Interview mit Abbas Khider
Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. 1996 floh er aus dem Irak und kam 2000 nach Deutschland. Er studierte Philosophie und Literatur in München und Potsdam. Mittlerweile hat er seinen vierten Roman in deutscher Sprache veröffentlicht.
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Résumé de l'interview
I. Haben Sie besondere Rituale, die Sie zum Schreiben benutzen?
II. Wenn Sie bei einem Entwurf für ein Buch sind, machen Sie sich da Gedanken, ob Sie zu weit ins Extreme gehen und ob das Publikum das akzeptiert?
III. Als Sie nach Deutschland gekommen sind, gab es etwas, das besonders schwierig war? Vielleicht die Bürokratie?
IV. Gibt es Ihrer Meinung nach etwas, das der normale Deutsche, die Bevölkerung machen kann, um in dieser Situation zu helfen?
Transcription de l'interview (par Iris Cussac)
Herr Khider vielen Dank, dass Sie mit uns das Interview für La Clé des langues machen.
I. Haben Sie besondere Rituale, die Sie zum Schreiben benutzen?
Es ist Folgendes: Ich schreibe zuerst, zuerst mache ich Notizen. Ich habe nie nur eine Idee, sondern immer mehrere, zwei oder drei, und mache mir Notizen dazu. Und dann warte ich immer ab, das ist im ersten Jahr immer so, es dauert manchmal elf Monate lang, manchmal nur sechs Monate, oder ein Jahr, da mache ich einfach nur Notizen. Ich lese über die Themen, mache Recherchen und irgendwann setzt sich eine Idee durch. Dann verzichte ich auf die Anderen und bleibe dran. Es gibt unterschiedliche Autoren je nachdem, wie sie schreiben. Man beachte zum Beispiel Thomas Mann: sitzt jeden Tag vom Morgen bis Nachmittag und schreibt. Ich bin nicht so ein Typ.
Zuerst schreibe ich die Geschichte auf, egal wie, einfach nur aufschreiben.
In Stichpunkten, oder?
Nein, es ist Text, einfacher Text. Wenn ich alles habe, wenn in meinem Kopf alles vollständig ist, schreibe ich die Geschichte auf. Egal was aus mir herauskommt, Hauptsache es ist alles auf Papier. Manchmal dauert das zwischen vier und sechs Monaten. Dann habe ich sozusagen die erste Fassung. Dann sitze ich zwei drei Jahre daran und bearbeite sie. Ich mache mehrere Fassungen, bis ich eine Fassung erreiche, bei der ich sagen kann: „Hey, ich kann nichts mehr für dieses Buch tun.“ Das heißt, jetzt ist es fertig. So arbeite ich.
Normalerweise schreibe ich gern nachts, nicht tagsüber. Tagsüber korrigiere ich oder verändere Sachen, füge Feinheiten und Schönheiten hinzu, aber normalerweise schreibe ich nachts. Eigentlich ist es ziemlich egal, wo ich schreibe. Ich kann manchmal auf dem Sofa schreiben, ich habe auch ein Büro, ich schreibe auch da. Im Café auch gern, oder im Zug. Aber was die erste Idee, die erste Fassung betrifft, da muss ich wirklich in einem Büro sein. Danach kann ich wirklich überall schreiben.
Da sind sich die Autoren unterschiedlich. Ich glaube, wenn Reich-Ranicki da wäre und mich jetzt hören würde, würde er sagen: „Das ist keine Literatur!“
Also für die erste Fassung brauchen Sie zuerst die Ruhe, die aber später nicht unbedingt notwendig ist, da können Sie auch Stimmen um sich ertragen?
Ja. Die Ruhe ist sehr wichtig, am Anfang muss ich wirklich einsam sein. Ich liebe die Einsamkeit in dieser Zeit! Aber danach kann ich überall schreiben...
II. Bei Ohrfeige geht es darum, dass die Sachbearbeiterin des Asylbewerbers gefesselt und geohrfeigt wird. Wenn Sie bei einem Entwurf für ein Buch sind, machen Sie sich da Gedanken, ob Sie zu weit ins Extreme gehen und ob das Publikum das akzeptiert?
Das kommt eher später, nicht mit der ersten Fassung. Man macht sich natürlich Gedanken, deshalb hat es mit diesem Buch auch so lange gedauert. Ich wollte die beiden Gesellschaften nicht kritisieren, die deutsche Gesellschaft, die der Einheimischen, und die der Migranten. Und ich wollte objektiv bleiben. Es war keine einfache Aufgabe, weil ich auf der einen Seite ein Teil der deutschen Gesellschaft, auf der anderen Seite, auch Teil der Migrantengesellschaft bin, ob ich es will oder nicht. Ich kenne die beiden Welten und stecke mittendrin… Ich wollte objektiv sein, doch es war überhaupt nicht einfach. Ich hoffe, dass ich es geschafft habe.
Ich musste auf viele Geschichten und auf harte Ausdrücke verzichten. Bei dieser Aufgabe haben mir auch Leute geholfen, besonders mein Lektor. Im Allgemein war es jedoch keine einfache Aufgabe, dieses Buch zu schreiben, besonders wenn man sich mittendrin befindet. Ich fühlte mich verpflichtet, ich fühlte mich, wie gesagt, ein Teil der beiden Gesellschaften. Also versuchte ich, es darzustellen, wie ich es empfinde. Meine eigene Wahrheit.
So ist es immer, wenn man über bestimmte Realitäten oder Wirklichkeiten schreibt. Ich weiß ganz genau, dass meine Art, die Realität zu betrachten, für die beiden Seiten der Gesellschaft nicht einfach ist. Aber ich habe mein Bestes getan und versucht, so objektiv wie möglich zu bleiben. Ich versuchte, nicht zu bewerten. Ich wollte es objektiv darstellen. Der Leser selbst findet sein Urteil. Das war mein Ziel. Aber das hat lange gedauert und war wirklich nicht einfach.
Vier Jahre haben Sie daran gearbeitet.
Fast vier Jahre. Im ersten Jahr war die Idee da, aber ich habe mir Notizen gemacht, wie ich vorhin erzählt habe.
III. Als Sie nach Deutschland gekommen sind, gab es etwas, das besonders schwierig war? Sie wollten eigentlich nach Schweden, gab es etwas, was in Deutschland besonders schwierig zu akzeptieren war? Vielleicht die Bürokratie?
Ja auf jeden Fall, die Bürokratie spielt eine große Rolle in Deutschland. Das führt zu großen Schwierigkeiten und gibt einem das Gefühl, man kann nie etwas erreichen. Ich hatte manchmal das Gefühl, es gibt nicht einmal die Möglichkeit einer Integration. Es war eine harte Zeit. Ich glaube, die Mehrheit schafft es nicht.
Ich habe das Gefühl, man bewegt sich zwischen Integration und Sklaverei. In allen politischen Problemen sind sie die Verdächtigen. Erst im September, Köln danach, die Pariser Anschläge, die Brüssel-Anschläge. Dann die Polizeikontrollen, ständig. Behörden, Rassismus, Polizeirassismus (auch in Deutschland ist er wirklich sehr stark). Manchmal fühlt man sich wie ein Sklave, besser gesagt, wie ein Gefangener, gefangen in vielen Problemen.
Das war nicht einfach in Deutschland. Es ist immer noch nicht einfach, aber so sind die Realitäten, so sind die Tatsachen, da müssen wir durch. Wir müssen daran arbeiten, damit wir etwas erreichen. Ich kann behaupten, es hat sich viel in Deutschland geändert, es gibt auch Positives, das muss man zugeben. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es nicht so viele Ausländer in Deutschland und jetzt haben wir viele Ausländer, Migranten oder Neudeutsche (man mag sie betrachten, wie man will). Jetzt arbeiten viele in der Kunst, in der Literatur, in der Politik, im Sport: in vielen Bereichen des Lebens. Das heißt, es gibt eine Entwicklung. Diese Entwicklung wird immerwieder von bestimmten politischen Problemen gestoppt.
Aber man erkennt wirklich eine Verbesserung. Zum Beispiel hatten damals alle Migranten Schwierigkeiten, einen Sprachkurs zu bekommen. Es ist jetzt im Integrationsprozess etwas ganz neues, früher gab es das nicht. Damals durfte man nicht arbeiten, bevor man die Aufenthaltserlaubnis bekommen hatte. Und auch wenn man die Aufenthaltserlaubnis bekommen hat, wie macht man das mit der Krankenversicherung? mit einem Job, einer Wohnung, ohne Sprache? um nur anzufangen in einer fremden Gesellschaft? All diese Schwierigkeiten! Man denkt, man kommt an und dann ist alles in Ordnung! Damals bekam man als Taschengeld vierzig Euro monatlich und wöchentlich ein Esspaket, und musste davon leben, irgendwie neu anfangen. Wie soll man damit anfangen? So Kleinigkeiten... Integration in Deutschland ist wirklich nicht einfach.
Das ist natürlich nicht nur in Deutschland der Fall, sondern in vielen Ländern, aber allgemein ist es so in Europa. Es sind noch viele Probleme zu lösen und wir müssen wirklich daran arbeiten. Eins steht fest: Wir müssen auch ehrlich sein in der Frage. Es gibt gerade unglaublich viele Schwierigkeiten, weil wir nicht ehrlich sind. Soll man diese Menschen in unsere Gesellschaft als Teil der Gesellschaft akzeptieren oder nicht? Sind sie Deutsche oder nicht? Auf der Straße müssen sich Schwarzhaarige überall Polizeikontrollen stellen. Da fragt man sich: Wie soll man sein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln? Wie soll das passieren? Wir müssen darüber reden. Wie soll sich ein junger Mann oder ein junges Mädchen im Osten des Landes integrieren, wenn die beiden sich in einem Asylantenheim irgendwo in Brandenburg befinden? Sie können nicht mal am Abend alleine spazieren gehen, es ist gefährlich für sie. Wir müssen auch ehrlich über diese Dinge reden. Tatsächlich kann ich behaupten, wir reden immer noch nicht ehrlich über viele Dinge. Und ich finde es schade.
IV. Gibt es Ihrer Meinung nach etwas, das der normale Deutsche, die Bevölkerung machen kann, um in dieser Situation zu helfen? Nicht nur die Politik, sondern jeder einzelne?
Es ist wirklich sehr einfach: Diese Menschen, die hierherkommen, oder die, die unter uns leben, sind Menschen wie wir. Sie als Menschen zu betrachten, ist das wichtigste. Ist dies der Fall, sind viele Probleme gelöst! Ich glaube, wir sind immer noch nicht so weit in diesem Bereich, deswegen gibt es so viele Konflikte und so viele Probleme in unserer Gesellschaft. In der Entscheidung, wer die Aufenthaltserlaubnis bekommt und wer nicht, kann man sich nicht einmischen, da ist das System dran. Auch wenn Sie sich einmischen, können Sie nichts ändern. Wir müssen diese Menschen aber als Menschen anschauen. Mehr bräuchte man in Deutschland, in Frankreich oder in Europa erstmal nicht, nur mit ihnen als Menschen umzugehen. Aber ich muss wirklich zugeben, es ist nicht der Fall, noch nicht.
Vielen dank für das Gespräch.
Danke, vielen Dank, danke euch sehr.
Pour citer cette ressource :
Abbas Khider, Jana Gulyas, Roman Kaiser-Mühlecker, Interview mit Abbas Khider, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mars 2017. Consulté le 22/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/entretiens/interview-mit-abbas-khider