"Die Verlängerung der Straße": Poetik und Praxis der Stadt
Nach einem Studium der Romanistik, Philosophie und Germanistik an der Goethe-Universität Frankfurt und diversen Forschungsaufenthalten in Frankreich promovierte Frank Estelmann über den französischen Ägyptenreisebericht. Zwei aktuelle Forschungsprojekte können hervorgehoben werden: Zum einen seine Beschäftigung mit der literarischen Verarbeitung des Ersten Weltkriegs aus einer deutsch-französischen Perspektive, und in diesem Kontext seine enge Zusammenarbeit mit dem Institut franco-allemand de sciences historiques et sociales (IFRA/SHS), und zum anderen sein Engagement im gemeinsamen Forschungsprojekt zwischen der ENS de Lyon und der Universität Frankfurt über Praktiken des städtischen Raums.
Résumé de la vidéo
I. Der "Wandersmann"
a. Einleitung von Lea Herrmann
b. Einleitung von Frank Estelmann auf Französisch
Im letzten Teil des Vortrags wird auf den Roman von Emine Sevgi Özdamar Die Brücke vom goldenen Horn eingegangen. Es handelt sich um einen Text über eine Stadt, die sich "Berlistan" nennen könnte, in der nämlich zwei Großstädte zusammenfließen, Berlin und Istanbul. Der Roman schildert die Pendelmigrationen der Protagonistin, wobei die zwei Metropolen in Zusammenhang gebracht werden.
c. Wichtigkeit der Grenzen der Stadt.
Die Stadt kann funktional als Struktur der Grenzen oder Grenzziehung beschrieben werden. "Structure of limits". Horizontale und vertikale Grenzen.
Die Stadt in ihren Grenzen kann als die Interaktion zwischen auf einer Seite einem System und auf der anderen Seite einem Gebrauch der Stadt dargestellt werden. Siehe Zitat von Michel de Certeau.
d. Vergleich mit der Sprechakttheorie "Speechact-Theorie" (Siehe Slide 3).
e. Für de Certaud sind die urbanen Praktiken der Erwanderung der Stadt an die konkrete Figur des Wandersmanns geknüpft.
f. Symbolik des World Trade Centers.
Der Wandersmann ist auch Co-Autor der Stadt und nicht bloß ihr Leser. Es handelt sich um einen aktiven Rezeptionsprozess.
II. Flüchtigkeit und Poetik urbaner Kulturen
a. Stadkulturen sind ephemerisch, provisorisch, flüchtig (Jürgen Hasse, Der Leib der Stadt, 2015).
b. Gegenüberstellung von Urbs (City) und Civitas bei Richard Sennett (Slide 7)
Städte produzieren sowohl Differenz als auch Indifferenz.
c. Bindung von Urbanität an das Polis-Modell.
Wille zu Kosmopolitismus, Transkulturalität und Demokratisierung.
d. Analogie zwischen Stadt und Erzählung, Stadt und Text ist gängig.
Barthes, Butor...
III. Der objektive Pol der Stadtpoetik
a. Beschreibung der Stadt als Ort, Karte (lieu) / Beschreibung der Stadt als beweglicher Raum (espace)
b. Literatur blickt nicht nur auf die Stadt, sie ist auch ein Teil der Stadtkultur, Institution.
Zum Beispiel Instrument der Tourismusförderung (Dan Brown).
c. (Slide 12) Das Urbane nicht als etwas schon stets Vorgefundenes, sondern als Teil der "urbanen Transformation".
"Externe Emigration des Städters": Wahrnehmung von Differenz und Andersheit, die die eigene Unvollständigkeit akzeptiert.
IV. "Die Verlängerung der Straße" in Emine Sevgi Özdamars Die Brücke vom goldenen Horn (1998)
a. Neue Tendenzen in der deutschen Gegenwartsliteratur nach der Wende und nach der Wiedervereinigung (Thomas Ernst)
b. Mode der Berlin-Romane seit Mitte der 90er Jahre.
Zusammenfassung des Romans.
Ost- und Westberlin werden mit den zwei Seiten Istanbuls, der europäischen und der asiatischen, vernetzt.
Der Fokus wird auf widerständige Orte gelegt, in denen die Gesellschaft gleichzeitig repräsentiert und kritisch kommentiert wird. Heterotopie-Konzept von Foucault.
Stadt "als endloses Gebäude".
Kein faktographischer Emigrantenroman mit Ziel Deutschland und Ursprung Türkei, sondern Erzählung der Singularität und der individuellen Praxis des Städtischen.
c. Andere Besonderheit: die "interkulturelle Theatralität". (Slide 16 und 17)
Roman ist die artifizielle theatrale Inszenierung biographischen und zeitgeschichtlichen Materials.
Auch klar markierte Sprachrollen, zum Beispiel beim kreativen Prozess des Fremsprachenerwerbs. Erlernen der deutschen Sprache gleicht dem Lernen eines Rollentextes.
Anfangs ist die Protagonistin die bloße Zuschauerin der zur Leinwand gewordenen Stadt (Slide 20). Dann immer mehr aktive Teilnahme am städtischen Leben, Mitschrift des städtischen Skripts.
d. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Literatur als urbane Praxis des Gehens dargestellt wird (Slide 22).
Die Stadt dient als offene Bühne zur Erzählung von Bewegungen, Migrationen, Reisen und Mobilitäten. Und die Protagonistin veräußert sich an das Schauspiel der Stadt.
Die Differenzen der Städte, der Kulturen beschreiben, ohne sich selbst oder die anderen einzukapseln.
Siehe die PowerPoint-Präsentation von Frank Estelmann, mit dessen freundlicher Genehmigung
Pour citer cette ressource :
Frank Estelmann, ""Die Verlängerung der Straße": Poetik und Praxis der Stadt", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mars 2018. Consulté le 05/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/die-verlangerung-der-strasse-poetik-und-praxis-der-stadt