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"Luftkrieg und Literatur" von Sebald - ein Versuch, das deutsche Gedächtnis zu bewegen

Par Jeanne Yapaudjian : Doctorante - Sorbonne Université et Goethe-Universität Frankfurt am Main
Publié par cferna02 le 24/02/2017

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Avec "Luftkrieg und Literatur", Sebald suit le projet révolutionnaire d'influencer l'histoire et la mémoire allemandes. Il rappelle les événements de la guerre aérienne de 39-45 et critique l'attitude des écrivains allemands d'après-guerre qui ont volontairement passé sous silence la destruction spectaculaire des villes allemandes. Pour ces écrivains, l'objectif était d'oublier un passé vécu comme traumatisant et d'encourager la reconstruction. Mais, selon Sebald, ce choix du silence a eu de graves conséquences pour les Allemands, en rendant impossible le travail de deuil, pourtant nécessaire, et en contribuant à faire des Allemands un peuple "qui ignore l'Histoire et dénué de toute tradition".


W. G. Sebald

Mit Luftkrieg und Literatur stellt Sebald ein revolutionäres Projekt vor: Er versucht, die deutsche Geschichte und das deutsche Gedächtnis zu bewegen. Er greift auf die Ereignisse des Luftkrieges während des Zweiten Weltkrieges zurück und kritisiert die Haltung der deutschen Nachkriegsliteraten, die sich in ihren Schriften geweigert haben, die Zerstörung der deutschen Städte zu thematisieren. Das Ziel dieser Schriftsteller war, die traumatische Vergangenheit zu vergessen und den Wiederaufbau zu fördern. Sebald zufolge hat aber das beabsichtigte Schweigen der Literaten gegenüber diesen traumatischen Ereignissen schwere Folgen für die Deutschen gehabt: Es hat nämlich zu einer Unmöglichkeit des Trauerns geführt und hat dazu beigetragen, aus den Deutschen ein „geschichtsblindes und traditionsloses“ (2001: 6) Volk zu machen. Anhand einer feinen Analyse, die die Perspektive des Historikers, des Philosophen und des Schriftstellers mischt, stellt Sebald diese These vor.

W.G. SEBALD, Luftkrieg und Literatur, Fischer Taschenbuch Verlag, 2001 (1999), 160 Seiten.
Les citations sont issues de l'ouvrage référencé ci-dessus, la page étant indiquée entre parenthèses dans le corps de l'article.

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Der deutsche Schrifsteller Sebald trägt erst 1997 seine Thesen zu Luftkrieg und Literatur an der Züricher Universität vor. Diese wurden als unerhört betrachtet. Er denunziert die Haltung der meisten deutschen Schrifsteller der Nachkriegszeit, die über die Folgen des Luftkrieges – die Zerstörung der Städte und das Trauma der zivilen Bevölkerung – geschwiegen hatten. Sebald redet von der „Unfähigkeit einer ganzen Generation deutscher Autoren, das, was sie gesehen hatten, aufzuzeichnen und einzubringen in unser Gedächtnis“ (7). Eigentlich haben sie sich mehr oder weniger bewusst selbst zensiert: Ein Selbstanästhesieren, was die Ereignisse des Luftkrieges betrifft, ist nämlich in der Literatur der Nachkriegszeit oft zu beobachten. Der Grund dafür ist der Lebenswille: Ihre Schriften sind vollkommen auf die Zukunft gerichtet, auf den Wiederaufbau, was den Blick nach hinten und jegliche Trauer verhindert. Die Hauptfolge dieser Verweigerung des Blicks nach hinten ist der Verlust der deutschen Identität: Sebald schreibt nämlich „Trotz der angestrengten Bemühung um die sogenannte Bewältigung der Vergangenheit scheint es mir, als seien wir Deutsche heute ein auffallend geschichtsblindes und traditionsloses Volk“ (6).

Da er also denkt, dass es den Literaten nicht gelungen ist, die Schrecken des Luftkrieges durch historische oder literarische Darstellungen zu schildern, ist sein Projekt das folgende: Er will analysieren, was die Zerstörung der deutschen Städte für die Deutschen wirklich bedeutet hat und warum sie eine kollektive, bewusste Amnesie bei den Deutschen hervorgerufen hat. Er will also das deutsche Gedächtnis bewegen. Das macht er in seinem dreiteiligen Essay anhand Dokumente verschiedenster Arten (Presseartikel, Bilder, wissenschaftliche Berichte, Briefe, Auszüge aus Büchern), die seiner Argumentation dienen.

In der folgenden Analyse wird untersucht, inwiefern Sebald die Lähmung der deutschen Schrifsteller der Nachkriegsliteratur gegenüber dem Luftkrieg kritisiert, und wie er versucht, eine Wahrheit in der Geschichte zu finden, indem er eine gemischte Perspektive annimmt, die den Standpunkt des Historikers durch die Anwesenheit von vielfältigen Quellen, den Standpunkt des Philosophen durch scharfsinnige Analysen und den des Schriftstellers durch Erinnerungen an die Kindheit und die Verwendung einer lyrischen Sprache miteinander verbindet.

Zunächst wird die Kritik von Sebald an den Nachkriegsliteraten und an ihrer beabsichtigten Amnäsie gegenüber den Ereignissen des Luftkrieges untersucht (I). Dann wird analysiert, inwiefern Sebald – auf der Suche nach der historischen Wahrheit – zu einer neuen Sicht der deutschen Geschichte aufruft, anhand Quellen, die auf die Wirklichkeit der Zerstörung hinweisen (II). Schließlich wird der Akzent auf die Poetik des Buches gelegt: Die Sicht und die Schreibweise eines Schrifstellers (III).

I. Die Kritik von Sebald an den deutschen Nachkriegsliteraten und an ihrer beabsichtigten Amnäsie gegenüber den Ereignissen des Luftkrieges

Die Zerstörungskraft des Luftkrieges hat also dazu geführt, dass die deutschen Literaten das wirkliche Ausmaß der Zerstörungen wie selbstbewusst verhüllt haben, sie haben über die reellen Fakten geschwiegen.

Der Luftkrieg hat nämlich die ganze Vernichtung und Einäscherung von großen Teilen von Städten zur Folge gehabt, besonders Städte wie Hamburg oder Dresden, von deren Zerstörung ständig die Rede ist, aber auch von Landschaften. Die Engländer und die Amerikaner sind die Hauptakteure dieser Bombardierungen. Sebald betont das Trauma des Luftkrieges für die Bevölkerung auf folgende Weise: Es handelt sich um eine „von Millionen gemachte Erfahrung einer nationalen Erniedrigung sondergleichen“ (6).

Was Sebald stark aufgefallen ist, ist die Passivität der Deutschen gegenüber der Zerstörung ihrer Städte. Den Berichten in der Literatur nach scheint das Ausmaß dieser Vernichtung kaum eine schmerzhafte Spur im kollektiven Bewusstsein der Leute hinterlassen zu haben. Aus reiner Panik beschlieβen die Leute so zu tun, als ob nichts passiert wäre. Ein Recht zu schweigen, das für viele unantastbar zu sein scheint, wird beansprucht, sowohl in den Familiengesprächen als auch in der Geschichtsschreibung. Die Mehrheit der Deutschen zwingt sich nämlich dazu, in die Zukunft zu blicken, was die Trauer verhindert und zu einer „Liquidierung der eigenen Vorgeschichte“ (16) führt. Ein Beispiel für diese Passivität wird im Buch mit dem Bericht des Journalisten Stig Dagerman für die Zeitung Expressen genannt. Er schreibt aus Hamburg,

dass er mit der Bahn bei normaler Geschwindigkeit eine Viertelstunde lang durch die Mondlandschaft zwischen Hasselbrook und Landwehr gefahren sei, und nicht einen einzigen Menschen in dieser ungeheuren Wildmark, dem vielleicht schauerlichsten Ruinenfeld in ganz Europa, gesehen habe. Der Zug sei [...] sehr voll gewesen, doch habe keiner hingeschaut. Und ihn selber habe man, weil er hinausschaute, als einen Fremden erkannt. (37-38)

Die Spärlichkeit der Kommentare über die Luftangriffe hat zur Folge, dass sie zum Gegenstand einer „unausgeprochene[n] Tabuisierung“ (38) werden.

Diese Passivität der Leute ist Sebald nach vor allem auf das Schweigen der meisten Schrifsteller der Nachkriegszeit zurückzuführen. Er prangert sie deutlich an:

Für die überwiegende Mehrzahl der während des dritten Reichs in Deutschland gebliebenen Literaten war die Redefinition ihres Selbstverständnisses nach 1945 ein dringlicheres Geschäft als die Darstellung der realen Verhältnisse, die sie umgaben. (7).

Die Trümmerliteratur wirkt wie eine bewusste Selbstzensur auf das, was wirklich geschehen ist. Sie ist „ein Instrument zur Verschleierung einer auf keinen Begriff mehr zu bringenden Welt“ (17). Diese Sebstanästhesierung ist laut Sebald ein Skandal.

Diese Zensur ist auch in der Sprache selbst zu sehen, nämlich im Wortschatz, der den Krieg bezeichnet: Er wird oft mit einschlägigen Formulierungen gekennzeichnet: „ein Raub der Flammen“ (32), eine „verhängnisvolle Nacht“ (ibid.), „das furchtbare Schicksal der deutschen Städte“ (ibid.). Diese stereotypen Ausdrücke haben zur Folge, dass die Erlebnisse verdeckt werden. Keine Worte wurden erfunden, um den Ausmaß der Katastrophe zu bezeichnen. Sebald betont es so: „Das anscheinend unbeschadete Weiterfunktionieren der Normalsprache in den meisten Augenzeugenberichten ruft Zweifel herauf an der Authentizität der in ihnen aufgehobenen Erfahrung“ (ibid.).

In Sebalds Augen bringt also das Problem der Selbstzensur der Nachkriegsliteraten gegenüber dem Luftkrieg einerseits das Verschwinden der Geschichte, aber andererseits auch das Trauma eines Erlebnisses mit sich, um das nicht getrauert wurde. Er will die Wahrheit der deutschen Geschichte aufdecken.

II. Auf der Suche nach der historischen Wahrheit: der Versuch von Sebald die deutsche Geschichte neuzusehen

In diesem Teil wird untersucht, welche Lösungen Sebald im Text findet, um zu versuchen, das deutsche Gedächtnis zu bewegen. Die große Kraft des Textes ist die Nebeneinanderstellung von vielfältigen Quellen – die die Zerstörung der Luftangriffe betonen – und die so der Hauptthese von Sebald Macht verleihen. Auf der Suche nach der historischen Wahrheit konfrontiert Sebald viele Quellen miteinander (Berichte von Journalisten, Briefe, Fotografien, wissenschaftliche Beiträge) anhand einer scharfsinnigen Analyse. In dieser Hinsicht scheint seine Arbeit im Knotenpunkt des Historikers und des Philosophen zu stehen. Einige dieser Quellen werden analysiert, damit diese Vielfalt sichtbar wird.

Sebald benutzt zunächst Berichte von Journalisten, um seiner These Macht zu verleihen. Er zitiert zum Beispiel den englischen Journalisten Victor Gollancz, der in seinen Artikeln „detaillierte Angaben über Ernährungsdefizienz, Mangelerscheinungen, Hungerödeme, Auszehrung, Hautinfektionen und das rapide Ansteigen der Zahl der Tuberkulosekranken“ (45) macht. Der Journalist betont die große Lethargie der Leute „people drift about with such lassitude that you are always in danger of running them down when you happen to be in a car“ (45-46). Die zerstörten Leiber werden schonungslos beschrieben. Der Journalist versucht über die Wirklichkeit der Zerstörungen zu berichten.

Auch literarische Quellen werden verwendet. Sebald ist sich dessen bewusst, dass einige Schriftsteller versucht haben, die Wahrheit über die Zerstörungen zu sagen – im Gegensatz zu den meisten Trümmerschrifstellern. Als Verfechter dieser Literatur der Wahrheit zitiert Sebald besonders Heinrich Böll, Hermann Kasack, Hans Erich Nossack oder auch Peter de Mendelssohn. Sebald erinnert an ein Zitat von Böll in dessen Buch Der Engel schwieg, in dem er Leute beschreibt, die aus den Hügeln gewachsen scheinen „unsichtbar, unhörbar... aus dieser Ebene des Nichts... Gepenster, deren Weg und Ziel nicht zu erkennen war: Gestalten mit Paketen und Säcken, Kartons und Kisten“ (44). Er zitiert auch Hermann Kasack in dessen Buch Die Stadt hinter dem Strom: „Von den Häusern der umliegenden Straßenzeilen ragten nur die Fassaden auf, so daß man im schrägen Aufblick durch die kahlen Fensterreihen die Fläche des Himmels sehen konnte“ (53-54). Die schonungslose Darstellung der Erlebnisse des Luftkrieges ist also das Ideal der Literatur für diese Nachkriegsliteraten.

Die Quelle von wissenschaftlichen Beiträgen wird ebenfalls von Sebald in Betracht gezogen. Der Schriftsteller unterstreicht die Rolle der Erinnerungen des Psychologen Dr. Hans Joachim Schröder, der 1992 an Sebald schreibt, dass „die Erinnerung an den Luftkrieg nicht so tot sei“, und dass „einer der zentralen Probleme sogenannter Erlebnisberichte ist das ihres inhärenten Ungenügens, ihrer notorischen Unverlässigkeit und eigenartigen Leere, ihrer Neigung zum Vorgeprägten, zur Wiederholung des Immergleichen“ (86).

Briefe sind eine andere Quelle im Buch: Einige zeigen, dass die Deutschen langfristig von den Luftangriffen betroffen waren: Laut Sebald sind im Bewußtsein der Schreibenden heute noch Spuren von Beunruhigung und Verstörung zu sehen. Er gibt das Beispiel einer „Dame aus Wiesbaden, die berichtet, daß sie als Kind während der Luftangriffe immer besonders still war, schreibt von der panischen Angst, mit der sie später auf das Klingeln der Weckeruhr, das Kreischen von Kreissägen, Gewitterstürme und Silverstergeknalle reagierte“ (90).

Er beruft sich außerdem noch auf andere Quellen wie Anspielungen auf Filme und Fotografien (12, 13, 14, 15, 29...).

Diese Vielfalt von Quellen, die alle das Ausmaß der Zerstörung betonen, weist auf den Willen von Sebald hin, das Gedächtnis zu bewegen, und die Wahrheit der Geschichte neu zu entdecken. Das macht er aber auf die Art und Weise eines Schrifstellers.

III. Eine herrschende lyrische Stimme

Hinter der harten Denunzierung der Passivität der Schrifsteller der Nachkriegsliteratur und dem Versuch, das deutsche Gedächtnis zu bewegen, ist die lyrische Stimme eines Schrifstellers zu hören. Diese Poetik kommt durch verschiedene Merkmale zum Ausdruck.

Zunächst besteht das Buch nicht nur aus einem Zusammentragen von äußeren Quellen, Dokumenten, sondern auch aus persönlichen Erinnerungen Sebalds an seine Kindheit. Eine wahre Poetik der Erinnerung entfaltet sich also im Text. Sebald hat selbst die Luftangriffe nicht erlebt (er ist 1944 in einer verschonten Provinz in den Alpen aufgewachsen). Er fühlt sich dennoch davon persönlich betroffen – vor allem wegen der Überreste, die er als Kind vor Augen hatte. Er hat den Eindruck, dass er selbst aus diesen Trümmern kommt,

dennoch ist es mir bis heute, wenn ich Fotographien oder dokumentarische Filme aus dem Krieg sehe, als stammte ich, sozusagen, von ihm ab und als fiele von dorther, von diesen von mir gar nicht erlebten Schrecknissen, ein Schatten auf mich, unter dem ich nie ganz herauskommen werde. (77)

Es sind tiefe Erinnerungen aus der Kindheit, Bilder von zerstörten Landschaften, die sich in seinem Gedächtnis eingeprägt haben, die Sebald dazu geführt haben, sich Fragen über die Folgen der Zerstörung zu stellen. Die Beschreibung dieser Erinnerungen sind sehr bildhaft und bringen den Leser dazu, sich in die zerstörten Städte hineinzuversetzen. Er erinnert sich zum Beispiel an den Sackbahnhof von Sauthofen (Stadt, die bombadiert wurde). Die Ruine des Bahnhofs wurde nach dem Krieg als Musikraum benutzt. Sebald gibt davon eine sehr bildhafte und pittoreske Beschreibung: „Besonders im Winter war es seltsam zu sehen, wie da in dem einzigen erleuchteten Raum dieses ruinierten Hauses die Schüler mit den Bögen über ihre Bratschen und Celli scharrten, als säßen sie auf einem in die Finsternis davontreibenden Floß“ (82). Andere tiefe Erinnerungen aus der Kindheit werden im Buch beschrieben. Durch bildhafte Beschreibungen zeigen sie deutlich den poetischen Geist von Sebald.

Dann zeigt die Tatsache, dass die Fotografien nicht nur als Erinnerungsmedium sondern auch als Kunstwerk benutzt werden, dass hier ein Schriftsteller und nicht nur ein Historiker schreibt: In den Büchern von Sebald dienen die Bilder nicht dazu, den Text einfach zu illustrieren – sie tragen keine Bildunterschrift -, sondern Text und Fotografien schreiben sich gegenseitig weiter, durch die Prinzipien der Spiegelung, der Analogie und der Komplementärbildung. Der Einsatz von Bildern unterbricht den Lesefluss und verweist auf die Darstellungsmöglichkeiten von Bild und Schrift. Alle gewählten Bilder haben eine große Kraft, in dieser Hinsicht, dass sie den Leser schockieren (Sichte von Hamburg zerstört (12), oder von der Beschädigung eines Schuhs (45). Die Tatsache, dass sie ohne jegliche Erklärung da stehen und dass sie von so verschiedener Art sind (Großaufnahme von Schuhen/ Fernblick einer Stadt) verleiht dem Text eine wahre dichterische Kraft.

Ein drittes Merkmal, das die poetische Arbeit Sebalds deutlich enthüllt, ist, dass er in Luftkrieg und Literatur das Bild (von einem Zeitzeugen) eines Bombenangriffes auf poetische Weise beschreibt. Er stellt fest, dass fast keine Schrifsteller die Angriffe als sensorielles Erlebnis, als Schönheit beschrieben haben. Der Bericht von Harald Hollenstein, der den Untergang vom Hamburger Hafen am Ende des Textes beschreibt, zeigt es klar:

Fasziniert sah ich dem Farbenspiel zu, in das Gelb und Rot der Flammen, die sich auf dem Hintergrund des dunklen Nachthimmels vermischten und wieder trennten. Noch nie sah ich, auch später nicht, ein so sauberes, leuchtendes Gelb, ein so pralles Rot, ein so strahlendes Orange... Heute, 55 Jahre später, denke ich, dieser Anblick war für mich das eindrücklichste Erlebnis des ganzen Krieges. Ich stand minutenlang auf der Straße und blickte in diese Farbensymphonie, die sich langsam veränderte. Nie habe ich später, auch bei keinem Maler, solche satten, leuchtenden Farben mehr gesehen. Und wäre ich selber Maler geworden... ein Leben lang wohl hätte ich nach diesen reinen Farben suchen müssen. (91-92).

Durch diese verschiedenen poetischen Merkmale – aber auch durch eine feinfühlige Schreibweise – unterscheidet sich Luftkrieg und Literatur von einem rein historischen oder philosophischen Bericht: Es handelt sich zweifellos auch um ein literarisches Kunstwerk.

Zum Schluss kann man hervorheben, dass dieses Buch einen Schock in ganz Deutschland und Europa hervorgerufen hat. Die vorgestellten Thesen waren nämlich unerhört und tief bewegend: Die Ideen Sebalds wurden oft heftig kritisiert. Er prangert das Schweigen der Trümmerschriftsteller, die sich selbstzensiert haben, an, was zum Trauma einer ganzen Generation geführt hat. Er will also das deutsche Gedächtnis bewegen, weil er denkt, dass die Literatur die Aufgabe hat, der Wahrheit in der Geschichte Ausdruck zu vermitteln. Dieses meisterhafte Werk wurde mit der Scharfsinnigkeit des Philosophen, der Präzision des Historikers und dem Stil des Schrifstellers geschrieben.

 

Pour citer cette ressource :

Jeanne Yapaudjian, "Luftkrieg und Literatur" von Sebald - ein Versuch, das deutsche Gedächtnis zu bewegen, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), février 2017. Consulté le 30/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/mouvements-et-genres-litteraires/nachkriegsliteratur/luftkrieg-und-literatur-von-sebald-ein-versuch-das-deutsche-gedachtnis-zu-bewegen