Zwischen Isolation und internationalen Migrationen, die Mobilitäten der bolivianischen Hausangestellten
Voir l'original en français : « De l'enfermement aux migrations internationales, les mobilités des travailleuses domestiques boliviennes ». Publication en partenariat avec le site Géoconfluences Dies ist die deutsche Übersetzung eines Artikels auf Französisch von 2019 : "De l'enfermement aux migrations internationales, les mobilités des travailleuses domestiques boliviennes". |
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Als im Januar 2006 Evo Morales, der erste indigene Präsident der Republik Bolivien, die Zusammensetzung seiner Regierung ankündigt, weckt der Name seiner Justizministerin viele Kommentare. Sie heißt Casimira Rodriguez Romero (Abb. 1): eine Frau, eine indigene Frau aus einer Quechua Familie aus der Gegend von Cochabamba. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern ist sie keine Rechtsanwältin: sie arbeitete zwanzig Jahre lang als Hausangestellte und leitete lange Zeit die Gewerkschaft der Hausangestellten. Ihre Ankunft im Justizministerium als Repräsentantin der unsichtbaren Frauen der Arbeiterklasse, sowie die Reaktionen, die diese hervorrief, zeigen die Bedeutung und Herausforderung eben dieser Hausangestellten in Bolivien auf, von ganz unten auf der sozialen Leiter bis hinauf an die Spitze des Staates ((Vgl. Aufsatz von Alice Campaignolle, Irene Escudo und Carlos Heras, 2017 veröffentlicht auf TV5 Monde, in einem Interview mit Casimira Rodriguez, https://information.tv5monde.com/terriennes/en-bolivie-les-femmes-font-elles-la-loi-202726)). Der vorliegende Aufsatz hat zum Ziel, die Mobilitäten der weiblichen Hausangestellten in Bolivien zu untersuchen (mit Mobilität ist hier, im weiten Sinn, die Gesamtheit der Fahrten unterschiedlicher Größenordnungen gemeint, wobei sowohl die materiellen als auch die symbolischen Bedingungen dieser Fahrten in Betracht gezogen werden, und auch die internationalen Migrationen als eine ihrer Formen zur Mobilität dazugehören) ((Dieser Text stützt sich auf die Ergebnisse zweier Feldstudien. Die erste entstand zwischen 2002 und 2004 innerhalb der Gewerkschaft der weiblichen Hausangestellten von Santa Cruz de la Sierra und verbindet teilnehmende Beobachtung und Gespräche mit fünfzehn Gewerkschaftsmitgliedern. Die zweite entstand 2013 in La Paz und basiert auf Gesprächen mit sechs Gewerkschafterinnen und elf Verwaltern oder Arbeitsvermittlungsangestellten aus dem Stadtzentrum von La Paz und aus den Wohnvierteln im südlichen Stadtgebiet.)). Diese Frauen aus der Arbeiterklasse sind meist indigener Herkunft ; ihre Anstellung beschränkt sie auf die Wohnung ihrer Arbeitgeber und platziert sie ganz unten auf der sozialen Leiter. Dabei sind in Bolivien wie auch in vielen anderen südlichen Ländern die weiblichen Hausangestellten wichtige Akteurinnen der weiblichen Migrationen, und ihre Migrationsbahnen sind oft sehr vielschichtig. Hier offenbart sich der ganze Widerspruch von einem an das Domizil des Arbeitgebers gebundenen Beruf, der von in mehreren Hinsichten sehr mobilen Frauen ausgeübt wird. Ihre Arbeitsmobilitäten können interregionaler Art sein, vom Land zur Stadt (Blanchard, 2014b ; Gill, 1994 ; Stephenson, 1999), von den Anden in die Tiefebene (Blanchard, 2014a), aber auch international, in die benachbarten Schwellenländer (Argentinien, Brasilien und Chile) und auch nach Europa, vor allem Spanien und Italien (Baby-Collin und Perraudin, 2016). Es zeichnen sich aber auch innerstädtische Mobilitäten ab, gelegentliche oder regelmäßige. Der Sonntag als Ruhetag der Hausangestellten bietet Gelegenheit für Fahrten zu Freizeit- und Studienzwecken : es ist auch der Tag, an dem die Sitzungen der Gewerkschaften der Hausangestellten abgehalten werden ((Es existieren rund fünfzehn Gewerkschaften, die sich auf die bolivianischen Großstädte verteilen, welche sich zum nationalen Dachverband der weiblichen Hausangestellten von Bolivien FENATRAHOB zusammengeschlossen haben.)). Schließlich besteht auf dem Arbeitsmarkt für Hausangestellte eine starke Nachfrage ; seine Fluidität ermöglicht den Angestellten, Arbeitgeber und Stadtviertel zu wechseln. |
Abb. 1. Casimira Rodriguez Romero, ehemalige Justizministerin Die ehemalige Justizministerin stellt in Cochabamba ihre Memoiren vor, die unter dem Titel Camila : Memorias de la militancia política en el trabajo asalariado del hogar erschienen sind. Quelle : Gobierno autonomo departamental de Cochabamba, 2015. |
Die weiblichen Hausangestellten sind also in unterschiedlichen Hinsichten und Ausmaßen beweglich. Ihre Mobilität ist für sie eine Ressource, da die internen oder internationalen Migrationen eine der Bedingungen für ihre Anstellung darstellen ; so bedingt und begrenzt ihr Status ihre tägliche Bewegungsfreiheit und ihre mögliche soziale Mobilität. Ihre Verkehrswege und Laufbahnen werden durch die Linse der Herrschaftsverhältnisse und der familiären und beruflichen Strategien befragt werden.
1. Situation und Status der weiblichen Hausangestellten in Bolivien
Die weiblichen Hausangestellten sind sehr zahlreich in den großen Städten. Oft frischgebackene Städterinnen, erleben sie eine untergeordnete Position inmitten einer sehr hierarchischen städtischen Gesellschaft.
1.1. Städtische Nachfrage nach weiblicher Hausarbeit
Die Bevölkerung Boliviens wächst rasch und verstädtert. 1992 zählte Bolivien 6,4 Millionen Einwohner, 2001 waren es 8,3 Millionen, und bei der letzten Volkszählung 2012 ergaben sich 10 Millionen. Die bis Anfang der 1980er Jahre überwiegend ländliche Bevölkerung war zu zwei Dritteln städtisch geworden mit 67% Städtern (INE, Volkszählung von 2012). Die Nachfrage nach Hausarbeitsplätzen konzentriert sich, wie im übrigen Lateinamerika, auf die Großstädte, wo der Mittelstand und die Eliten zusammenkommen (Abb. 2): Von 72 000 gezählten Hausangestellten 2012 arbeitete knapp die Hälfte in den zwei größten Ballungsräumen des Landes. ‘Die Zentralachse’ verläuft von La Paz nach Santa Cruz über Cochabamba (Abb. 3), strukturiert das bolivianische Gebiet und polarisiert die häuslichen Arbeitskräfte (Abb. 2).
Abb. 2. Die Ballungsgebiete polarisieren die Hausarbeitsplätze
Quelle : INE, Ergebnisse der Volkszählung von 2012.
Abb. 3. Bolivien, Übersichtskarte
Diese Arbeitskraft ist fast vollständig weiblich: 97% Frauen von den gezählten Hausangestellten (wobei diese Zahlen relativiert werden sollten wegen der chronisch fehlenden Meldungen von Hausarbeitskräften, besonders von Seiten betrügerischer Arbeitgeber). Das Alter der weiblichen Hausangestellten variiert: 17% von ihnen sind unter zwanzig, und 7,4% sind über sechzig (INE, Volkszählung 2012). Ein Teil der Hausarbeitsplätze ist also von minderjährigen jungen Frauen besetzt, obwohl das Durchschnittsalter tendenziell ansteigt wegen des zunehmenden Schulbesuchs im Stadtgebiet. Kinderarbeit ab 14 Jahren ((Der Erlass eines Gesetzes 2014, welches Kinderarbeit als Selbständige mit 10 Jahren, als Angestellte mit 12 Jahren erlaubt und welches als Schaffung eines legalen Rahmens für die informelle Kinderarbeit präsentiert wurde, hatte lebhafte Kritiken bei den NRO und internationalen Institutionen hervorgerufen. Dieses Gesetz wurde 2018 vom Senat revidiert, da es gegen die internationalen Abkommen zum Kinderschutz verstieß.)), ist üblich und legal in Bolivien, wobei die Volljährigkeit auf 18 Jahre festgelegt ist. Unabhängig von ihrem Alter befinden sich Hausangestellte in den Haushalten, die sie beschäftigen, in einer untergeordneten Stellung.
1.2. Die untergeordnete Stellung der weiblichen Hausangestellten in der bolivianischen Gesellschaft
Welches ist der « Platz der Dienstmädchen » (Martin-Fugier, 1979) in den bolivianischen Familien? Die bolivianische Gesellschaft ist durch starke Ungleichheiten gekennzeichnet, die sich jedoch seit 2000 tendenziell verringern ((Der Gini-Index zur Messung von Ungleichheiten lag seit 2000 über 0,6 in Bolivien und sank seither deutlich mit 0,44 im Jahre 2017 (Quelle : Weltbank). Vergleichbare Trends, wenn auch weniger prononciert, wurden im übrigen Südamerika beobachtet.)). Das starke Wirtschaftswachstum in Verbindung mit einer Politik zur Bekämpfung der Armut – insbesondere durch die Anhebung des Mindestlohns – während der Regierungen von Evo Morales haben ein Ansteigen des Lebensstandards der Bolivianer ermöglicht.
Die weiblichen Hausangestellten, also Frauen aus der Arbeiterklasse, arbeiten im Dienst von Familien verschiedener sozioökonomischen Niveaus. Im Ballungsgebiet La Paz, das sich über die Höhenlagen erstreckt und von einer Art sozialen und räumlichen Trennung, und zwar höhenweise, gekennzeichnet ist, sieht die Nachfrage nach Hausarbeitskräften je nach Stadtteil verschieden aus. Das historische Zentrum, welches in einem Talkessel in 3600 m Höhe liegt, und seine Randzonen an den Abhängen dieses Talkessels mit einer ärmeren Bevölkerung, beherbergen gleichzeitig Familien aus der unteren und mittleren Mittelschicht sowie viele einfache Händler- und Handwerkerfamilien, deren volle Berufstätigkeit den Einsatz einer ganztägigen Hausangestellten erfordert. Das trifft auch für die Arbeiterviertel von El Alto zu, dem armen Doppelgänger von La Paz, der die Stadt vom andischen Hochplateau auf 4200 m Höhe beherrscht, und wo sich riesige Märkte befinden. In der Tat suchen die Händlerhaushalte, welche lange Arbeitszeiten auf den Straßen und den Märkten haben, nach Frauen, die sich um den täglichen Haushalt und die Aufsicht der Kinder kümmern. In der Mehrzahl der schulischen Einrichtungen Boliviens, wie auch in vielen Ländern des Südens, verbringen die Kinder nur wenige Stunden pro Tag in der Schule. Kinderkrippen und -horte haben sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht, aber bis zu Beginn des Jahres 2000 gab es nur wenige, und sie waren den Eliten vorbehalten. In den wohlhabenderen Wohnlagen der südlichen Zone, die sich über die Hänge unterhalb des Stadtzentrums erstrecken auf bis zu 3000 m Höhe, leben auch die vermögenderen Familien, Glieder der wirtschaftlichen Oberschicht oder ausländische Expats, welche in großen Häusern wohnen und eine Vielzahl von verschiedenen Hausangestellten beschäftigen: Kindermädchen, Köchinnen, Putzfrauen und Gärtner.
So erklärt Mario, Angestellter eines Kleinanzeigenladens: « alle brauchen eben eine Hausangestellte, auch die Mittelschicht, denn oft arbeiten beide Eltern, sogar in El Alto. Und die Marktfrauen brauchen diese Hilfe sogar noch dringender, denn sie sind unterwegs. Es ist eine Notwendigkeit geworden, eine Hausangestellte zu haben. » (Interview, La Paz, August 2013).
Es kommt vor, dass die weiblichen Hausangestellten im Haus ihrer Arbeitgeber Unterkunft finden. Dieser gemeinsame Wohnsitz, der bis in die 1990er Jahre die Norm war, geht zugunsten getrennter Unterkunft zurück, wie es schon in Brasilien seit den 1980er Jahren der Fall ist (Vidal, 2009). Sie nehmen innerhalb der Haushalte einen getrennten Platz ein, nach einer eigenen räumlichen Hausaufteilungslogik. In den gehobenen Wohnungen und Häusern sind Diensträume unterschiedlicher Größe vorgesehen: Dienstmädchenzimmer (oft in der Nähe des Dienstboteneingangs und weit entfernt von den Räumen der Arbeitgeber), Waschküche, Abstellraum, Remise … Die Verkehrswege der Hausangestellten im häuslichen Raum sind sehr kodifiziert : Die Diensträume sind den Angestellten vorbehalten, die in der Küche essen und arbeiten, die Waschküche versorgen und die die Räume der Arbeitgeber lediglich durchlaufen (Stephenson, 1999). Ihre Anwesenheit in den Schlafzimmern, Salons und Esszimmern (zum Putzen, zur Kinderversorgung und zur Bedienung) ist punktuell und zeitlich begrenzt, wie es die Zeichnung in Abb. 4 illustriert.
Abb. 4. Darstellungen der weiblichen Hausangestellten in den gewerkschaftlichen Mitteilungsblättern
Die Vermengung von Wohnsitz und Arbeitsplatz verwischt die Arbeitsbeziehungen und betont das Herrschaftsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Angestellten (Destremeau und Lautier, 2002). Die weiblichen Hausangestellten befinden sich an der Schnittstelle von mehreren Herrschaftsbeziehungen : Sie sind Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft, sie erleiden die Klassenunterschiede mit ihrer Beschäftigung auf der untersten Stufe der Berufshierarchie, und sie sind gekennzeichnet als Indigene in einer von ethno-rassischen Rangstufen stark geprägten Gesellschaft, wie auch im übrigen Lateinamerika. Diese Herrschaftsverhältnisse finden sich zum Beispiel in Mexiko wieder, wo Sévérine Durin (2014), in einer Studie zur Stadt Monterrey, schätzt, dass das « Dienstverhältnis im Haus eine ethnische Nische darstellt », ebenso auch in Peru (Bunster und Chaney, 1985) oder in Brasilien, wo die Mehrheit der Dienstboten schwarze oder gemischtrassische Frauen sind (Vidal, 2009). Der Auszug aus dem unten abgebildeten Comic (Abb. 5) bildet diese Schnittstelle der Herrschaftsbeziehungen ab. Dazu kommt, dass der Status der Hausangestellten lange Zeit zur informellen Beschäftigung gehörte. Das Gesetz zur Regelung der Hausarbeit wurde erst 2003 verabschiedet. Seither setzen sich die gesetzlichen Arbeitsnormen allmählich durch: Die Arbeiterinnen haben Anspruch auf einen Mindestlohn, auf einen freien Tag pro Woche und auf Zulagen. Trotz alledem macht die Unkenntnis des Gesetzes, die man bei den jungen Migrantinnen feststellen kann, welche erst seit kurzem vom Umland in die Stadt gekommen sind, diese besonders verwundbar gegenüber manchmal recht skrupellosen Arbeitgebern (Peñaranda u.a., 2006).
Abb. 5. Diskriminierungen, denen weibliche Hausangestellte ausgesetzt sind
Kasten 1. Die Stellung der indigenen Bevölkerung in Bolivien
Bolivien gilt als eines der indigensten – und ärmsten – Länder Amerikas. Mehrere Elemente ermöglichen es, die Stellung der indigenen Völker zu messen.
- Diese Stellung ist zunächst einmal offiziell : Bolivien ist seit 2009 ein Vielvölkerstaat mit 37 Amtssprachen, Spanisch sowie die Sprachen der 36 « Nationen und indigenen oder eingeborenen Völker », welche von der Verfassung anerkannt sind (Quechua und Aymara waren schon, mit Spanisch, seit 1977 Amtssprachen, und 2000 hatte ein Dekret das Spanische sowie 34 indigene Sprachen anerkannt).
- Die indigenen Völker sind aufgrund von Selbstdeklaration gezählt worden: 2001 erklärten 62 % der über Fünfzehnjährigen, « einem indigenen Volk anzugehören », und 2012 erklärten 41 % der Einwohner, « einer indigenen oder eingeborenen Nation oder Volk anzugehören ». Die beiden Gruppen, welche die meisten Menschen repräsentieren, die Quechuas (1,84 Millionen, 2012 oder 18,3 % der Bevölkerung) und die Aymaras (1,6 Millionen oder 15,9 % der Bevölkerung), stammen von der sesshaften Landbevölkerung des andinischen Hochlands und leben auch in den benachbarten Andenstaaten. Die anderen indigenen Völker bestehen aus sehr kleinen Gruppen, die über das Tiefland verstreut sind, mit Ausnahme einiger Völker wie die Chiquitanos (146 000 Einwohner im Jahr 2012) und die Guaranis (97 000 Einwohner im Jahr 2012), die man auch im benachbarten Paraguay findet. Der relative Rückgang der Selbstdeklaration als indigene Einwohner zwischen 2001 und 2012 hat viele Hypothesen ausgelöst, umso mehr, als nach den vorhergehenden Ergebnissen der Volkszählung mit nur 31 % der über Fünfzehnjährigen, die sich als indigen erklärt hatten, nun die letzten Ergebnisse die Zahl von 41 % indigenen Einwohnern der Gesamtbevölkerung hervorgebracht hatten. Diese Entwicklung wurde vor allem als eine Weigerung eines Teils der Bevölkerung interpretiert, indigene Themen in den Vordergrund zu stellen, wie das die Regierung getan hatte, und auch als eine Tendenz zur Abnahme der Selbstidentifikation der Städter, unter denen einige beanspruchen, Mestizen zu sein, einer in der Volkszählung von 2012 nicht vorkommenden Kategorie.
- Ein anderes Kriterium, um die Stellung der indigenen Völker zu messen, ist die Muttersprache : 2012 hatten 17,2 % der gezählten Personen über 4 Jahre Quechua als Muttersprache und 10,4 % Aymara. Die Anzahl der Personen, deren Muttersprache nicht Spanisch ist, nimmt weiter ab, ist jedoch höher in den ländlichen Regionen, wo auch die Armutsquote höher liegt als in der Stadt. In einem Land, das trotz der jüngsten Fortschritte eines der ärmsten Südamerikas geblieben ist (der HDI - Human Development Index - von Bolivien liegt 2015 mit 0,674 auf Platz 118 in der Welt), leben die Ärmsten überwiegend in den indigenen ländlichen Gebieten.
2. Maßstäbe und zeitliche Dimensionen der Migrationen von den weiblichen Hausangestellten
Die Migrationen der Hausangestellten beinhalten Hin- und Rückfahrten und vielfache Etappen auf nicht linearen Routen. Sie zeichnen Verläufe ab, die sich nicht nur auf mehreren räumlichen, sondern auch in mehreren zeitlichen Ebenen abspielen.
2.1. Frauen, die das Land verlassen, um in der Stadt zu arbeiten
Die meisten bolivianischen Hausangestellten kommen aus dem andinischen Land im Westen (Abb. 3), wo die Bevölkerungsdichte höher ist als im Tiefland, insbesondere in Amazonien (Blanchard, 2014a). Diese Migrantinnen vom Land sind hauptsächlich indigene Quechua- und Aymara-Frauen (Stephenson, 1999) ; sie tragen « traditionelle » Kleidung, eine Bluse, eine Weste, weite, wallende, pollera genannte Röcke, flache Ballerinen und einen Hut (Melone, Filzhut oder Strohhut, je nach Gegend) und werden in Bolivien cholitas genannt (Abb. 6).
Abb. 6. Cholitas in La Paz
Für die jungen Migrantinnen vom Land mit einer nur kurzen Schulausbildung ((In den jüngeren Generationen haben die meisten zwar keine bzw. nur eine unvollständige Sekundarausbildung, es sind aber alle in die Grundschule gegangen ; von den ältesten Frauen sind die meisten nur ein oder zwei Jahre zur Grundschule gegangen, solche aus den entlegensten Dörfern überhaupt nicht.)), stellt die Arbeit als Hausangestellte eine Chance zur Eingliederung in die Stadt dar : Die Nachfrage ist groß, die erforderlichen Qualifikationen oft minimal, und die Unterbringung beim Arbeitgeber ist ein Vorteil, denn alleinstehende Frauen ohne Anstellung haben nur schwer Zugang zum Wohnungsmarkt. Manche haben Beziehungen, bei denen sie unterkommen können, oft über ein verstreutes familiäres Netzwerk, das vielen Verkehrswegen zwischen Land und Stadt zugrunde liegt (Cortes, 2002). Aber diese Kontakte wohnen oft in weit entfernten Arbeitervierteln, was lange Anfahrtswege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz in chronisch verstopften Stadtteilen mit sich bringt, insbesondere in La Paz und Santa Cruz. Viele Arbeitgeber ziehen es vor, ihre Hausangestellten im Haus unterzubringen, da sie so verfügbarer sind (was Tür und Tor für vielerlei Übergriffe öffnen kann) und so viel weniger Fehlzeiten haben.
Die Abreise in die Stadt hat vielerlei Formen : Während die jüngeren Frauen häufig von ihren Eltern anderen Familienmitgliedern oder Beziehungen zur Arbeit anvertraut werden, befinden sich andere im Bruch mit ihrer Familie und fliehen schlechte Behandlung oder die Aussicht einer unerwünschten Eheschließung. Manche Frauen planen einen zeitlich befristeten Aufenthalt in der Stadt, um Geld für ein Heirats- oder Berufsvorhaben zu verdienen, etwa einen Laden im Heimatdorf zu öffnen : Hier gilt dann « fortgehen, um dazubleiben » (Cortes, 2000). Dabei dreht es sich jedoch häufig nur um einen ersten Schritt. Abb. 7 fasst die beiden Migrationswege von zwei Frauen zusammen, welche aufgrund von Interviews innerhalb der Gewerkschaft der Hausangestellten von Santa Cruz 2003/2004 zusammengestellt werden konnten. Bartolina stammt aus einem Dorf des Altiplano und war sehr jung bei einer Tante mit einem Laden in La Paz untergebracht worden. Sie kehrte dann wieder in ihr Dorf zurück, ist dann aber bis an die brasilianische Grenze entflohen, bevor sie dann nach Santa Cruz kam, dort von einer Stelle zur nächsten Arbeit gefunden hat und allmählich ihre Stellung verbessern konnte. Albertina hingegen hat ihr Dorf auf eigene Initiative mit achtzehn verlassen, um erst in La Paz, dann in Arequipa, Peru, zu arbeiten. Beide haben Hin- und Rückfahrten zwischen dem Dorf und den Städten, in denen sie gearbeitet haben, hinter sich, ein Zeichen für die variablen Zeitabläufe der Arbeitsmigrationen. Beiden Frauen ist auch gemeinsam, dass sie in Buenos Aires, Argentinien, gearbeitet haben : Die Migrationen der weiblichen Hausangestellten sind Teil des internationalen Arbeitsmarkts.
Abb. 7. Zwei Migrationswege von weiblichen Hausangestellten
2.2. Die Hausarbeit, ein internationaler Markt im Zentrum der care Wirtschaft
Die Implikationen des Arbeitsmarkts für Hausangestellte sind international. Wie Bartolina und Albertina bewegen sich die Hausangestellten auf internationalen Migrationen im Nahbereich, welche über das Lohngefälle Bolivien gegen die benachbarten aufstrebenden Länder Brasilien und Argentinien ausspielen. Die Migrantinnen schlagen auch den Weg in die nördlichen Länder ein, wo die Nachfrage nach Hausarbeitskräften stetig ansteigt: Die Bolivianerinnen gingen ab 1970-1980 zuerst in die Vereinigten Staaten. Seit 2001 haben die Visaeinschränkungen für die USA (Baby-Collin, 2015) die Entwicklung von neuen Migrationsfeldern in Südeuropa, nach Spanien (in das Bolivianer bis 2007 ohne Visum einreisen konnten) und nach Italien gefördert. Dieser Arbeitsmarkt entwickelt sich sehr schnell: Während die argentinische Krise zu Beginn der Jahre ab 2000 die Migrationsströme nach Europa orientiert hatte, hat die Krise in Spanien seit 2008 die Frauen dazu veranlasst, ihre Arbeitssuche nach Argentinien zu verlegen.
Kasten 2. Bolivien, Emigrationsland
Wie die übrigen Länder der Anden Amerikas erlebt Bolivien in den letzten Jahrzehnten bedeutende Emigrationsströme. Laut der Organisation für Internationale Migration gab es im Jahr 2017 weltweit 821 000 bolivianische Emigranten, also etwa 7% seiner Bevölkerung. Diese Emigranten konzentrieren sich hauptsächlich in einigen wenigen Ländern: Argentinien (435 000 Emigranten), Spanien (152 000 Emigranten), die Vereinigten Staaten (85 000 Emigranten), Brasilien (46 000 Emigranten) und Chile (39 000 Emigranten). Die anderen Zielländer, in Europa und in Amerika, vereinen nur ein paar tausende oder hunderte von Menschen.
Der Frauenanteil unter den Emigranten variiert je nach Zielland, ist aber schwer genauer zu quantifizieren : Die Daten der bolivianischen Volkszählung hinsichtlich der Emigranten sind unvollständig und beziehen sich auf nur 490 000 gezählte Migranten, wobei überwiegend die Emigranten neueren Datums erhoben wurden, sie geben jedoch eine Vorstellung der Geschlechterverteilung unter ihnen und zwar je nach Zielland. Man zählt 51% Frauen unter den gezählten Migranten, aber sie sind in der Minderzahl in Argentinien (46%) und Brasilien (44%), während sie gleich viele sind wie die Männer in den USA (50%) und klar in der Mehrheit in Spanien (61%).
Die Frauen, die in die nördlichen Länder abwandern, initiieren oft die Migrationen der Familie, viele sind dreißig oder vierzig Jahre alt und haben eine Familie zu versorgen. Nach Europa oder in die Vereinigten Staaten zu migrieren beinhaltet oft, zunächst einmal die Kinder in der Obhut der Familie zurückzulassen. Das führt zur Bildung von immer mehr transnationalen Familien (Baby-Collin und Perraudin, 2016 ; Cortès, 2011 ; Yepez u.a., 2011), deren Einkünfte durch Geldüberweisungen von den im Ausland arbeitenden Frauen gewährleistet sind.
Diese Wanderbewegungen bilden, was Arlie R. Hoschchild die « globalen care – Ketten » genannt hat (Ehrenreich und Hoschchild, 2003). Das englische Wort care verweist auf die Fürsorge für andere, sowohl materiell als auch affektiv. Diese Fürsorgearbeit kann auch einen Marktwert haben, wie bei der Kinderbetreuung und der Altenpflege, die oft den am meisten verwundbaren Frauen der Arbeiterklasse, welche häufig aus ethnischen Minoritäten stammen, überlassen wird (Molinier u.a., 2009). Dieser weltweite care Markt ist viel in den Vereinigten Staaten untersucht worden, wo die Migration der philippinischen Frauen, die in der Kinderbetreuung arbeiten, einem care drain, also einer « Abwanderung von care Arbeitskräften » entspricht, in Anlehnung an den brain drain (Ehrenreich und Hoschchild, 2003). Die Gefühlsarbeit verwandelt durch die Vermarktung der mütterlichen Liebe, dem « neuen Gold der Welt » (Ehrenreich und Hoschchild, 2003), den care in eine « globalisierte Ware » (Molinier u.a., 2009, S. 44). In Spanien, wo die individuelle Nachfrage nach Arbeitskräften in der Altenpflege sehr hoch ist, stellt der Hausarbeitssektor auch die wichtigste Einstiegspforte zum Arbeitsmarkt für die lateinamerikanischen Migrantinnen dar (Oso Casas, 2007).
Die Migrationsbewegungen der weiblichen Hausangestellten bestehen also aus einer Folge von Etappen, beginnend mit der Wanderung vom Dorf weg in die bolivianischen Großstädte bis hin zu den weiträumigeren Migrationen in die Länder des Nordens. Die vielfältigen Schwierigkeiten, denen diese Arbeiterinnen auf ihren hindernisreichen Wegen begegnen, können zur politischen Bewusstwerdung angesichts der Zwänge und Ungerechtigkeiten des Hausarbeitsstands führen. Das bringt manche Frauen dazu, im Rahmen einer Gewerkschaft der Hausangestellten für eine Verbesserung ihres Stands einzutreten, zum Beispiel mit der Forderung nach größerer Bewegungsfreiheit.
3. Die Mobilitäten der weiblichen Hausangestellten in der Stadt, zwischen Einsperrung und Fluidität
Die weiblichen Hausangestellten sind durch eben die Art ihrer Arbeit auf den beschränkten Raum des Wohnsitzes ihres Arbeitgebers beschränkt. Dennoch existieren je nach individueller Lage variable Mobilitäten entlang anderer Skalen.
3.1. Einsperrung und häusliche Sklaverei
Die häuslichen Bedingungen erzeugen eine starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Arbeiterinnen. Der Wohnsitz im Haus des Arbeitgebers, die vielen Arbeitsstunden und die moralische Kontrolle durch ihn – oder häufiger, durch die Arbeitgeberin (Rollins, 1990) – all dies bremst die tägliche Beweglichkeit sehr. Die Bedingungen der Hausarbeit ähneln oft der Knechtschaft, gar der Sklaverei. In ihren Memoiren bezeichnet Casimira Rodriguez Romero ihre ersten Arbeitsjahre in Cochabamba als « moderne Sklaverei » ((Casimira Rodriguez Romero. 2015. Camila : Memorias de la militancia política en el trabajo asalariado del hogar. Cochabamba : Kipus. 513 p.)). Die sehr jungen, von ihrer Familie getrennten Mädchen, vor allem solche, die von zu Hause davongelaufen sind, werden manchmal die Beute von skrupellosen Arbeitgebern, wie Yolanda von der Gewerkschaft Max Paredes berichtet, im Arbeiterviertel des Stadtzentrums von La Paz, 2013.
« Ich bin 2007 nach La Paz gekommen, um in einem Haus in der Costañera Straße zu arbeiten, in der Villa Copacabana. Die Frau hatte mir gesagt, komm bei mir arbeiten, es wird dir gut gehen, du kannst studieren. Ich bin mit ihr gegangen, und im ersten Jahr war sie eher freundlich und behandelte mich gut. Nach einem Jahr hat sie angefangen, mich nicht mehr zu bezahlen, sie sagte mir, sie würde mich in drei Monaten bezahlen, oder dass mein Geld auf der Bank sei, und dass sie meinen Lohn erhöhen würde, und ich, ich habe ihr geglaubt. Ich musste sehr früh aufstehen, ich fing um 7 Uhr mit der Arbeit an, ich bereitete das Frühstück zu, machte die Wohnung sauber, und ich musste mich um ihre Töchter kümmern, die verheiratet waren und ihre eigene Familie hatten, ich musste für sie kochen, mich um die Enkelkinder kümmern, den ganzen Tag lang musste ich mich um die ganze Familie kümmern. Ich habe für die Kinder gekocht, habe nach den Hunden gesehen, wusch deren Decken. Ich war im Haus eingesperrt, ich durfte nicht das Haus verlassen, ich habe von morgens bis abends gearbeitet. Sie haben mich daran gehindert, mit meiner Familie Kontakt aufzunehmen, meine Eltern dachten, ich sei nach Italien gegangen, weil ich ursprünglich dorthin wollte, dann haben sie nach mir gesucht, sie dachten, ich wäre tot. Ich konnte nicht ‘raus, wenn sie aus dem Haus gingen, haben sie mich eingesperrt. »
Die Fälle von im Wohnsitz ihrer Arbeitgeber eingesperrten Hausangestellten sind extrem häufig: « Die Geschichte der Kameradin Beatriz », die im Comic der Abb. 8 berichtet wird, bietet ein weiteres Beispiel. Ähnliche Tatsachen häufen sich noch mehr in den Lebensberichten des letzten Viertels des 20. Jh. (Blanchard, 2014-1), vor der Verbreitung von Handys und dem Internet, als die Mehrheit der Dörfer nicht an das Telefonnetz angeschlossen war. Es war sehr schwierig, die Beziehungen zwischen den Hausarbeiterinnen und ihren Familien auf dem Land aufrechtzuerhalten, und man war hauptsächlich auf die Besuche der Eltern oder von Bekannten in der Stadt angewiesen, oder auf die Besuche der Frauen selbst im Dorf. Die jungen Hausangestellten jedoch, die mit ihrer Familie gebrochen hatten, waren demnach den Gefahren von Misshandlungen ausgesetzt, was von unwürdigen Wohnbedingungen (eine Matratze in der Küche zum Beispiel) zu sexuellem Missbrauch gehen konnte (Drouilleau, 2009). Seit dem Gesetz von 2003, das den Rahmen für die Hausarbeit festlegt, kämpfen die Gewerkschaften in erster Linie gegen derartige Missbräuche, und schrecken nicht davor zurück, diese Fälle vor Gericht zu bringen, wie es oft in Brasilien geschieht (Vidal, 2009). Ihre hauptsächlichen Forderungen betreffen die Entlohnung (Einhaltung des Mindestlohns, Zahlung eines Neujahrsgeschenks und Entlassungsprämien bei Kündigung), die Einteilung der Arbeitszeit und den Zugang zur Fortbildung.
Abb. 8. « Die Geschichte der Kameradin Beatriz », die im Alter von 12 Jahren nach Sucre arbeiten ging, nach dem Tod ihres Vaters
3.2. Mobilitäten für Freizeit und Studium
Im Gesetz von 2003 zur Arbeit der Hausangestellten ist das Recht auf einen Ruhetag pro Woche (in der Regel der Sonntag) aufgeführt, das Recht, sich einer Gewerkschaft anzuschließen und der Zugang zum Schulbesuch. Mehr als nur das Recht auf Ausruhen ist der freie Tag die Bedingung für Freizeitmöglichkeiten in der Stadt. An diesem Tag werden die Gewerkschaftssitzungen und auch die sportlichen und kulturellen Aktivitäten organisiert. Die Gewerkschaften organisieren Ausbildungskurse, durch die die Arbeiterinnen neue Kompetenzen erwerben können und die ihnen damit Zugang zu besser bezahlten Stellen erschließen, zum Beispiel Kochkurse und Kinderpflege. Durch die Gewerkschaften, aber auch mit Hilfe privater Kurse, von denen es immer mehr in El Alto gibt, gelingt es sogar manchen Arbeiterinnen, wieder mit der Schulausbildung anzuknüpfen und so den Beruf zu wechseln. Der Zugang zur Fortbildung war lange nur ein Traum, er scheint aber in den letzten Jahren etwas erreichbarer geworden zu sein.
Der Sonntag ist auch ein Tag für Freizeitbeschäftigungen, bei denen man gleichzeitig auch die Stadt erkunden kann. Fußball, in Bolivien sehr beliebt ebenso wie sonst in Lateinamerika, wird auch von den Frauen der Arbeiterklasse gespielt, in der Stadt und auf dem Land; er existiert auch als futsal (Hallenfußball, in einer Sporthalle, oder auf einem kleinen Spielfeld, mit 5 Spielern statt 11). 2011 wurde eine Futsalmeisterschaft von den Gewerkschaften von Cochabamba, Pando, Sucre, Tarija und Trinidad organisiert (Mitteilungsblatt Equidad y Justizia n°26, September 2011). Teilnahme an Folkloretänzen (Abb. 9) ist auch eine beliebte Freizeitbeschäftigung, wo die Frauen Kontakte knüpfen können mit anderen Menschen aus den Andenregionen, wie etwa beim Fest von La Paz. Sportkleidung und Tanzkostüme können im Gewerkschaftsraum untergebracht werden, dessen besondere Funktion es ist, den Frauen einen sicheren Aufbewahrungsort für ihre Wertsachen zu bieten: Dieser Ort hat eine symbolische Zufluchtsfunktion, besonders wichtig für alle, die bei ihren Arbeitgebern wohnen und deren Privatsphäre verletzlich ist.
Abb. 9. Frauen der Gewerkschaft der weiblichen Hausangestellten von Santa Cruz im Tanzkostüm
Morenada beim Fest von La Paz. Photo : Sophie Blanchard, 2004.
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Kostümprobe vor dem Gewerkschaftsraum. Die Kostüme der Morenada-Tänzerinnen sind kostspielig und müssen jedes Jahr ausgetauscht werden, da die Farbe des Rocks und des Schultertuchs gewechselt wird. Um beim Umzug vom 16. Juli teilzunehmen, trainieren Tänzerinnen und Tänzer mehrere Monate. Photo : Sophie Blanchard, 2004.
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Die täglichen Gänge der weiblichen Hausangestellten unterliegen also einem besonderen Rhythmus, mit einem Wechsel von den arbeitsgebundenen Gängen von Montag bis Samstag (Einkaufen, Kinder von der Schule abholen oder im Park ausführen) und den Freizeitbeschäftigungen, die, von Ausnahmen abgesehen, auf den Sonntag konzentriert sind. Diese Unterbrechung am Wochenende ist nichts Ungewöhnliches und hat die Besonderheit, mit der Unterbrechung von eingeschränkten Mobilitäten und Freizeitmobilitäten übereinzustimmen.
3.3. Spezialisierung der Hausarbeit und Gelegenheiten für berufliche Mobilität
Die Fortbildungskurse für die Hausangestellten bilden ein Sprungbrett für berufliche Mobilität im Rahmen der Hausarbeit. Die Anstellungen als Köchin oder Kindermädchen haben mehr Prestige als die eines einfachen Dienstmädchens : Sie werden oft besser bezahlt, manche Arbeitgeber sind bereit, wesentlich mehr als den Mindestlohn für eine gute Köchin oder eine vertrauenswürdige « Nanny » auf den Tisch zu legen ; außerdem ist die Arbeitslast in einem Privathaushalt mit mehreren Hausangestellten oft geringer. So gibt es eine Stellenhierarchie, die sich mit der Hierarchie von Stadtteilen und Arbeitgebern verbindet, welche die vornehmen Stadtviertel (Equipetrol in Santa Cruz, der Süden von La Paz) und die vermögenden Arbeitgeber begünstigt, insbesondere die Expats (Blanchard, 2014b).
Die berufliche Mobilität innerhalb der Beschäftigung als Hausangestellte wird von einem sehr flexiblen Arbeitsmarkt und einer starken Nachfrage erleichtert. Die Arbeitsvermittler stellen den Kontakt her zwischen den Arbeitgebern auf der Suche nach Hausangestellten und den jungen Frauen auf Arbeitssuche (Abb. 10) : Die Agenturen befinden sich oft unmittelbar in der Nähe der großen Märkte in den Arbeitervierteln und stellen eine Ressource dar für die Arbeiterinnen, die von einer Stelle zur nächsten auf einem konkurrierenden und hierarchisierten Arbeitsmarkt gehen. Diese Agenturen arbeiten lokal im Rahmen des Stadtgebiets und bieten vor allem Stellen innerhalb ihres Viertels an. Wie man in den Stellenangeboten von Abb. 10 sehen kann, bevorzugt ein Teil der Arbeitgeber cholitas gegenüber westlich gekleideten Frauen (Peñaranda u.a., 2006). Die Zeiten, in denen die Frauen auf Stellensuche sind, machen sie mobiler und entdeckungsfreudiger bei ihren Erkundungen im Stadtgebiet.
Abb. 10. Aushang der Arbeitsagentur K-Sandra, welche Dienststellen anbietet (Hausangestellte, Verkäuferinnen, Bedienung)
Fazit
Die Mobilität erscheint als eine Ressource, wenn nicht als eine Notwendigkeit, für die Hausangestellten. Trotz der Unterordnung, der diese ausgesetzt sind, können sie dank ihrer Fähigkeit, von einer Stelle zur nächsten zu wechseln, insbesondere durch internationale Migrationsbewegungen, Strategien entwickeln und Verhandlungsspielräume ausnutzen im engen Rahmen der beruflichen Beziehungen. Der Status der weiblichen Hausangestellten entwickelt sich langsam zu mehr Unabhängigkeit: Unter dem Einfluss der Verstädterung und verlangsamter Landmigrationen ändern sich die Wohnbedingungen. Immer mehr Frauen haben Zugang zu einem von den Arbeitgebern getrennten Wohnraum. Jedoch sind die Auswirkungen dieser Veränderung zwiespältig: Während die Kontrolle durch die Arbeitgeber nachlässt, verlängern sich die Wege von und zur Arbeit, besonders im Umfeld von Metropolen wie La Paz und Santa Cruz, wo eine starke soziale und räumliche Segregation vorhanden ist, mit wachsender städtischer Ausdehnung und Überlastung der Verkehrsmittel. Oft geht die Möglichkeit, ein eigenes Familienleben zu führen, einher mit eingeschränkter Mobilität.
Fußnoten
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Sitographie
Site de la Fédération nationale des travailleuses domestiques de Bolivie, FENATRAHOB (Federación Nacional de Trabajadoras del Hogar de Bolivia).
Sophie BLANCHARD
Dozentin der Geographie, Universität Paris-Est Créteil, Lab'Urba
aus dem Französischen übersetzt von
Charlotte MUSSELWHITE-SCHWEITZER
Korrektur gelesen von Anne-Claire BOURON
Webbearbeitung: Cécilia Fernandez
Pour citer cette ressource :
Sophie Blanchard, Zwischen Isolation und internationalen Migrationen, die Mobilitäten der bolivianischen Hausangestellten, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), novembre 2023. Consulté le 03/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/civilisation/civilisation/immigration-et-integration/zwischen-isolation-und-internationalen-migrationen-die-mobilitaten-der-bolivianischen-hausangestellten