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«Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht» von Edgar Reitz (2013)

Par Ferdinand Schlie : Elève - ENS de Lyon
Publié par Marie-Laure Durand le 15/11/2013

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Es ist soweit. Vor knapp zehn Jahren schloss Edgar Reitz die Trilogie ((Heimat)) ab, in der er anhand des Schicksals der Familie Simon aus dem fiktiven Dorf Schabbach im Hunsrück die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts nachzeichnete – nun liefert er nach. In seinem neuen Film ((Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht)), der nun in Frankreich in zwei Teilen unter dem Titel ((Heimat 1: Chronique d’un rêve)) und ((Heimat 2: l’Exode)) anläuft, dreht der Regisseur das Rad der Zeit zurück und greift eine Spur auf, die er bereits im ersten Teil der ((Heimat))-Trilogie gelegt hatte: Dort kamen brasilianische Mitglieder der Familie Simon nach Schabbach, um an einem Begräbnis teilzunehmen.

affiche-heimat-petit_1384506537923-jpgEs ist soweit. Vor knapp zehn Jahren schloss Edgar Reitz die Trilogie Heimat ab, in der er anhand des Schicksals der Familie Simon aus dem fiktiven Dorf Schabbach im Hunsrück die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts nachzeichnete – nun liefert er nach. In seinem neuen Film Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht, der nun in Frankreich in zwei Teilen unter dem Titel Heimat 1: Chronique d’un rêve und Heimat 2: l’Exode anläuft, dreht der Regisseur das Rad der Zeit zurück und greift eine Spur auf, die er bereits im ersten Teil der Heimat-Trilogie gelegt hatte: Dort kamen brasilianische Mitglieder der Familie Simon nach Schabbach, um an einem Begräbnis teilzunehmen.

Reitz siedelt die Handlung in der sowohl politisch als auch wirtschaftlich äußerst schwierigen Zeit des Vormärz an. Angesichts der tyrannischen Obrigkeit schwingen Burschenschaftler die schwarz-rot-goldene Fahne; andere schleudern den Vertretern des Adels die mit der französischen Armee herübergekommenen Parolen „Liberté“ und „Egalité“ entgegen. Viele ziehen es vor, Deutschland den Rücken zu kehren und in das als Paradies gepriesene Brasilien auszuwandern. In diesem Klima verbringt Jakob Simon, dessen Schicksal sich als roter Faden durch den Film zieht und dessen Stimme das Geschehen zuweilen im Off kommentiert, seine Jugend. Der träumerische und sensible, ungewöhnlich intelligente junge Mann, der lesen kann und sich die Sprachen der südamerikanischen Ureinwohner selbst beigebracht hat, verschlingt jedes nur greifbare Buch über die „Indianer“. Er möchte „die Welt kennenlernen“ – gleich zu Anfang des Films klingt das titelgebende Thema der Sehnsucht durch Bilder einer auswandernden Bauernfamilie an. Als Jakob nach einer Prügelei den königlichen Beamten aus Trotz „Freiheit!“ entgegenruft, wird er prompt eingekerkert und weigert sich aus Idealismus – die Freiheit hat keinen Preis! –, die Kerkermeister mit Geld zu bestechen.

Der zweite Teil des Films steht ganz im Zeichen der Not, die in Deutschland und anderen Teilen Europas in jener Zeit um sich griff. Auf Jakobs persönliche Enttäuschung – als er aus dem Gefängnis entlassen wird, muss er feststellen, dass sein Bruder Gustav das „Jetchen“ geheiratet hat, das anfangs eher Jakob zugeneigt war – folgen im Dorfleben Leid und Tod. Im harten Winter sterben die kleinen Kinder des Dorfes an Diphtherie; in einer längeren Sequenz, die einem wahrlich unter die Haut geht, lässt Reitz uns an den Trauerzügen der Dorfgemeinde teilhaben. Sehr nahe geht dem Zuschauer auch die Szene, in der Jakobs lungenkranke Mutter, von Marita Breuer hervorragend gespielt, ihre sechs in jungem Alter verstorbenen Kinder zu erblicken meint.

heimat2-petit_1384506485109-jpgDurch die Schilderung von Wohl und Weh des Dorfes Schabbach betreibt Reitz in diesem Film auch ein stückweit Mentalitätsgeschichte. Der durch eine Mischung aus Religion und Aberglauben bestimmten Weltsicht der älteren Dorfbewohner, die im vorbeiziehenden Kometen den Vorboten des Weltuntergangs sehen, steht die eher aufgeklärte junge Generation gegenüber, die technische Neuerungen aufnimmt und sich (in Jakobs Fall) wissenschaftlichen Forschungen widmet. Auch ist es in den meisten Fällen die jüngere Generation, die der „Heimat“ den Rücken kehrt, um jenseits des Ozeans ihr Glück zu versuchen.

Entgegen aller Erwartungen ist es am Ende nicht Jakob, der Schabbach verlässt, sondern Gustav mit seiner Frau – auch deren kleine Tochter war im Winter der Krankheit zum Opfer gefallen. Auf ihrem bepackten Karren überqueren sie die sich leitmotivisch durch den Film ziehende Brücke, um sich „in den Tropen“ eine neue Existenz aufzubauen.

Der Zuschauer, der sich auf Reitz’ vierstündigen Film einlässt, wird durch die ihm gebotene Zeitreise reich belohnt, auch wenn der Regisseur es ihm nicht unbedingt leicht macht. Die Schauspieler sprechen einen starken Dialekt, angesichts dessen man auch als deutscher Muttersprachler zuweilen dankbar die französischen Untertitel liest. Überdies ist der Film in einem strengen Schwarz-weiß gehalten, das in vielerlei Hinsicht die Trostlosigkeit jener „bleiernen Zeit“ hervorhebt. Nur manchmal scheinen – gleich dem Hoffnungsschimmer des ersehnten ‚besseren Lebens’ in der Fremde – das volle Rot der Kirschen, das helle Blau der Blumen im Feld oder die Farben der schwarz-rot-goldenen Fahne hervor, ein durch digitale Nachkolorierung ermöglichter Effekt, der einige Bilder von berückender Schönheit entstehen lässt.

Zum Abschluss ein kleiner Hinweis für Freunde des deutschen Films: Am Ende kommt es zu einer bewegenden Begegnung zwischen Werner Herzog – der mit Jeder für sich und Gott gegen alle einst selbst ein Sittengemälde des 19. Jahrhunderts lieferte und hier einen elegant zurückhaltenden, leicht an Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt gemahnenden Alexander von Humboldt spielt und Edgar Reitz selbst, der als Hunsrücker Bauer auf der Leinwand erscheint.

 

Pour citer cette ressource :

Ferdinand Schlie, Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht von Edgar Reitz (2013), La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), novembre 2013. Consulté le 24/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/arts/cinema/die-andere-heimat-chronik-einer-sehnsucht-von-edgar-reitz-2013-