Abbas Khider: Brief in die Auberginenrepublik
Présentation
Abbas Khider hat einen langen Weg hinter sich gebracht, bis er Bücher auf deutsch verfasste. 1973 in Bagdad als Sohn eines Dattelverkäufers geboren, wurde er Teil einer Generation, die er als „Generation der Wütenden“ auf Saddam Hussein bezeichnete. Er verkaufte politisch verbotene Bücher und legte ihnen von Zeit zu Zeit regimekritische Flugblätter und Gedichte bei. Nachdem er zwei Semester Finanzwissenschaften studiert hatte – ein Studienfach, das ihm, wie zu dieser Zeit im Irak üblich, von der Regierung zugewiesen worden war – wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten festgenommen. Es folgten zwei Jahre Gefängnisstrafe und Folter. Nach seiner Freilassung floh er 1996 aus dem Irak. Er passierte diverse Länder in Asien und Nordafrika, bis er in Europa auf dem Weg nach Schweden im bayrischen Ansbach von der deutschen Polizei aufgegriffen wurde. Man holte ihn aus dem Zug, nahm seine Fingerabdrücke und erklärte ihm, dass er nun in Deutschland und in keinem anderen europäischen Land Asyl beantragen müsse. So kam Khider nach Deutschland und nicht nach Schweden, wo er sich die besten Chancen ausgerechnet hatte, seinen Traum zu verwirklichen: Studieren.
In Deutschland wohnte Khider zunächst in Asylwohnheimen, später auch in einem Obdachlosenheim. Er holte das deutsche Abitur nach und nahm das Studium der Literaturwissenschaften und der Philosophie auf.
Bereits im Irak hatte Khider bei Exilverlagen Bücher veröffentlicht. Nachdem er 2008 sein erstes Buch auf deutsch, Der falsche Inder, und 2011 Die Orangen des Präsidenten herausgebracht hatte, gewann er für seinen dritten Roman Brief in die Auberginenrepublik 2013 den Nelly-Sachs-Preis sowie den Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil. 2010 hatte er bereits den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis erhalten.
Der Brief in die Auberginenrepublik spielt in den späten 1990er Jahren in verschiedenen Ländern der arabischen Welt. Der 27-jährige Salim, der vor einer Gefängnisstrafe in Bagdad nach Bengasi in Libyen geflohen ist, erfährt von einem die gesamte arabische Welt überspannenden Kommunikationsnetz, mithilfe dessen er abseits des offiziellen Postwegs einen Brief an seine Geliebte Samia schicken kann. Zwei Jahre lang hat er ihr keine Nachricht senden können, weil die Verbindung zu politisch Verfolgten die Aufmerksamkeit der Behörden auf die Briefempfänger lenken würde. Für die stattliche Summe von 200 Dollar übergibt Salim seinen Brief an den Leiter eines Reisebüros. Auf verschiedensten Wegen – per Sammeltaxi, über Reiseagenturen, in Lastwagen – gelangt der Brief von Libyen über Ägypten und Jordanien schließlich in den Irak. Hier landet er jedoch in den Händen der irakischen Behörden...
Oft lässt Khider sich von seinen Erfahrungen inspirieren, von denen er zuhauf zehren kann: Nach seinen Reisen als Flüchtling war er allein elfmal im Gefängnis. Und doch zieht sich trotz aller Bitterkeit eine Unvoreingenommenheit durch seinen Stil, die selbst der Härte der politischen Verfolgung und der Diktatur eine gewisse Leichtigkeit verleiht.
„Ich glaube, ich schreibe über bittere Wirklichkeiten und über harte Realitäten,“ erklärt er im Interview. „[...] Ich würde sagen, dass es zwei Arten von Autoren gibt: Autoren wie Primo Levi, die diese harte Realität so dargestellt haben, wie sie ist. Solche Menschen haben immer irgendwann den Freitod gewählt. Sie konnten nicht mehr. Es gibt die zweite Sorte von Autoren, die mit diesen bitteren Wirklichkeiten mit Humor, Situationskomik und Ironie umgegangen sind, und die haben irgendwie überlebt, bis sie achtzig oder neunzig geworden sind. Ich glaube, es ist mehr eine Entscheidung für das Leben an sich. Und ich glaube, ich habe mich für die zweite Variante entschieden.“
Da ist zum Beispiel das Sammeltaxi von Bengasi nach Kairo, in dem vier Männer ihren Frust über das politische System herauslassen. Ein Lehrer berichtet, dass man ihn, Kollegen und Schüler an seiner Schule eines Tages dazu zwang, ein tiefes Loch zu graben. Alle befürchteten still, es könne ein Grab werden; schließlich wurde aber nur eine Steinplatte mit Gaddhafis Namen für die Nachwelt in den Boden eingelassen. Die Männer berichten von Todesängsten, vom Größenwahn und der Unberechenbarkeit des Regimes und von Methoden, die Folter im Gefängnis durchzustehen – fluchend und lachend.
Auch in Diktaturen wird gescherzt, und die Not macht erfinderisch. Der Titel des Romans bezeichnet den Irak als „Auberginenrepublik“, weil das Land von 1991 bis 2003 aufgrund eines Handelsembargos unter großer Lebensmittelknappheit litt. Es fehlte an allem, außer an Auberginen. Abbas Khider erklärt, dass die Aubergine den Speiseplan beherrschte: „Auberginenchips, Auberginen gekocht, gegrillt, Auberginensuppe; einige haben die Auberginen die „Könige der Bratpfanne“ oder die „Herren der Küche“ genannt. Viele junge Iraker fanden das sehr lustig; immer wenn die irakischen Politiker über den Irak geredet haben, haben sie gesagt: „Wir sind die erste Kultur der Welt!“, und die Jungs haben gelacht und das Land „Auberginenrepublik“ genannt.“
Nicht zuletzt schreibt Khider auch aus einem Gefühl der Verplichtung heraus: „Die Quelle aller Geschichten ist die Erfahrung des Autors. […] Natürlich versuche ich auch, die Geschichten der anderen Menschen aufzuschreiben, besonders der Menschen, die es nicht geschafft haben, ihre Geschichte weiterzuerzählen. Durch diese Kriege und diese Gefängnisse und diese Revolutionen, die ich erlebt habe, haben viele Menschen ihr Leben verloren – und keiner kennt ihre Geschichten. Und manchmal habe ich das Gefühl, ich bin verpflichtet, ihre Geschichten weiterzuerzählen. Deswegen sage ich, dass ich über die Zeit schreibe. Und ich bin ein Teil dieser Zeit.“
Es ist erstaunlich, wie Khider es bisweilen schafft, selbst die Bösewichte eines Regimes als runde Charaktere darzustellen. Diese Menschen, Händler, die ihren Vorteil aus der Situation schlagen wollen, Polizisten, die ihre Position ausnutzen, Ehefrauen, die unterstützen, bezeichnet er als „Schrauben im System“ und betont, dass sie oft handeln, ohne sich der Auswirkungen ihrer Handlungen bewusst zu sein: „Es geht immer um Personen. Ich glaube aber, dass das Problem immer das System ist. Manchmal ist das System mächtiger als die Personen. […] Ich will sagen: Solche Menschen sind auch Väter und haben eine Familie. Sie sind wirklich wie Schrauben im System – sie müssen foltern, weil das System es von ihnen verlangt. Sie können auch nicht anders – wenn sie nicht foltern würden, würden sie gefoltert. Und so verwandelt das diktatorische System die Menschen manchmal in komische Kreaturen. […] Und da versuche ich, nicht die Person als Bestie darzustellen, sondern das System.“
Auch sein neuer Roman, Ohrfeige, zeugt von dieser Weltsicht. Ein Asylanträger soll abgeschoben werden. Er geht aufs Asylamt, fesselt und ohrfeigt seine Sachbearbeiterin und zwingt sie, endlich seine Geschichte anzuhören. Anfang 2016 veröffentlicht, zeugt es in Deutschland ob der Brisanz der Flüchtlingsthematik von einer besonderen Aktualität.
„Ich wollte wirklich die beiden Gesellschaften nicht kritisieren,“ erklärt Khider, „ich wollte objektiv bleiben, und das war keine einfache Aufgabe. Einerseits bin ich Teil der deutschen Gesellschaft und Teil der Migranten, ob ich will oder nicht; ich kenne die beiden Seiten. […] Man fühlt sich auch irgendwie verpflichtet.“
In der aktuellen Situation, so Khider, sei es für jeden möglich, seinen Teil beizutragen: „Es ist wirklich sehr einfach. Man muss nur eins tun: Diese Menschen, die hierher kommen, oder die unter uns leben, sind Menschen wie wir. Diese als Menschen zu betrachten, ist das Wichtigste. Wenn das der Fall ist, haben wir viele, viele Probleme gelöst. Mehr braucht man in Deutschland oder Frankreich oder in Europa nicht.“
Somit wird Abbas Khider weiterschreiben – weiter auf deutsch und weiter für ein deutsches Publikum, in dessen Mitte endlich ein Schriftsteller den Platz einnehmen kann, der in der Flüchtlingsdebatte lange unbesetzt blieb.
Le 17 mai 2016, Abbas Khider était invité à Lyon pour parler de son roman "Brief in die Auberginenrepublik" à l'occasion de sa parution en français chez Piranha sous le titre "Lettre à la république des aubergines". Abbas Khider est interviewé par Joachim Umlauf, Marie Comard-Rentz assurant la traduction pour cette rencontre organisée en collaboration avec l'Institut Goethe de Lyon, la librairie Decitre et la maison d'édition Piranha.
Vidéo de l'entretien
https://video.ens-lyon.fr/eduscol-cdl/2017/ALL_2016_akhider_goethelyon_01.mp4
Résumé de l'entretien
I. Mise en perspective: la littérature allemande écrite par des écrivains immigrés-exemple des écrivains Wladimir Kaminer, Feridun Zaimoglu
II. Abbas Khiders Laufbahn
III. Der lange Weg vom Exil zur Integration in Deutschland
IV. Bei all Ihren Romanen hat man das Gefühl, dass sie starkt biografisch gefärbt sind.
-Ihr letzter Roman, Ohrfeige, hat viel Erfolg. Er beschreibt das Schicksal eines Asylantragenden in deutschen Ämtern.
V. Ihr Roman Brief in die Auberginenrepublik wurde gerade in Frankreich veröffentlicht. Wie ist der Titel zustande gekommen?
VI. Zusammenfassung des Romans
VII. Obwohl Sie von schrecklichen Dingen erzählen, tun Sie es mit einer Leichtigkeit, einer positiven Lebenseinstellung. Wie legt man dieses Gleichgewicht als Schriftsteller an?
VIII. Vorlesung eines Auszugs auf Deutsch
IX. Vorlesung eines Auszugs auf Französisch
X. Das diktatorische System und das Individuum
-Standpunkt der Frauen, der Reichen, der Opfer und Täter in einer Diktatur
-Wer trägt die Schuld, das System oder das Individuum?
XI. Man sagt, die deutsche Gesellschaft sei gespaltener als früher seit der Ankunft der Flüchtlinge. Spüren Sie das auch?
Pour citer cette ressource :
Abbas Khider, Jana Gulyas, Joachim Umlauf, "Abbas Khider: Brief in die Auberginenrepublik ", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mars 2017. Consulté le 05/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/entretiens/abbas-khider-brief-in-die-auberginenrepublik-