Judith Zander
Am 4.06.2012 las Judith Zander aus dem Gedichtband oder tau. (2011) und aus dem Roman Dinge, die wir heute sagten (2010) im Goethe-Institut Lyon vor.
Dinge, die wir heute sagten (2010)
Als ihre Mutter Anna stirbt, kommt Ingrid mit ihrer Familie aus Irland zur Beerdigung nach Bresekow, ein abgelegenes Dorf in Vorpommern, wo es "klatscht und tratscht und meckert und schuftet und lungert […] wie ehedem" (S. 7-8). Heimatliche Gefühle empfindet Ingrid keine, denn die Zeit reißt alte Wunden wieder auf. Mit der Rückkehr Ingrids in ihr Heimatdorf kommen den Menschen in Bresekow längst vergessen geglaubte Geschichten wieder in den Sinn. Einige beginnen, sich an Ingrids Flucht in den Westen zu erinnern.
Aus der Perspektive neun Protagonisten heraus erzählt Judith Zander von komplexen Menschenbeziehungen in einem Dorf der ehemaligen DDR. Geheimes und Verschwiegenes tritt langsam ans Licht und klärt sich allmählich durch die Kombination der einzelnen Aussagen und Selbstgesprächen. Neben den Perspektivwechseln machen treffende Bilder, messerscharfe Beobachtungen und Sprachspiele den besonderen Reiz des Romans aus und lassen deutlich eine talentierte Lyrikerin erkennen.
Aufsehen hat Judith Zander mit ihrem ersten Roman Dinge, die wir heute sagten schon erregt: Sie hat den 3sat-Publikumspreis gewonnen und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2010.
https://video.ens-lyon.fr/eduscol-cdl/2012/2012-06-04_ALL_Zander.mp4
Aus Dinge, die wir heute sagten wurden folgende Textstellen gelesen:
Auszug 1 (Seiten 32-36): Ingrid bei der Beerdigung ihrer Mutter
"Die meisten hast du erkannt, schon am Gang, an den verschämten Flüsterstimmen, als sie in die Kirche gestolpert kamen, an den Händen und den gehegten Beerdigungsjacken, als sie wie kopflose Puppen auf einem altersschwachen Fließband an dir vorbeiruckten und kurz ihre rauhe Hand in deine kalte legten…" (S. 32)
Auszug 2 (Seiten 211-217) : das Wiedersehen mit Peter, Ingrids Stiefbruder
Die Schwierigkeit, sich wieder zu erkennen.
"Es ließ sich doch nicht so tun als ob, nämlich als ob nichts, es ließ sich doch nicht das Jahr Dreiundsiebzig an das Jahr Neunundneunzig Kante an Kante anlegen, und alles dazwischen verschwände in der Dunkelheit einer überdimensionalen Kellerfalte, eine Kalenderreform sondergleichen." (S. 115-116)
Auszug 3 (Seiten 22-25) : das Kennenlernen der Jugendlichen
Paul ist Ingrids Sohn. Romy, ein Mädchen aus Bresekow, lernt ihn, den "Iren", auf der Schulfahrt kennen.
"Der Schulbus fährt den geballten Lärm übers Land. Er ist nichts anderes als ein Stahltopf, in dem konzentrierte Lärmsuppe schwappt, und jedes Dorf, jedes erbärmliche Kacknest kriegt seine lärmdampfende Ration zugeteilt, eine Kelle voll an den Straßenrand."
Auszug 4 (Seiten 72-80) : Ellas Eltern Leidenschaft für die Beatles
"Waren die größten Beatles-Fans im ganzen Bezirk Neubrandenburg, und da auch noch stolz rauf. Weiß der Fuchs, wie die an das Zeug gekommen sind, ohne Westverwandtschaft, jedenfalls offiziell. Schön bescheuert mit sonem Hobby dann Lehrer zu werden, und noch gleich beide!" (S. 75)
Pour citer cette ressource :
Marie-Laure Durand, Judith Zander, Judith Zander, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), octobre 2012. Consulté le 07/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/entretiens/judith-zander