L'exil germanophone au Canada : interview d'Helmut Kallmann
Biographie
Helmut Max Kallmann est né le 7 août 1922 à Berlin. Son père est avocat. Il grandit à Schöneberg et fréquente le Realgymnasium, puis l'Oberschule der jüdischen Gemeinde. Il est envoyé par le Kindertransport en Angleterre en 1939. Ses parents et sa sœur ne pourront pas quitter l'Allemagne à temps et périront dans la Shoah. Interné à Londres le 16 mai 1940 en tant que « ressortissant d'un pays ennemi » (enemy alien), il est transféré au Canada en juillet. À partir de 1941, il occupe la fonction de bibliothécaire dans les cinq camps successifs où il est interné. Après plus de trois ans d'internement, il est l'un des derniers à être libéré en août 1943. De 1944 à 1946, il travaille dans une librairie de Toronto. Il est naturalisé canadien en 1946 et commence des études de musique à l'université de Toronto. Il obtient son diplôme de la Faculté de musique en 1949, puis travaille comme bibliothécaire musical à Radio Canada-Toronto de 1950 à 1970. Il fonde ensuite la section musicale à la Bibliothèque nationale du Canada (Ottawa), un poste qu'il occupe jusqu'à sa retraite en 1987. Il a contribué au Catalogue des compositeurs canadiens (1952), écrit la première Histoire de la musique au Canada 1534-1914 (1960) et co-dirigé l'Encyclopédie de la musique au Canada (1981 ; 1993). Pour expliquer son activité d'historien de la musique canadienne, il dit :
Jemand, der hier geboren ist, kennt jede Straße, aber ein Fremder braucht einen Stadtplan. Und so war es mit der Musik. Wer ankommt, muss sich orientieren. Bibliotheken gaben keine Auskunft über kanadische Musik. Also habe ich in meiner Freizeit Informationen gesammelt und diese Sammlung ist immer weiter gewachsen.
Interview
J'ai interviewé Kallmann le 10 avril 2003 chez lui, à Nepean dans la banlieue d'Ottawa (Ontario).
Teil 1: Helmut Kallmanns Weg nach Kanada
https://video.ens-lyon.fr/eduscol-cdl/2003/2003-04-10_ALL_Kallmann_01.mp3
HK: Begrenzen Sie ihre Forschung auf die Leute, die vor den Nazis nach Kanada geflüchtet sind?
PF: Ja, fast ausschließlich, eigentlich.
HK: Na ja, da gibt es ja eine ganze Menge, obwohl die Auswanderung nicht so stark war wie in die Vereinigten Staaten. Und all die berühmten Leute wie Thomas Mann und Bruno Walter usw. sind nach Amerika gegangen. Kaum welche davon nach Kanada. Aber abgesehen von den Internierten ((Kallmann évoque ici les « Camp Boys », ces exilés internés par la Grande-Bretagne en 1940 en tant que « ressortissants d'un pays ennemi », puis transférés au Canada. Il fut l'un d'entre eux.)) gab es auch deutsche Auswanderer, die direkt nach Kanada gekommen sind, aber es waren Leute, die sehr viel Geld hatten. Sonst hätte man sie nicht hineingelassen.
PF: Und Sie, Herr Kallmann, über welche Wege kamen Sie nach Kanada?
HK: Ich kam mit dem so genannten Kindertransport nach England ((Sur les « Kindertransporte »,cf. Rebekka Göpfert, Der jüdische Kindertransport von Deutschland nach England 1938/1939, Francfort / M., Campus, 1999 ; Wolfgang Benz,Claudia Curio et Andrea Hammel (dir.), Die Kindertransporte 1938/39 - Rettung und Integration, Francfort / M., Fischer Taschenbuch Verlag, 2003. Sur l'itinéraire de Kallmann, cf. également Gerd Braune, « Flucht ins Ungewisse. Kindertransporte retteten viele junge Juden vor den Nazis: zum Beispiel Helmut Kallmann », in Frankfurter Rundschau, 19/06/1999.)).Sie wissen, was das ist, nicht wahr? Das waren Kinder von 6 bis 16 Jahren oder so. Es kann auch sein, dass einige ältere dabei waren, die 17 oder 18 waren. Ob man die reingeschmuggelt hat, oder ob man Ausnahmen gemacht hat, das weiß ich nicht. Und der Kindertransport ging nach England. Dort wurde ich im Mai 1940 interniert, als deutscher Staatsangehöriger. Nach ein paar Wochen wurden dann die Männer, die unverheiratet waren, nach Kanada geschickt oder nach Australien. Und ich war einer von denen, die das Glück hatten, nach Kanada zu kommen. Unsere Überfahrt dauerte ungefähr zehn Tage. Die Leute, die nach Australien gefahren sind, waren mindestens sechs Wochen unterwegs. Also eine sehr, sehr unangenehme Fahrt soll das gewesen sein. Na, und dann wurden wir in Kanada interniert, und zwar ab Mitte Juli 1940. Es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis wir den Kanadiern klar gemacht hatten, dass wir keine deutschen Kriegsgefangenen waren, sondern Flüchtlinge und Anti-Nazis. Und dann haben sie angefangen, Leute zu entlassen. Zunächst konnten einige nach England zurückgehen,ich glaube sogar etwa die Hälfte von uns, d. h. über 1000 von insgesamt 2200 so ungefähr. Kennen Sie das Buch von Eric Koch ((Eric Koch, Deemed Suspect. A Wartime Blunder, Toronto, Methuen, 1980.))?
PF: Ja, Deemed Suspect.
HK: Deemed Suspect, genau. Sie sprechen auch Englisch?
PF: Ja.
HK: OK. 900 oder so blieben in Kanada und davon gingen einige nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten. Es waren Leute, die dort Verwandte hatten,oder eine bessere Arbeitsmöglichkeit, oder die dort studieren wollten. Na und einige blieben in Kanada, und davon bin ich einer (lacht). Da ist ungefähr mein Auswanderungsweg.
PF: Und wo waren Sie ursprünglich zu Hause?
HK: In Berlin.
PF: Aus welchem Viertel, darf ich fragen?
HK: Ja, ich komme aus Schöneberg.
PF: Schöneberg! Ich selbst habe eine Zeit lang in Charlottenburg gelebt.
HK: Ja, auch eine schöne Gegend.
[Er holt einen Stadtplan von Schöneberg, den er aus dem Gedächtnis gezeichnet hat].
Zu Beginn der Internierung in Kanada habe ich mal zum Vergnügen einen Stadtplan von meiner Gegend aus dem Gedächtnis gezeichnet. Sehen Sie: Da ist die Gedächtniskirche und der Bahnhof Zoo und hier ist Charlottenburg, der Kurfürstendamm, die Tauentzienstraße...
PF: So viele Straßen haben Sie rekonstruiert?
HK: Ja. Die Tauentzienstraße geht nur bis hier, das ist der Wittenbergplatz, und dann kommt die Kleiststraße und hier war die Motzstraße...
PF: Ja, die hat sich wahrscheinlich arg verändert,nehme ich an...
HK: Nicht besonders, nee, außer dass es keine Straßenbahn mehr gibt. PragerPlatz, die Bundesallee - früher hieß sie Kaiserallee. Hier geht es nach Friedenau. Hier ist die S-Bahn: die Wannsee-Bahn oder die Potsdamer Bahn ist hier. Das ist die Potsdamer Straße und hier ist die Hauptstraße. In Schöneberg heißt sie so und dann in Friedenau heißt sie Rheinstraße. In Steglitz ist es die Schloss-Straße. Und hier ist der Fehrbelliner Platz usw. Das ist ein Manuskript. Es gab sogar eine Ausstellung, die die Stadt Schöneberg organisiert hatte. Mein Stadtplan wurde ausgestellt. Vor einigen Jahren, vielleicht 1999. Da haben die Organisatoren auf dem Bayerischen Platz - der Bayerische Platz ist hier - eine lange Reihe von Tischen aufgestellt und jeder Tisch hatte so ein Album für jemanden, der dort gewohnt hatte. Hier ist sogar ein Bild davon.
PF: Bamberger Straße 6, sehe ich gerade. Haben Sie dort gelebt?
HK: Ja. Jeder Tisch hatte so ein Album für jemanden, der dort gelebt hatte. Es waren nicht unbedingt prominente Leute, aber es waren z. B. Leute dabei wie Einstein. Der wohnte gleich hier um die Ecke irgendwo. Hier war unser erstes Haus in der Bamberger Straße und hier das zweite in der Geisbergstraße. Tja, und das hat mir das Kunstamt Schöneberg voriges Jahr zu meinem Geburtstag geschickt. Sehen Sie: Das war mein Gymnasium, das es heute nicht mehr gibt und hier bin ich in der Quinta. Und jetzt hat meine Volksschule ihr hundertjähriges Jubiläum. Und die sieht heute noch genauso aus wie damals, 1928.
PF: Scharmützelsee-Schule.
HK: Ja, damals hieß sie einfach 12. Grundschule, Gemeinde Schöneberg. Heute heißt sie Scharmützelsee-Grundschule. Die haben jetzt im April ihr hundertjähriges Jubiläum und da haben sie mich gebeten, ob sie meinen Stadtplan in ihren Katalog aufnehmen dürfen. Ich habe natürlich ja gesagt und jetzt warte ich darauf, eine Kopie zu bekommen. Diese kleine Gedächtnisübung im Jahre1940 ist jetzt berühmt geworden [lacht].
PF: Ja! Und in der Broschüre sehe ich gerade, dass Ihr Vater eine Kanzlei hatte...
HK: Mein Vater war Rechtsanwalt. Er hatte jahrelang sein Büro in der Potsdamer-, Ecke Bülowstraße, und wir wohnten in der Bamberger Straße. Dann kam dieWirtschaftskrise und mein Vater wollte Ausgaben sparen und Wohnung und Kanzlei zusammenlegen. Dann haben wir eine Wohnung in der Geisbergstraße gefunden. Das war aber nur einige Monate bevor Hitler an die Macht kam und dann ging es natürlich bergab, weil wir Juden waren. Wir haben zuerst noch Zimmer vermietet, da mein Vater kaum noch als Rechtsanwalt arbeiten konnte. Das ging eine Weile gut. Ich hatte dann das große Glück eine Aufnahme in den Kindertransport zu bekommen und meine Schwester und meine Eltern blieben zu Hause und sie sind dann umgekommen. Ja. Meine Schwester war etwas älter als ich, sie wurde 1925 Kindergärtnerin. Aber das ist jetzt ja egal...
Teil 2: Deutschland, eine Heimat?
https://video.ens-lyon.fr/eduscol-cdl/2003/2003-04-10_ALL_Kallmann_02.mp3
PF: Ja, was wussten Sie über Kanada, bevor Sie hierher kamen? Und war das ein großer Schock, als Sie nach Kanada kamen?
HK: Nein. Erstens mal habe ich als Kind immer viel Zeit mit Atlanten verbracht. Ich wusste von jedem Land die Hauptstadt, und die wichtigsten Flüsse usw. Also Geografie war mein Lieblingsfach. Was ich über Kanada wusste? Ja: natürlich die großen Seen. Ich habe hier eine Zeichnung hängen, die ich in der Obertertia, also mit 14 Jahren, gemacht habe. Sie stellt die großen Seen dar. Sehen Sie: Da steht also Toronto und Chicago und alle großen Städte sind auch darauf. Und so viel habe ich also gewusst. Ich hatte auch einen kleinen Atlas, einen Handatlas, den ich mit auf der Internierung mitgenommen hatte. Aber dummerweise wurde es mir gleich nach der Ankunft weggenommen. Die Soldaten haben uns abgeklopft und haben Taschenmesser und goldene Uhren usw. weggenommen.
PF: Und Atlanten.
HK: Ja, dieses kleine Buch. Ich meine, darüber habe ich mich wirklich sehr geärgert. Das wäre mir nie im Leben eingefallen, so etwas jemandem wegzunehmen. Aber ich habe es ihnen nicht übel genommen. Nur das Problem war dann: Wir hatten keine richtige Ahnung, wo wir waren, in welcher Provinz.
PF: Ja, in welchem Internierungslager waren Sie?
HK: In fünf verschiedenen Lagern!
PF: In fünf! Wirklich?
HK: Ja, aber die verschiedenen Episoden der Internierung können Sie im Buch von Eric Koch nachlesen. Der hat das alles ganz genau recherchiert.
PF: Gut. Wie waren Ihre Deutschland-Besuche nach dem Krieg, wenn ich fragen darf?
HK: Ach Gott, ich habe mich eigentlich sehr wohl gefühlt! Es war eben mein Land. Natürlich hat man gewisse Vorbehalte gehabt, wenn man sich die Leute damals angesehen hat, die älteren Leute vor allem. Da hat man oft gedacht: Du warst sicher in der NSDAP und du warst ein Parteibonze, oder ein großer Nazi oder so. Man konnte nie genau wissen, nicht wahr? Aber die Leute, die ich von früher kannte, Familienfreunde, unser altes Dienstmädchen, Freunde meiner Mutter usw., die waren genau dieselben geblieben. Die waren nie Nazis gewesen und ich hing immer noch sehr an Berlin als Großstadt.
PF: Ja, das kann ich nachvollziehen.
HK: Die richtigen Deutschen, die anständigen, echten Deutschen, das waren die Anti-Nazis und die Juden - die Juden waren sowieso Anti-Nazis -,während die Nazis eine Abart, eine Perversion des Deutschtums waren. Und deswegen sage ich mir immer: Mir gehört Berlin auch. Ich kenne viele Leute, die sich weigern zurückzugehen. Ich habe eine Freundin, die aus Charlottenburg kommt. Sie sagt: Ja sie möchte gerne nach Deutschland zurück, aber nicht nach Berlin, das ist zu schmerzhaft. Ja, sie hat gesagt, ihre Schwester war mal in Berlin und wollte sich aber das Haus nicht ansehen. Das konnte sie nicht vertragen. Ich, als ich 1994 in Berlin war, da war eine Dame, die auch etwa meines Alters war und die hat gesagt: Wir haben in der Emser Straße in der Nähe des Olivaer Platzes gewohnt und ich weiß aber nicht wie ich dahin komme. Da hab ich gesagt: Na wollen Sie sich nicht Ihr Haus ansehen?. Nein, das wollte sie nicht. Also sind wir wieder unverrichteter Dinge zurückgegangen. Und das respektiere ich auch, aber, wissen Sie, wenn ich hier sitze und an die Nazis denke und die Konzentrationslager und wie sie die Leute behandelt haben, dann kann ich mich sehr aufregen. Aber wenn ich in Berlin bin, dann ist das einfach nur eine Stadt. Irgendwie kann ich das voneinander trennen.
Teil 3: Kallmanns Leidenschaft für Musik
https://video.ens-lyon.fr/eduscol-cdl/2003/2003-04-10_ALL_Kallmann_03.mp3
PF: Sie sagten vorhin, dass Ihr Fach die Geografie war. Dabei hätte ich eigentlich gedacht, Sie würden sagen, Ihr Fach sei die Musik...
HK: Ja, die Musik auch. Aber in der Schule hatte ich in Erdkunde gut und in Zeichnen gut. Und in Musik nur genügend! Ich konnte ganz gut Klavier spielen, aber singen konnte ich nicht. Und außerdem war der Lehrer ein bisschen ein Nazi. Er lebt übrigens heute noch und ist 97 Jahre alt.
PF: Aber zurück zur Musik. In dem Archiv des Canadian Jewish Congress ist eine ganze Akte zu Ihrem Namen. Und ich erinnere mich, dass, als es darum ging, Sie aus dem Internierungslager herauszubekommen, sich Sponsoren gefunden haben, die über Ihre Musiktalente gesprochen haben. Kann das sein?
HK: Das könnte schon sein, ja.
PF: Wie kamen Sie aus dem Lager heraus und wann?
HK: Ganz zum Schluss. Ja, die Leute wurden schon ab 1941 entlassen und manche gingen nach England zurück. Aber in Kanada konnte man nur entlassen werden,wenn man einen Sponsor hatte, der das Studium z. B. zu bezahlen bereit war. Und da haben sich, ich möchte fast sagen hundert solcher Fälle ergeben. Die Sponsoren waren u. a. wohlhabende kanadische Juden, oder manchmal auch Nicht-Juden,denn in den Internierungslagern waren wir ja nicht alle jüdisch. Wir hatten auch rein arische Leute, die eben Anti-Nazis waren. Dann wurden also Leute entlassen in verschiedenen Kategorien. Der eine als Schneider, der andere als Landarbeiter, und ich wollte eigentlich gerne Musik studieren. Das ging aber nicht, erstens weil ich kein Komponist war, zweitens weil ich kein Virtuose war. Was will der Junge mit Musik machen?, war die Antwort.
PF: Das heißt, wann kamen Sie heraus? Ganz zuletzt?
HK: Ja, ganz zuletzt. Wir waren vielleicht ungefähr noch 50 oder 100 Leute.
PF: Und das war 1943?
HK: Im August 1943 war das.
PF: Aus welchem Lager wurden Sie dann befreit?
HK: Sie wollen also die Namen der Lager wissen: Trois-Rivières war das erste. Fredericton das zweite. Trois-Rivières war Camp T. Und Fredericton war Camp B - B wie New Brunswick wahrscheinlich ((Le Nouveau-Brunswick est l'une des provinces maritimes du Canada.)). Dann kam Camp A - Farnham - und dann noch Sherbrooke - das war Camp N - und dann ganz zum Schluss kam Camp I, die Île-aux-Noix in der Provinz Quebec. Und da wurden wir immer weniger und weniger und die Lager wurden zusammengelegt. Immer noch hat mich niemand als Musikstudenten herausgesponsert. Da hab ich einen Job bei einem Bücherrevisor oder Bruchprüfer oder so - einem charteredaccountant - in Toronto angenommen, für 15 $ in der Woche. Da kam ich nach Toronto, und das war schön, denn ich hatte einige Freunde in der Gegend, manche sogar aus dem Lager. Na also, ich habe bei diesem chartered accountant ungefähr fünf Monate gearbeitet. Eigentlich hatte ich nicht das geringste Interesse an der Arbeit. Ich hab nur die Zahlen zusammengezählt, um Fehler zu finden. Da habe ich wieder einmal Glück gehabt. Eines Tages kam ein anderer ehemaliger Internierter auf mich zu und hat gesagt: Wenn Sie eine Arbeit suchen - ich kenn eine Buchhandlung und die suchen nach jemandem. Ich bin hingegangen, habe den Job gleich bekommen. Ich sollte noch hinzufügen, dass ich im Internierungslager zeitweilig Bibliothekar gewesen war. Ich hatte die Lagerbibliothek geführt und von meiner Erfahrung als Bibliothekar hatte ich mir Titel von Büchern und Schriftsteller und Verlage usw. gemerkt. In dieser Buchhandlung war ich ungefähr zwei Jahre und habe über das Verlagwesen und über Bücher weitergelernt. Es hat mir geholfen.
PF: Und das heißt: Sie haben anschließend erst studiert.
HK: Ja, ich habe ein bisschen Geld gespart und ich wollte schon immer Musik studieren. Schon in London hatte mir jemand gesagt: Na hör mal auf mit deiner Musik, das ist doch eine brotlose Kunst! Wieder dasselbe: Du wirst doch kein Konzertvirtuose, was willst du denn damit? Na und das hat mich eigentlich gar nicht gestört. Ich habe in der Internierung sehr viele Musikbücher gelesen und auch Klavier spielen können. Wir hatten z. B. den John Newmark ((Hans Josef Neumark (John Newmark, 1904-1991) a grandi à Dresde et Brême. Il est issu d'une famille juive convertie au protestantisme. Après des études d'art et de musique, il co-fonde en 1930 la formation musicale Neue Kammermusik à Brême. En 1932, il est conseiller musical au Norddeutscher Rundfunk. L'arrivée d'Hitler au pouvoir modifie considérablement le cours de sa carrière. En juin 1939, il quitte finalement l'Allemagne pour les Pays-Bas puis l'Angleterre. En juin 1940, il est interné en tant que « ressortissant d'un pays ennemi », puis transféré au Canada. Libéré en 1942, il reste au Canada. Il se distingue par sa brillante carrière de pianiste et devient notamment l'accompagnateur attitré de la cantatrice canadienne Maureen Forrester.)). Er war unser Aushängeschild, sozusagen. Wir wollten den Kanadiern zeigen, wie wir dem Land beitragen können und da war John Newmark unser Hauptpianist. Es gab auch noch Helmut Blume, aber der war nicht so berühmt. Na, wie gesagt, ich hab mich im Internierungslager weiter mit Musik beschäftigt. Und wenn man mich heute fragen würde - es gibt so viele Berufe, die mit Musik zu tun haben: Musikbibliothekar, Musilverleger, Musikverkäufer, Schallplatten-Disc-Jockey, wie man das heute nennt, oder Schalltechniker. Das sind alles Leute, die mit Musik zu tun haben,ohne Konzertvirtuosen sein zu müssen. Also ich bin heute auf dem Standpunkt, dass ich durchaus Recht hatte, als ich partout Musik studieren wollte. Also habe ich Musik studiert. Zu meinem großen Vorteil hatte ich schon eine gute Grundkenntnis der klassischen Musik im Vergleich zu den Durchschnittskanadiern. Außerdem hatte ich auch ein gutes Gehör. Nach drei Jahren Studium hatte ich meinen Bachelor...
PF: An der Universität Toronto?
HK: In Toronto, ja.
Teil 4: Kallmanns Verhältnis zur Sprache
https://video.ens-lyon.fr/eduscol-cdl/2003/2003-04-10_ALL_Kallmann_04.mp3
PF: Sie sprachen gerade vom Durchschnittskanadier. Was hat sich an dem Durchschnittskanadier zwischen damals und heute verändert?
HK: Tja, ich glaube, der Stand der Ausbildung, des Wissens, der Kultur ist heute viel höher als damals. Viel Kultur wurde z. B. durch das Radio und das Fernsehen gebracht. Kanada war eigentlich keine Kulturwüste, als wir ankamen, aber wir Europäer waren halt sehr arrogant. Wir waren Angeber, so etwa Europäer, die im Caféhaus sitzen und über Goethe reden. Die Kanadier halten sich sehr zurück und stellen ihre Kenntnisse nie zur Schau. Aber die Deutschen oder Europäer zeigen gerne, was sie wissen. Man setzt nie voraus, dass der andere auch etwas weiß. Ich glaube, das ist der englische Einfluss. Nur nicht mit seiner Kenntnis prahlen, ist so ein Grundsatz. Damals war Kanada noch vielmehr mit England verbunden. Das war das Mutterland. Heute, obwohl es noch die Monarchisten gibt, ist im Großen und Ganzen der amerikanische Einfluss viel stärker als der englische. In Quebec ist das vielleicht noch ein bisschen anders. Außerdem sind die vielen Einwanderer seit dem Ende des Krieges hinzugekommen. Damals, als wir ankamen, waren wir noch eine Seltenheit: Leute aus Europa. Es gab zwar schon Ukrainer und Italiener und Polen. Und natürlich auch viele Juden, also Juden aus Osteuropa, die gab es. Aber heute sind die Einwanderer aus der ganzen Welt fast in der Mehrheit in Kanada! Wenn man das Telefonbuch durchsieht, ist es unglaublich. Und das hat sich alles sehr gut harmonisiert, durch die multicultural Politik.
PF: Wie würden Sie jetzt Ihre eigene Identitätheute beschreiben?
HK: Ich hab einen Artikel darüber verfasst ((Helmut Kallmann, « In Sachen Identität », in Berlin Aktuell. Zeitschrift für exilierte Berliner 69, juin 2002, p. 19-21.)). Also: Ich bin ein Kanadier deutschen Ursprungs, und, wenn Sie wollen, jüdischen Schicksals...
PF: Ach, das ist ja hoch interessant...
HK: Obwohl ich eigentlich mit Religion nichts zu tun habe. Das heißt: Von meiner Jugend her kenne ich mich ein bisschen aus. Aber ich verneine nicht,dass ich kulturell deutschen Ursprungs bin.
PF: Ja, das spürt man auch. Sie fühlen sich an Berlin gebunden, Sie fühlen sich vielleicht auch an die deutsche Kultur gebunden...
HK: Ja, ich meine, was die Musik betrifft: Mozart, Haydn, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms - die alle gehören zu mir.
PF: Und sprachlich: Wie schnell ging das, bis Sie fließend Englisch konnten? Oder konnten Sie es schon, als Sie nach England kamen?
HK: Also, Französisch hatte ich mit neun Jahren angefangen, Englisch mit fünfzehn, aber nach einem Jahr konnte ich mehr Englisch sprechen als Französisch. Französisch war für uns lediglich Vokabeln und Grammatikregeln. Aber sprechen - das wurde nicht geübt und nicht verlangt. Als ich nach England kam, konnte ich aber schon meinen Weg finden usw. Und dann im Internierungslager wurde zu 90% Deutsch gesprochen. Die meisten von uns waren einfach zu faul, nicht wahr? Es war eine richtige Anstrengung Englisch zu reden, aber als ich dann herauskam, ging alles ziemlich schnell. Ich konnte mich auf Englisch unterhalten. Und als ich dann geheiratet habe (Ende 1955), hat meine Frau natürlich nur Englisch gesprochen. Da hab ich sehr selten Deutsch gesprochen...
PF: War sie Kanadierin?
HK: Ja, sie war in Toronto geboren. Gelegentlich habe ich mit wenigen Freunden in Kanada noch Deutsch gesprochen. Auch mal mit Verwandten, die nicht in Kanada waren...
PF: Verwandte, die sich wo befinden?
HK: Meine Kusine lebt in Gießen, wo sie erst nach dem Krieg hinkam, und ihr Sohn lebt heute noch dort. Ich habe also immer noch Verwandtschaft in Deutschland. Und dann, als meine Frau vor zehn Jahren gestorben ist, habe ich mehr und mehr Deutsch gesprochen und deutsche Briefe geschrieben usw. Und ich muss sagen, es fällt mir heute genauso leicht. Als hätte ich mein ganzes Leben in Deutschland verbracht!
PF: Ja, das ist ein Geheimnis, denn bei einigen Leuten, die ich interviewt habe, ist das nicht der Fall.
HK: Ich werde nie Englisch sprechen können wie ein Eingeborener. Immer mit einem Akzent. Aber ich will nicht ohne Sprache sein. Und meine persönliche Sprache kann nur Deutsch sein. Und zwar nicht irgendwelches Emigrantendeutsch, sondern richtiges Deutsch.
Notes
Pour citer cette ressource :
Patrick Farges, L'exil germanophone au Canada : interview d'Helmut Kallmann, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), janvier 2008. Consulté le 19/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/civilisation/histoire/lexil-germanophone/l-exil-germanophone-au-canada-interview-d-helmut-kallmann