Jonas Lüscher: "Haben Sie Humor, wenn Sie alleine sind?"...
Jonas Lüscher, geboren 1976 in der Schweiz, wuchs in Bern auf, wo er 1994 - 1998 am Evangelischen Lehrerseminar Muristalden zum Primarlehrer ausgebildet wurde. Nach einigen Jahren als Stoffentwickler und Dramaturg in der Münchner Filmwirtschaft studierte er an der Hochschule für Philosophie München (2005 bis 2009). Nebenbei arbeitete Lüscher als freiberuflicher Lektor. Sein Studium schloss er 2009 mit der Erlangung des Magistergrades ab. Anschließend folgten zwei Jahre als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) der LMU München, 2011 wechselte Jonas Lüscher an die ETH Zürich. gleichzeitig arbeitete er als Ethiklehrer an der Staatlichen Wirtschaftsschule München/Pasing. 2011 wechselte Jonas Lüscher an die ETH Zürich. Lüscher lebt seit 2001 in München. Frühling der Barbaren wurde 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert, ebenso für den Schweizer Buchpreis. 2013 erhielt er den Franz-Hessel-Preis, den Berner Literaturpreis und den Bayerischer Kunstförderpreis, 2016 den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster und 2017 den Schweizer Buchpreis. (Quelle: www.chbeck.de)
„Haben Sie Humor, wenn Sie alleine sind?“…
…wollte Max Frisch in einem seiner Fragebögen wissen. „Hoffentlich!“ sollte man antworten können. Gerade wenn ich alleine bin, möchte ich den Humor nicht verlieren. Schrecklich wäre es, mit mir alleine zu sein, ohne Humor. Ohne die Möglichkeit über mich selbst zu lachen. So nah möchte ich mir gar nicht kommen, dass da kein Platz mehr wäre, für eine ironische Distanz zu mir selbst.
Es liesse sich zwar sagen, die Ironie sei in meinem literarischen Schreiben das humoristische Mittel der Wahl; das wäre nicht falsch, aber es griffe zu kurz, da mir die Ironie vielmehr Haltung ist, ja, sogar Lebensform und damit viel mehr, als nur ein weiteres beliebiges Werkzeug aus dem Besteckkasten des Literaten.
Ironiker zu sein, bedeutet zuallererst einmal ganz humorlos, dass einem das eigene Vokabular immerzu suspekt bleibt, dass man es als vorläufig und nie als abschliessend betrachtet, dass man sich jederzeit bewusst ist, dass Sprache täuschen und enttäuschen kann. Diese im besten Sinne skeptische Grundhaltung bewahrt einen davon, zum asketischen Priester zu werden; zu einem Systematiker, einem Verfechter der Reinheit.
Kundera hat natürlich recht, wenn er konstatiert der Roman sei aus dem Geist des Humors geboren und nicht aus dem theoretischen Geist. Der Roman fungiere sogar als dessen Widerpart und seine Autoren, unabhängig von ideologischen Gewissheiten, trennten des Nächtens - wie Penelope - das Geflecht wieder auf, das Tags zuvor eben jene asketischen Priester geflochten haben.
Wer sich den Reinheitsbemühungen verweigert, verschreibt sich der Lebenswelt und diese ist bevölkert von seltsamen Gesellen, dort werden wir Zeugen schier unerhörter Ereignisse, begegnen grotesken Missbildungen und rauher Schönheit; Übertreibungen dringen auf uns ein, schrille Schreie, banales Geschnatter, hilfloses Schweigen, verzweifelte Stille und dröhnendes Gelächter.
Es sind die asketischen Priester, die psalmierend durch karge, steinerne Kreuzgänge wandeln. Die Gesichter in den Kapuzen Ihrer Kutten verborgen, lassen sie ihre knochigen Nasen wie Ermahnungen in die frostige Luft ragen. Ausserhalb dieser Gedankengebäude aber, ist das Lächerliche allgegenwärtig, es erfüllt die Luft in den Straßen in denen der Karneval tobt. Es zu ignorieren, würde bedeuten, weder dem Geist des Romans, noch der Kontingenz der Sprache oder dem allgegenwärtigen Zufall gerecht zu werden.
Pour citer cette ressource :
Jonas Lüscher, "Jonas Lüscher: "Haben Sie Humor, wenn Sie alleine sind?"...", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mai 2019. Consulté le 05/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/textes-inedits/jonas-luscher-haben-sie-humor-wenn-sie-alleine-sind