citer cette ressource :
Saša Stanišić, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), décembre 2009. Consulté le 26/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/fiches-de-lecture/sasa-stanisic