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"Wer spricht?" Über Tempora, Pronomina und Grenzverwischungen in Christa Wolfs "Kein Ort. Nirgends"

Par Emmanuelle Prak-Derrington : Maître de Conférences - ENS de Lyon
Publié par MDURAN02 le 06/03/2008

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Christa Wolfs Bücher gehören zu den meistgelesenen Werken deutscher Schriftsteller im Ausland. Ihre Werke rufen bei dem Leser entweder ungeteilte Zustimmung oder auch heftige Ablehnung hervor. In diesem Aufsatz wird untersucht, warum ihre Prosa, die oft als « Bekenntnisdichtung » beschrieben wird, auch eine « stellvertretende » Dichtung ist - eine Dichtung, die neben den Stimmen der Figuren immer die Stimme des Lesers mit einbezieht. In ((Kein Ort. Nirgends )) werden nämlich die Grenzen zwischen der Frühromantik und der DDR, zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion, zwischen Autorin und Leser, kunstvoll verwischt. Wann sagt wer wem was? Wer spricht? Die Mehrdeutigkeit des Lesepakts, der Gebrauch des Präsens, der Pronominalwechsel, schließlich der Gebrauch des deiktischen WIR werden untersucht, als die wichtigsten linguistischen Mittel, die zu diesen Grenzverwischungen beitragen. Gezeigt wird, wie diese Mittel erlauben, die damalige Zensur zu umgehen und die Kritik an den Verhältnissen in der DDR zu verschleiern.

Ich will mich mit der Sprecher-Leser-Beziehung in einem Text von Christa Wolf beschäftigen, Kein Ort. Nirgends (KON), der 1979 erschien. Die Prosa der ostdeutschen Autorin wird allgemein als schwer zugängliche, anspruchsvolle Prosa anerkannt, die den Leser herausfordert und seinen völligen Einsatz verlangt. Und doch gehören ihre Bücher zu den meist gelesenen Werken deutscher Schriftsteller im Ausland. Heißt das, daß der Durchschnittsleser heute schwierige Texte bevorzugt? Vielleicht. Eins steht aber für den Sprachwissenschaftler fest: In ihrer Prosa kommt der Beziehung Sprecher-Leser besondere Bedeutung, besondere Wichtigkeit zu. Christa Wolf versteht es, sich und auch den Leser in ihre Texte so einzubeziehen, dass aus dem Geschriebenen bei dem Leser entweder ungeteilte Zustimmung oder auch heftige Ablehnung hervorgerufen werden.

Ich möchte hier eine linguistische Beschreibung und Erklärung dieses Phänomens vorschlagen, d.h. eine Antwort auf folgende Fragen geben:

- Worin liegt die besondere Schwierigkeit dieser Prosa?
- Warum fühlt sich der Leser aufgefordert, Stellung zu dem Geschriebenen zu nehmen?

Beide Fragen ergeben sich eigentlich aus einer dritten, sie subsumierenden Frage: Wer spricht? - und diese Frage, die wir uns beim Lesen stellen, ist ja auch der Rahmen, den Christa Wolf ihrer Erzählung gibt: Denn diese Frage wird im Buch zweimal gestellt: gleich am Anfang, und dann kurz vor dem Ende, und erhält somit einen programmatischen Wert.
In meiner Untersuchung werde ich mich vor allem auf Christa Wolfs Gebrauch der Tempora und Pronomina stützen: Pronomina und Tempora sind nämlich als die wichtigsten textstrukturierenden Formen anzusehen. Und gerade diese textkonstituierende Funktion der Pronomina und der Tempora kann einem erlauben,  einen Einblick in das komplexe Aussagennetz KON zu gewinnen.

Auf die Frage, inwiefern Christa Wolf in KON neue Spielregeln für den Leser einsetzt, und inwiefern sie von seinen Erwartungen abweicht, kann man nur antworten, wenn man sich der Konventionen der Fiktion bewusst ist. Ich will also zunächst die für meinen Vortrag wichtigsten Konventionen der Fiktion beschreiben.

1. Polyphonie und Lesepakt in fiktionalen Texten

1. 1. Epische Fiktion und Polyphonie

Jeder Gymnasiast weiß heute zwischen dem Autor und dem Erzähler zu unterscheiden. Käte Friedemanns Definition der Epik ("Die Rolle des Erzählers in der Epik", Berlin 1910, in Klotz 1965 wieder aufgenommen) und Wolfgang Kaysers Reflexionen über die Natur des Erzählers im Roman ("Wer erzählt den Roman?", in Zur Poetik des Romans, München 1965) sind in die Schulbücher eingegangen und gehören damit zum allgemeinen wissenschaftlichen Bildungsgut. In Frankreich haben, ungefähr um die gleiche Zeit, Genettes Arbeiten diese Begriffe bekannt gemacht. Und mit Genette erhielt auch der Leser eine ähnliche Aufteilung in "narrataire" und "lecteur", die auf Seiten des Rezipienten genau derjenigen des "auteur / narrateur" entspricht.

Ducrots Theorie der Polyphonie, im Deutschen "Redevielfalt", die sich an Bachtins Werk anlehnt, arbeitet an dem Begriff der Nicht-Einheitlichkeit des Sprechers. Ducrots Unterscheidung zwischen dem sprechendem Subjekt und dem Sprecher (sujet parlant vs locuteur) entspricht genau derjenigen des Autors/Erzählers. Ducrot dehnt die Vielfalt des Sprechers über die Grenzen der Literatur hinaus auf die alltägliche Sprache aus :

Cette théorie [de Genette] fait apparaître dans le récit deux types d'instances narratives, correspondant à de nombreux égards à ce que j'ai, dans l'étude du langage ordinaire, étiqueté "locuteur" et "énonciateur". Le correspondant du locuteur, c'est le narrateur, que Genette oppose à l'auteur de la même façon que j'oppose le locuteur au sujet parlant empirique. [...] A l'énonciateur également je peux faire correspondre un des rôles proposés par Genette. Je le mettrai en parallèle avec ce que Genette appelle quelquefois "centre de perspective" (le sujet de conscience des auteurs américains).
(Ducrot 1984: 207-208)

Das Prinzip der Nicht-Einheitlichkeit des Sprechers in der Alltagssprache können wir in Zitaten, aber auch in der Redewiedergabe, in ironischen Äußerungen, in Appositionen feststellen (s. Pérennec, 1994). Jedoch kann dieses Prinzip nicht als allgemeingültig betrachtet werden. In der Alltagssprache können sich die Stimmen des sprechenden Subjekts (d.h. des îkonkreten, empirischen Wesens) und des Sprechers (= des für das Gesagte Verantwortlichen) voneinander unterscheiden, aber es ist keine Notwendigkeit. Dagegen hebt sich der epische Text ab: die Nicht-Identität vom Erzähler und Autor ist nicht nur möglich, sondern notwendig, denn sie fungiert als Gattungsmerkmal der Fiktion. Wird diese Nicht-Identität aufgehoben, kann man dann nicht mehr von Fiktion sprechen, weil diese Aufteilung genau das ist, was die Fiktion ausmacht, oder anders ausgedrückt, was den Lesepakt bestimmt.

1. 2. Der Begriff des Lesepakts

Früher glaubte man, dass die Pronomina die literarische Gattung bestimmten: Erzählt wurde in der Er-Form und zumal im Präteritum, während das Ich nur autobiographisch sein konnte. Philippe Lejeune, der sich intensiv mit Autobiographie befasst (1975 und 1980) hat auf die notwendige Trennung zwischen Person und Pronomen aufmerksam gemacht.

Um einen Text als fiktiven Text zu erkennen, ist nicht der Gebrauch der Pronomina der ersten oder der dritten Person entscheidend, sondern die Anwesenheit textexterner Merkmale, die der Leser durch sein Alltagswissen zu entziffern weiß: Zu diesen Merkmalen gehören z. B. der Name des Autors, des Verlags, die Gattungsbezeichnung auf der Titelseite, der Umfang des Buches usw.: Man erwartet nicht von einem Autor wie Johannes Mario Simmel, dass er eine wissenschaftliche Arbeit abliefert, und im Gegenteil wird man von einem Buch, das im Verlag UTB für Wissenschaft erschienen ist, nicht anderes als eine wissenschaftliche Studie erwarten können. Diese textexternen Kriterien, die dem Leser erlauben, den Text einer bestimmten Gattung oder Textsorte zuzuordnen, nennt Philippe Lejeune "le pacte de lecture" - den Lesepakt.

Nicht das Pronomen, sondern der Lesepakt bestimmt den Erwartungshorizont des Lesers. Im Falle der Autobiographie: die Namensidentität zwischen Autor/ Erzähler/ Figur.

"Si je me mets à ma table pour écrire cette étude, et que j'écrive : «Il se mit à table pour écrire...», le sens de cette phrase dépendra avant tout du contrat de lecture que je proposerai à mon lecteur. C'est ce contrat qui définira le genre (avec les attitudes de lecture qu'il implique) et qui établira, éventuellement, les relations d'identité qui commandent le déchiffrement des pronoms personnels et celui de l'énonciation. Il en serait de même si j'écrivais : «Je viens de me mettre à ma table pour écrire.». Ce contrat qui informe la lecture, c'est lui qui guide déjà l'écriture (même s'il peut arriver qu'entre l'écriture et la publication, je change de contrat). Je peux choisir par exemple : la fiction, dont la lecture est indépendante de ce que le lecteur sait de l'auteur ; la fiction autobiographique, où le lecteur est convié à une lecture ambiguë ; l'autobiographie, où lecture référentielle et attitude de communication se combinent." (Lejeune 1980: 33)

Was geschieht in KON mit dieser Aufteilung des Sprechers in Autor-Erzähler, die ja auch die Grenze zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion zieht?

Welchen Lesepakt schlägt Christa Wolf in Kein Ort. Nirgends ihren Lesern vor?

2. Kein Ort . Nirgends oder die Inszenierung neuer Spielregeln in der Fiktion

2. 1. Kein Ort. Nirgends als eine "Erzählung" ohne Geschichte

In Kein Ort. Nirgends lässt Christa Wolf zwei Figuren aus der Frühromantik zusammentreffen: Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode, eine Dichterin, die zur Zeit der Veröffentlichung des Buches ganz in Vergessenheit geraten war, deren Werk aber dank Christa Wolf wieder entdeckt wurde. Die Figuren sind also historische Figuren, ihre Begegnung aber ist - wie Christa Wolf es schreibt  - "eine erwünschte Legende".

Die Begegnung findet in Winkel am Rhein im Salon des Kaufmanns Josef Mertens statt. Die Teegesellschaft könnte nicht auserlesener sein: Da befinden sich z.B. Clemens Brentano mit Frau Sophie Mereau, Schwestern Bettina und Gunda Brentano, Gundas Mann Friedrich Carl von Savigny, der später Justizminister von Preußen werden sollte.

Warum die beiden Dichter Kleist und Günderrode? Sie haben gemeinsam, dass sie sich in der Welt als Fremdlinge, als Außenseiter empfinden. Beide haben einen freiwilligen Tod gewählt: Günderrode hat sich 1806 in Winkel am Rhein erstochen, Kleist beging 1811, fünf Jahre später, Selbstmord.

Es wird keine Geschichte erzählt, keine Handlung vorgeführt. Einziges - zumindest äußeres - Ereignis: der Szenenwechsel, der gegen Mitte des Textes erfolgt. Der Höhepunkt des Geschehens ist der direkte Gedankenaustausch, den Kleist und Günderrode am Ende führen. D.h. erzählt werden ausschließlich Gespräche - laute, oder in Gedanken geführte (Monologe Kleists und Günderrodes). KON ist eine Inszenierung von Gesprächen und Gedanken, aber im Gegensatz zu einem Theaterstück werden diese Gespräche durch die Stimme eines Erzählers vermittelt. Was Christa Wolf erlaubt, alle Techniken der Vermittlung und der Redewiedergabe zu benutzen, mit einer Vorliebe für die Techniken, bei denen der Erzähler in den Hintergrund tritt. In diese Gespräche hat Christa Wolf authentische Zitate Kleists und Günderrodes, aus Tagebüchern und Briefen entnommen, hineingewoben. Es wird mit "ich", mit "er" oder "sie" erzählt, ohne dass jeweils der pronominale Bezug näher bestimmt wird. Höchstens nachträglich. Und darin besteht die besondere Schwierigkeit dieses Textes für den Leser: nämlich zu wissen, wann wer wem was sagt. Es ist Christa Wolfs besondere Kunst, den Bezug der Pronomina nicht klar zu machen, ihn so unscharf und unpräzis zu gestalten, dass der Leser sich meistens zu einer mehrfachen Lektüre genötigt sieht. Und selbst dann findet er manchmal keine eindeutige Antwort auf die Frage: Wer spricht?

2. 2. Ein mehrdeutiger Lesepakt

Der erste Bruch mit der Konvention, der den Leser verunsichert, ist die Nicht-Anwesenheit einer Gattungsbezeichnung auf der Titelseite: Der Verzicht auf eine Angabe wie "Roman", oder hier "Erzählung" oder "Novelle" lässt den Text in einer Unbestimmtheit schweben, die der Leser vielleicht nicht gleich als solche erkennt, aber mit der er sich dann spätestens auf der ersten Seite konfrontiert sieht.

Das zweite Mittel, das zur Aufhebung der Trennung zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion eingesetzt wird, ist der Textanfang, die Exposition. Bevor der eigentliche Erzählvorgang beginnt, erhebt sich die Stimme eines Erzählers, der die Protagonisten anruft ("Vorgänger, Ihr, Blut im Schuh"), und sich als eine nicht-fiktive Instanz darstellt, indem er dem Leser in wenigen Zeilen Personen, Ort, Zeit und Inhalt der Handlung angibt. Dem Leser gibt man zu verstehen: "Hier sind Erzähler und Autor gleich". Die Erkenntnis der Identität Autor-Erzähler bleibt jedoch unpräzis, weil ungenannt. Denn der Erzähler, der sich hier mit dem Autor gleichsetzt, gebraucht, um auf sich selbst zu beziehen, nur die deiktische Form des "wir". Diese kurze Exposition schließt dann mit einer Frage "Wer spricht?" und gleich danach taucht der Leser in einen Monolog.

(1) Die arge Spur, in der die Zeit von uns wegläuft.
Vorgänger ihr, Blut im Schuh.[...]
Einer, Kleist, geschlagen mit diesem überscharfen Gehör, fliegt unter Vorwänden, die er nicht durchschauen darf. Ziellos, scheint es, zeichnet er die zerrissene Landkarte Europas mit seiner bizarren Spur. Wo ich nicht bin, da ist das Glück.
Die Frau, Günderrode, in den engen Zirkel gebannt, nachdenklich, hellsichtig, unangefochten durch Vergänglichkeit, entschlossen, der Unsterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern. Dass sie sich getroffen hätten: erwünschte Legende.
Winkel am Rhein, wir sahn es. Ein passender Ort.
Juni 1804.
Wer spricht?
Weiße Handknöchel, Hände, die schmerzen, so sind es meine. So erkenne ich euch und befehle euch, loszulassen, um was ihr euch klammert. Was ist es. Holz, schön geschwungen, Lehne eines Sessels. (KON: 5-6)

Wir erfahren erst nachträglich, dass es sich hier um Gedanken Kleists handelt. Mit der Frage "Wer spricht? " hat sich bereits eine Anverwandlung von Figuren/ Erzähler/Autor vollzogen, die sich dann durch den ganzen Text hindurchzieht. Die Tatsache, dass diese Frage noch einmal am Ende, an einer entscheidenden Stelle, wiederholt wird, unterstreicht noch einmal die Stärke des mehrdeutigen Lesepakts, der am Anfang geschlossen wurde.

Zusammenfassend heißt das: Es kann nicht von Autobiographie oder autobiographischer Fiktion die Rede sein, denn dazu fehlt das entscheidende Kriterium: die Namensgebung. Es handelt sich aber auch nicht um Fiktion: Denn dagegen spricht die Exposition, die den Text nachdrücklich in einen zweideutigen Raum zwischen Fiktion (dem erfundenen Gespräch Kleists und Günderrodes) und Nicht-Fiktion einreiht (den Reflexionen einer Autorin, die sich in ihrer Existenz als Schriftstellerin in der ehemaligen DDR bedroht fühlte).

Der Lesepakt, den Christa Wolf ihren Lesern vorschlägt, ist eine Frage. Statt Gewissheit Ungewissheit. Statt Klarheit Verschwommenheit. Und wir können diese neuen Spielregeln, die den Leser zur Mitarbeit zwingen, auf jeder Seite feststellen. In KON sind Unbestimmbarkeit, Verschwommenheit angesagt. Und die Durchsetzung dieser neuen Spielregeln im Text erfolgen über den ungewöhnlichen Gebrauch der Tempora und Pronomina.

2. 3. Der Gebrauch des Präsens

Das Tempus, das gewöhnlich einen Text als fiktiv oder episch markiert, ist das Präteritum, das sogenannte epische Präteritum. Weinrich in Deutschland, Benveniste in Frankreich haben das System der Tempora in zwei Teile gegliedert, in besprochene und erzählte Welt für Weinrich, in discours und récit für Benveniste: Die Tempora imparfait/passé simple oder das Präteritum markieren das Register der erzählten Welt, bzw. "récit", während Präsens die "besprochene Welt" bzw. "Discours" signalisiert. Weinrich schreibt den Tempora eine kommunikative Funktion zu: Durch sie steuert nämlich der Sprecher/Schreiber die Rezeption des Textes durch den Leser/Hörer. Die besprechenden Tempora sollen eine gespanntere Rezeptionshaltung signalisieren, während die erzählenden Tempora umgekehrt eine entspannte Rezeptionshaltung signalisieren.

In KON setzt Christa Wolf bewusst das Präsens statt des Präteritums ein. Präteritumsformen gibt es nur, wenn sich Kleist oder Günderrode selber an etwas erinnern. Sonst wird durchgängig im Präsens erzählt. D. h.:

1) Auf Seiten des Lesers

Die entspannte Haltung, die der Leser sonst gegenüber einer Erzählung hat, kann nicht aufrechterhalten werden. Das besprechende Präsens zwingt ihn zu einer größeren Aufmerksamkeit. Das, was jetzt erzählt wird, erlebt er sozusagen mit. Statt einer aufgezeichneten Übertragung hat er eine "Live"-Aufführung. Er tritt zur Seite des Erzählers, fühlt sich angesprochen, denn es ist noch nicht alles geschehen, denn der Erzähler gibt sich so, als wüsste er nicht mehr als er selber, der Leser... Der Autor erlaubt ihm nicht, als unbeteiligter Zeuge da zu stehen, sondern nimmt ihn bei der Hand und führt ihn auf die Szene des Textes ein. Das Präsens schafft eine gewiss fiktive, aber doch gemeinsame Zeitspanne, die den Leser, den Erzähler, und, das will ich jetzt zeigen, die Figuren zusammenführt.

2) Auf Seiten des Sprechers

Indem der Erzähler auf eine retrospektive Darstellung verzichtet, gibt er zugleich einen Teil seiner Überlegenheit als Allwissender auf. Das bedeutet: größere Gleichheit für den Leser, aber auch für die Figuren. Ohne die zeitliche Distanz, die das Präteritum dem Erzähler verleiht, ist auch keine Vorwegnahme, keine Antizipation über das kommende Geschehen möglich. Aber noch mehr: Nicht nur verzichtet der Erzähler auf ein Vorwissen, was das Geschehen betrifft, sondern mit der Aufgabe des Präteritums wird die zeitliche Trennung weggewischt, die sonst den Erzähler von seinen Figuren trennt. In einem traditionellen Text wird das Präsens sonst der direkten Rede der Figuren und den verallgemeinernden Kommentaren des Erzählers vorenthalten, alles andere wird im Präteritum erzählt. Aus dem simultanen Gebrauch der beiden Tempora ergeben sich Brüche, mehr oder weniger markiert, aber doch Brüche. Da in KON alles im Präsens abläuft, bewegen sich Erzähler und Figuren auf der selben zeitlichen Ebene, und der Übergang von der einen zu der anderen Ebene vollzieht sich unauffällig, beinahe unbemerkt:

(2)(a) Ja: die unbedingte Richtigkeit der Natur. (b) Die Günderrode, überempfindlich gegen das Licht, bedeckt die Augen mit der Hand, tritt hinter den Vorhang. (c) Wert ist der Schmerz, am Herzen der Menschen zu liegen, und dein Vertrauter zu sein, o Natur! (d) All die Tage über geht mir die Zeile nicht aus dem Kopf. Der verrückte Dichter. Zuspruch suchen bei einem Wahnsinnigen - als wüst' ich nicht, was das bedeutet. (KON: 7)

Hätten wir an Stelle der Aussage (b):

Die Günderrode, überempfindlich gegen das Licht, bedeckte die Augen mit der Hand und trat hinter den Vorhang.

wäre der Übergang zwischen den Gedanken der Günderrode (a) und (c) und der Beschreibung des Erzählers viel deutlicher markiert. Hier aber vollzieht sich der Wechsel ohne Bruch. Die Erwähnung des Namens ("die Günderrode"), die dritte Person des Singulars ("bedeckt","tritt") weisen in (b) auf den Erzähler hin; In (a) und (d) ist auch die Identifizierung leicht: Das Ja, der Nominalsatz in (a), sowie die erste Person in (d) können nur auf unvermittelte Gedanken Günderrodes hinweisen. Bleibt die Aussage (c), die der Leser nicht automatisch einordnen kann: Der erste Teil ("Wert ist der Schmerz, am Herzen der Menschen zu liegen") könnte theoretisch auch vom Erzähler stammen, aber dann kommt der zweite Teil ("und dein Vertrauter zu sein, o Natur! ") mit dem "dein" und dem Ausruf, den man dann der Günderrode zuschreibt, bis die Aussage sich in (d) als ein Zitat entpuppt, als eine Zeile aus einem Gedicht Hölderlins.

In diesem Abschnitt fällt es doch dem Leser nicht allzu schwer, jeweils den Sprecher zu erkennen, weil das entscheidende Signal, d.h. die verschiedenen Pronomina (sie vs. ich) nicht fehlt. Sehr oft aber wird ihm selbst dieses Signal entzogen, so dass es wirklich unmöglich wird, die besagten Aussagen einem eindeutigen, einzigen  Sprecher zuzuschreiben.

2. 4. Der Pronominalwechsel : die Grammatik der wechselseitigen Bezüge

Noch mehr als der Gebrauch des Präsens trägt der scheinbar unmotivierte Pronominalwechsel zu einer Abweichung von den Konventionen der Fiktion bei, und zu dieser Verschmelzung Autor-Erzähler-Figur. Noch nie zuvor, auch in Kindheitsmuster nicht, hatte Christa Wolf so bewusst und konsequent das Spiel mit den Pronomina getrieben. Das, was sie in Anlehnung an Ingeborg Bachmann "die Grammatik der wechselseitigen Bezüge" nennt. In KON kann die pronominale Perspektive ganz plötzlich und unerwartet wechseln, ohne dass der Leser verstehen kann, warum:

Das tut sie von Er zu Ich oder von Ich zu Er:

(3) Kleist durchfährt der Gedanke, der Arzt halte ihn für einen Komödianten, der mit Varianten spielt, darunter der tragischen. Das, wenn es zuträfe, will er nicht wissen. Er ist unabhängig vom Urteil der Welt und kann es nicht ändern.

Andre wollen ein unblutiges Denken kennen. Harmonie, Mäßigung, Milde. Kleist, so übermäßig er sich anstrengt, dringt in das innere Leben der Wörter nicht ein. Von Sehnsucht verzehrt, bewege ich mich in ihrem Abglanz. (KON:  14-15)

Der plötzliche Gebrauch der ersten Person mitten in der erlebten Rede, die ja in der dritten Person geführt wird, lässt die Aussage in der Ich-Form ganz stark hervortreten, und verleiht ihr eine ganz besondere Kraft. Dadurch, dass der Vortext der Stimme des Erzählers untergeordnet ist, wird auch zwangsläufig die Aussage in der Ich-Form von dieser Stimme angesteckt, so dass der Leser hier gar nicht auf eine direkte Redewiedergabe zu denken kommt, sondern eine vollkommene Verschmelzung der beiden Stimmen zu erblicken glaubt. Die Problematik des Unsagbaren, der Grenzen der Sprache gehört seit eh und je zu Christa Wolfs Lieblingsthemen. Und doch: Wir müssen bei diesem Ich stutzen, denn wir haben gemerkt, dass der Erzähler selbst nie auf diese Form zurückgreift. Er benutzt normalerweise immer das Wir. Warum dieses Ich also hier? Es erweist sich bei näherer Untersuchung, dass diese Aussage ein authentisches Zitat Kleists ist. Also doch direkte Redewiedergabe. Eine verkappte Redewiedergabe, die bewusst auf fast alle Indizien verzichtet, wodurch sie sich als solche zu erkennen gibt. Denn statt der Gegenüberstellung zweier autonomer Stimmen, statt der klaren Gegenüberstellung des Zitierenden und des Zitats (mit redeeinleitendem Verb, Anführungszeichen) sehen wir uns hier mit einer Grenzverwischung konfrontiert.

Der Pronominalwechsel passiert auch in die andere Richtung, d. h. von Ich zu Er:

(4) (a) Die Rheinfahrt mit Ulrike, die, wie jeder längere Aufenthalt mit ihr allein, in Zwist und Missverständnis endete. (b) Warum, das wissen wir, doch dürfen wir es nicht bekennen. (c) Die Landschaft ist mir nahe gegangen, diese Günderrodes und Brentanos würden sich wundern über den unempfänglichen Preußen, könnten sie hören, (d) was er in Briefen seinen Freunden schrieb und was er fehlerfrei ohne Blatt zitieren  könnte: (e) Doch der schönste Landstrich von Deutschland, an welchem unser großer Gärtner sichtbar con amore gearbeitet hat, sind die Ufer des Rheins von Mainz bis Koblenz [...]. Das ist eine Gegend wie ein Dichtertraum, und die üppigste Phantasie kann nichts Schöneres erdenken, als dieses Tal, das sich bald öffnet, bald schließt, bald blüht, bald öde ist, bald lacht, bald schreckt.

(f) Da würde selbst Brentano, der in einer Glückshaut geboren ist, der früh und allzu leicht zu Ruhm gekommen, wohl aufhorchen, den Fremdling umarmen und der Gesellschaft prophezeien, solche Sätze würden einst, wenn es mit rechten Dingen zuginge, in jedem deutschen Schulbuch stehn. (g) Und allzu leicht und immer wieder lassen wir uns verführen, einmal, über das eigne Grab hin, werde es mit rechten Dingen zugehn, nach Wert und Würdigkeit, und nicht nach Sitte, Rang und Namen. Phantasterei. [...] (KON:  53-54)

Im Beispiel (4) bricht der Erzähler in (d) plötzlich in einen Monolog Kleists ein. Obwohl auch hier die Interpretation nicht eindeutig sein kann: Denn der Gebrauch des "er" könnte auch als eine distanzierte Perspektive Kleists gegenüber sich selbst aufgefasst werden: Im Vortext benutzt ja Kleist, von sich redend, eine Bezeichnung "den unempfänglichen Preußen", die nicht von ihm stammen kann, sondern nur den empfindsamen Rheinländern, den Brentanos und Günderrodes, zugeschrieben werden kann. Das "er" in (d) könnte also auch als die vorgespielte Fortsetzung ihres Standpunkts gelten. Dafür spricht auch in (f) die Bezeichnung "Fremdling", die ebenfalls von außen kommt. Andererseits aber: Das "wir" in (b) kann zwar auf Ulrike und Kleist hinweisen - kann aber auch als Kommentar des Erzählers aufgefasst werden -, der Wir-Kommentar würde dann auf das plötzliche Auftauchen der Er-Form im Monolog Kleists vorbereiten. Selbst bei näherer Untersuchung kann die Pronominalverschiebung nicht eindeutig aufgeklärt werden: Der Pronominalwechsel wird als Bruch empfunden, ein Bruch, der den Leser verwirrt und verunsichert.

Ob von Er zu Ich oder von Ich zu Er, folgendes läßt sich feststellen: Der Pronominalwechsel erfüllt in KON nicht seine Aufgabe der Kommunikationssteuerung, sondern dient Christa Wolfs allgemeiner Strategie der Grenzverwischungen.

Das sicherste Mittel jedoch, das Christa Wolf benutzt, um die Grenze zwischen dem Erzähler und den Figuren zu verwischen, ist das "Wir". Immer wieder erhebt sich die Stimme eines "Wir". Im Beispiel (4) erscheint übrigens im Nachhinein der Wechsel von Ich zu Er als eine Vorbereitung auf dieses mehrdeutige Wir: In (g) vernehmen wir sowohl die Stimme des von seinen Zeitgenossen verkannten Kleists als auch die Stimme Christa Wolfs. Dadurch, dass alles im Präsens geschrieben wird, sowohl der Monolog als auch der Kommentar des Erzählers, bleibt das Wir völlig mehrdeutig und unbestimmbar.

3. Die Unbestimmbarkeit des Wir: Schreiben und die Zensur in der ehemaligen DDR

3. 1. Das mehrdeutige Wir

Die Pluralkategorie der Pronomina ist alles andere als eine simple Vereinfachung des Singulars. Das Wir ist die Zusammensetzung

- entweder eines Ich mit einem Du bzw. Ihr: das inklusive Wir. In KON wäre das Du erstmal der Leser aus der ehemaligen DDR, und dann der Leser überhaupt.

- oder eines Ich mit einem Er/Sie bzw. Sie (Plural): das exklusive Wir. Es wären dann, neben dem Erzähler, die Stimmen Kleists und Günderrodes.

Die Strategie der Pronominalverschiebung, der mehrdeutige Lesepakt schließen von vornherein eine Beschränkung auf die Ebene der Figuren aus.

Das heißt: In dem Wir überwiegt zwar die Stimme eines Ich, aber ein unscharfes Ich, dessen Stimme durch die Schicht der anderen Stimmen geschützt aber auch geschwächt wird. Ich will hier Benveniste, und das, was er über die "unscharfen Konturen" des Wir sagt, zitieren:

[...] "nous" n'est pas un "je" quantifié ou multiplié, c'est un "je" dilaté au-delà de la personne stricte, à la fois accru et aux contours vagues. De là viennent en dehors du pluriel deux emplois opposés, non contradictoires. D'une part, le"je" s'amplifie par "nous" en une personne plus massive, plus solennelle et moins définie ; c'est le "nous" de majesté. D'autre part, l'emploi de "nous" estompe l'affirmation trop tranchée de "je" dans une expression plus large et diffuse ; c'est le "nous" d'auteur ou d'orateur. On peut penser à expliquer aussi par là les contaminations ou enchevêtrements fréquents du singulier et du pluriel, ou du pluriel et de l'impersonnel dans le langage populaire ou paysan : "nous, on va", ou "je sommes" en français du Nord [...] : expressions où se mêlent le besoin de donner à "nous" une compréhension indéfinie et l'affirmation volontairement vague d'un "je" prudemment généralisé.

D'une manière générale, la personne verbale au pluriel exprime une personne amplifiée et diffuse. Le "nous" annexe au "je" une globalité indistincte d'autres personnes. (Benveniste 1966: 234-235)

Diese Beschreibung kann man wörtlich wieder aufnehmen, möchte man den Gebrauch des Wir in einem Staat, wo Literaten immer mit der Zensur zu leben hatten, verstehen. KON wurde 1979 geschrieben, drei Jahre nach Wolf Biermanns Ausbürgerung, die in der DDR einen kulturpolitischen Einschnitt markierte. Ich zitiere hier Christa Wolf:

In den siebziger Jahren, als ich keine Möglichkeit mehr sah, mich hier politisch zu betätigen, habe ich versucht, in der Geschichte zu finden, wie sich deutsche Intellektuelle in solchen ausweglosen Zeiten verhalten haben. Daraus sind KON und einige Essays entstanden. Die Beschäftigung mit Büchern hat mir damals über die schlimmsten Jahre hinweggeholfen. (Im Dialog: 142)

Es war deutlich geworden, dass die politische Macht keine kritische Mitarbeit dulden würde. Das war unleugbar spätestens nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann und den Reaktionen auf unseren Protest, dem sich viele angeschlossen hatten, von denen viele viel härter bestraft und ausgegrenzt wurden als wir. Die Frage war, ob man in der DDR bleiben kann. Ich war lange unentschlossen. Wir haben lange die Möglichkeit wegzugehen erwogen. Ehrlich gesagt, wir wussten nicht, wohin. Wir sahen in keinem anderen Land eine Alternative. (Im Dialog: 148)

Hinter dem Wir verbirgt sich der Erzähler, und in der gleichen Zeit erhält seine Stimme eben durch die Vielfalt der Stimmen, die das Wir enthält, ein besonderes Gewicht. Christa Wolf/Kleist/Günderrode greift dann immer zum "Wir", wenn es sich um den politischen Apparat, um den Staat handelt. Und bis auf das "wir" in der Exposition, das unzweideutig auf den Autor zurückzuführen ist, sind immer entweder Kleist oder Günderrode die Sprecher. So dass die Kritik an den Verhältnissen immer getarnt vorkommt.

Ich habe alle Wir-Aussagen herausgenommen und untersucht: Es gibt darunter auch sogenannte allgemeingültige Wahrheiten, aber je mehr wir in den Text vordringen, je weiter wir lesen, desto stärker werden die Wir-Aussagen mit dem Verhältnis Staat-Individuum, Staat-Künste verbunden, desto deutlicher drücken sie eine Kritik an dem Staat aus - wenngleich das Wort Staat nicht ausgesprochen wird - im Gegenteil sogar sorgfältig vermieden.

(5) Ich bin nicht ich. Du bist nicht du. Wer ist wir?

Wir sind sehr einsam. Irrsinnige Pläne, die uns auf die exzentrische Bahn werfen. [...] Ein Handwerk ausüben: Tarnung, zuerst vor uns selbst. Auch wenn man bereit ist, zu sterben, tun die Verletzungen weh, welche die Menschen uns zufügen müssen; nimmt uns der Druck der eisernen Platten, die näher rücken, uns zu zerquetschen oder an den Rand zu drücken, allmählich doch den Atem. Kurzatmig, angstvoll müssen wir weitersprechen, das wissen wir doch. Auch, dass uns keiner hört. Auch, dass sie sich gegen uns wehren müssen: Wo kämen sie hin? Dahin, wo wir sind - wer wollte es ihnen wünschen. (KON: 108-109, von mir hervorgehoben)

Am Ende des Textes, während des Spaziergangs Kleists und Günderrodes wird fast nur noch mit diesem Wir gesprochen - und nur noch über das, was auch Christa Wolfs eigenes Lebensproblem war: über die Gefahr für den Schriftsteller, in eine Außenseiterposition zu geraten, über die Nichtübereinstimmung mit der Welt. Und darin spricht sie nicht nur für sich, sondern auch für die Leser, die ebenfalls mit ihrer Welt nicht in Übereinstimmung sind, sie spricht für all diejenigen, denen das Recht zu sprechen verweigert war:

(6) Die Ideen, die folgenlos bleiben. So wirken auch wir mit an der Aufteilung der Menschheit in Tätige und Denkende. Merken wir nicht, wie die Taten derer, die das Handeln an sich reißen, immer unbedenklicher werden? Wie die Poesie der Tatenlosen den Zwecken der Handelnden immer mehr entspricht? Müssen wir, die wir uns in keine praktische Tätigkeit schicken können, nicht fürchten, zum weibischen Geschlecht der Lamentierenden zu werden, unfähig zu dem kleinsten Zugeständnis, das die alltäglichen Geschäfte einem jeden abverlangen, und verrannt in einen Anspruch, den auf Erden keiner je erfüllen kann: Tätig zu werden und dabei wir selbst zu bleiben.

Wer spricht? (KON : 113)

4. Schlussbemerkung

In den Rezensionen unterstreicht man immer wieder den "Konfessionscharaker" von Christa Wolfs Prosa, die auch als "Bekenntnisdichtung" bezeichnet wird. Ich habe versucht zu zeigen, dass ihre Prosa für den Leser (und zumal für den DDR-Leser) auch eine "stellvertretende" Dichtung ist - eine Dichtung, die neben den Stimmen der Figuren immer die Stimme des Lesers miteinbezieht -, ob er es will oder nicht. Der rätselhafte, schwer zu interpretierende Titel Kein Ort. Nirgends kann dann nach der Lektüre als programmatische Losung für den ganzen Text gelten, denn in ihm lässt sich alles zusammenfassen: Kein Ort. Nirgends verweist nämlich (1) auf die deutsche Übersetzung des griechischen Wortes Utopia, und damit (2) auf die ausweglose Situation der beiden Dichter Kleists und Günderrodes, die ihren Platz auf der Welt nicht fanden und darüber hinaus (3) auf die Schriftsteller in der DDR, die weder ausreisen noch in der DDR bleiben wollten. Er weist aber auch (4) auf die Form des Buches hin, die nirgendwo anzusiedeln ist, weil es sich weder in die Fiktion noch in die Nicht-Fiktion einreihen läßt, sondern beiden Welten angehört. Und (5) für den Leser schließlich weist der Titel auch auf die kunstvolle Prosa Christa Wolfs hin, die es versteht, die Grenzen zwischen den beiden Welten, der Fiktion und der Nicht-Fiktion, d.h. die Grenzen zwischen sich und ihm zu verwischen.

Avec l'aimable autorisation des Cahiers d'études germaniques

Literaturhinweise

Benveniste Emile, 1966. "Structure des relations de personne dans le verbe", in Problèmes de linguistique générale, Gallimard, Paris, 225-236.

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Pour citer cette ressource :

Emmanuelle Prak-Derrington, "Wer spricht?" Über Tempora, Pronomina und Grenzverwischungen in Christa Wolfs "Kein Ort. Nirgends", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mars 2008. Consulté le 05/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/langue/linguistique-textuelle/wer-spricht-yber-tempora-pronomina-und-grenzverwischungen-in-christa-wolfs-kein-ort-nirgends