03. September 2021 - Heiko Maas und die Afghanistan-Diplomatie : eine Realpolitik um jeden Preis ?
Deutschland strebt neue diplomatische Vertretung in Afghanistan an
mrc/dpa (Spiegel online, 01/09/2021)
Außenminister Maas hat seine Reise zu Afghanistans Nachbarländern beendet, die deutsche Botschaft in Kabul ist verwaist. Doch das soll nicht lange so bleiben – trotz oder auch wegen der Taliban.
Die westlichen Nationen haben Afghanistan verlassen. Auch Deutschland hat nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban sein letztes militärisches und diplomatisches Personal aus Kabul ausgeflogen. Doch Außenminister Heiko Maas (SPD) will bald wieder eine diplomatische Vertretung in der Hauptstadt Kabul einrichten – unter bestimmten Bedingungen.
Meinung: Die Afghanistan-Diplomatie ist bescheiden geworden
Christoph Hasselbach (Deutsche Welle, 01/09/2021)
Eine Verständigung mit den Taliban, um Afghanistan zu stabilisieren. Das hat Bundesaußenminister Heiko Maas bei einer Reise in die Region oft zu hören bekommen. Ein unvermeidlicher Weg, meint Christoph Hasselbach.
Die neue Realität hat Heiko Maas sehr schnell eingeholt. Derselbe Außenminister, der noch vor wenigen Wochen eine schnelle Machtübernahme der Taliban ausgeschlossen hatte, bemüht sich jetzt um eine Verständigung mit ihnen als Sieger. "Es führt überhaupt kein Weg vorbei an Gesprächen mit den Taliban." Denn: "Wir können uns Instabilität in Afghanistan nicht leisten", so Maas am Dienstag in Doha, einer der Stationen seiner Reise.
Der Westen ist auf Katar angewiesen
Paul-Anton Krüger (Süddeutsche Zeitung, 02/09/2021)
Das Emirat hat auch in Deutschland nicht das beste Image. Aber ohne seine Diplomaten wäre beim Evakuierungseinsatz in Afghanistan wenig möglich gewesen.
Kein Zufall ist es, dass Außenminister Heiko Maas zum Ende seiner Rund-um-Afghanistan-Reise in Katar Station gemacht hat. Das Golfemirat ist zwar kein Nachbar, aber wohl dennoch das wichtigste Land im Umgang mit den Taliban. Katar beherbergt seit 2013 ein politisches Büro der islamistischen Extremisten, die teils mit Sanktionen belegt und als Terroristen eingestuft sind. Die Vertretung sollte dem Westen dessen ungeachtet Zugang zu ihnen ermöglichen.
Verhandlungen mit den Taliban: Sprechen, aber wie?
Ralf Bosen (Deutsche Welle, 01/09/2021)
Deutschland sucht seine Position im Umgang mit den Taliban. Um Leben zu retten, wird man mit den neuen Machthabern Afghanistans intensiver verhandeln müssen. Auch um eine Kettenreaktion zu verhindern.
Mit Terroristen verhandelt man nicht, beteuern viele Regierungen offiziell. Doch die Realpolitik spricht oftmals eine andere Sprache. Wie die Geschichte gezeigt hat, kam es immer wieder zu Situationen, in denen sich Regierungsvertreter zur Konfliktlösung mit Organisationen und Gruppen, die für Gewalt und Anschläge verantwortlich waren, an einen Tisch setzten. Wenn auch widerstrebend. Das galt beispielsweise für den Umgang mit der "Irisch-Republikanischen Armee" (IRA) oder der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" (PLO).
Ein ganzes Land in Geiselhaft
Im Falle Afghanistans wird die ebenso sensible wie umstrittene Verhandlungsfrage zu einem besonders brisanten Thema. Denn die militanten Islamisten haben fast die gesamte Bevölkerung praktisch in Geiselhaft genommen. Ein gewaltiges Faustpfand. Wer den Menschen helfen will, der kommt an den Taliban kaum vorbei. An jenen Kräften also, die während ihres "Islamischen Emirats Afghanistan" eine rund fünfjährige Schreckensherrschaft ausübten: von ihrer Eroberung Kabuls im September 1996 bis zum Einmarsch internationaler Truppen 2001.