20. Mai 2020 - Merkel und Macron schlagen Wiederaufbauplan für Europa vor
Merkel und Macron : Schulden machen für Europa
Barbara Wesel (Deutsche Welle, 18/05/2020)
Deutschland und Frankreich haben sich auf einen Corona-Wiederaufbaufonds geeinigt: Die EU-Kommission soll 500 Milliarden Euro Schulden aufnehmen, um die am stärksten betroffenen Länder direkt zu unterstützen.
"Es ist die schwerste Krise in der Geschichte Europas", sagt die Bundeskanzlerin lapidar - und sie erfordere Antworten. Damit man "gut und gestärkt" aus der Krise herauskomme, fügt Angela Merkel hinzu, müsse man zusammenarbeiten. Und wenn Deutschland und Frankreich sich einigten, könne das die Meinungsfindung der 27 Mitgliedsländer befördern - ein Hinweis auf den bitteren Streit der vergangenen Wochen. Zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron fordert sie, dass die EU aus ihrem Haushalt 500 Milliarden Euro für einen Corona-Wiederaufbaufonds bereitstellt - und sich dafür entsprechend verschuldet.
Nach einigen schwierigen Videokonferenzen, bei denen die Meinungen unter den EU-Regierungen dramatisch auseinanderliefen und eine Einigung kaum möglich schien, versuchen Merkel und Macron es jetzt mit dem deutsch-französischen Motor. "Es ist ein strategischer Wandel", erklärt Macron den gemeinsamen Vorschlag, wonach die Milliarden aus dem europäischen Haushalt direkt an die am stärksten von den Corona-Folgen betroffenen Mitgliedsländer gezahlt werden sollen.
500 Milliarden Euro: Das Anti-Krisen-Programm von Merkel und Macron
Ruth Berschens, Thomas Hanke und Thomas Sigmund (Handelsblatt, 18/05/2020)
Deutschland und Frankreich wollen im Kampf gegen die Coronakrise an einem Strang ziehen. Der Wiederaufbauplan der EU-Kommission soll aus drei Säulen bestehen.
Berlin, Brüssel, Paris Paris wollte mehr, Berlin weniger. Am Ende präsentierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron am Mittwoch einen 500-Milliarden-Euro schweren Wiederaufbau-Fonds. „Es ist die schwerste Krise, der die Europäische Union in ihrer Geschichte ausgesetzt war. Eine solche Krise erfordert auch die entsprechenden Antworten“, sagte Merkel nach einer Videokonferenz mit Macron.
Sollten sich die 27 EU-Regierungen und die EU-Kommission auf das Programm einigen, geht die Debatte um die Finanzen in den Ländern wohl erst los. Die nationalen Parlamente in den 27 EU-Staaten müssen das Vorhaben absegnen, der Bundestag pocht auf sein Haushaltsrecht. Merkel ging auf diese Hürden ein und sagte: „Wissend, dass wir 27 sind, glaube ich, wenn Deutschland und Frankreich einen Impuls geben, ist das etwas, was die Meinungsfindung in Europa befördert.“
Sind das Corona-Bonds durch die Hintertür?
Hendrik Kafsack (FAZ, 19/05/2020)
500 Milliarden Euro für Europa: So wollen es Merkel und Macron. Ist die EU damit auf dem Weg in die Schuldenunion? Was sagen die Regierungschefs anderer Länder? Ein Überblick.
Was hat es mit dem 500-Milliarden-Fonds auf sich?
Deutschland und Frankreich wollen, dass die EU an den Finanzmärkten 500 Milliarden Euro aufnimmt und damit einen zeitlich befristeten Wiederaufbaufonds finanziert. Das Geld soll anschließend als Zuschuss an die Mitgliedstaaten fließen, sie müssen es also nicht zurückzahlen. Profitieren sollen die am stärksten von der Pandemie getroffenen Sektoren und Regionen. Die Staaten sollen sich im Gegenzug zu soliden Staatsfinanzen und einer ehrgeizigen Reformpolitik verpflichten. Der Fonds soll auf dem EU-Haushalt 2021 bis 2027 aufsetzen und an dessen Programme anknüpfen.
Sind das Corona-Bonds durch die Hintertür?
Deutschland und Frankreich wollen, dass sich die EU angesichts der außergewöhnlichen Umstände über das in den EU-Verträge verankerte Verschuldungsverbot hinwegsetzt. Wenn die EU Geld an den Märkten aufnimmt, sprich Anleihen oder Bonds ausgibt, und das als Zuschüsse weiterreicht, sind das eindeutig gemeinsame Schulden der EU – zumal diese erst nach 2027 zurückgezahlt werden sollen. Es kommt der ursprünglichen Idee der Corona-Bonds somit sehr nahe. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron sind aber ebenso wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sicher, dass sie dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage schaffen können. Dabei dürfte auch der Artikel 122 des EU-Vertrags eine Rolle spielen, der „aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen“ einen „finanziellen Beistand der Union“ ermöglicht.
Merkel und Macron setzen die Zauderer unter Druck
Daniel Brössler und Björn Finke (Süddeutsche Zeitung, 19/05/2020)
Berlin und Paris hoffen, dass ihr Vorschlag eines Corona-Wiederaufbaufonds Gräben überwindet. Doch es werden lange Debatten und Anpassungen nötig sein.
Die EU-Kommission war besonders schnell. Als Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihren Plan für ein Corona-Hilfspaket vorstellten, ging bei Journalisten die Pressemitteilung mit der Reaktion Ursula von der Leyens früher ein als die Mail der deutschen EU-Vertretung, die das Programm erst mal skizzierte. Die Kommissionspräsidentin begrüßt demnach die Initiative, denn diese "geht in die Richtung des Vorschlags, an dem die Kommission arbeitet". Staats- und Regierungschefs der EU äußerten sich ebenfalls auffällig rasch, um Ablehnung oder Zustimmung kundzutun - untrügliche Zeichen dafür, dass Deutschland und Frankreich ihren Plan mit vielen Partnern besprochen hatten.
Doch eine Garantie, dass er verwirklicht wird, ist das nicht. Die wichtigsten Aspekte im Überblick.
Gemeinsame Schulden nur mit gemeinsamer Kontrolle
Kommentar von Markus Becker (Spiegel Online, 19/05/2020)
Dass Merkel und Macron die Corona-Schulden in der EU gemeinsam schultern wollen, ist richtig und notwendig. Nur sollte dann künftig auch gemeinsam über die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten entschieden werden.
Der deutsch-französische Motor läuft wieder. Das zumindest könnte man glauben, nachdem sich Angela Merkel und Emmanuel Macron auf einen Wiederaufbaufonds für die Zeit nach der Coronakrise geeinigt haben. Doch hat der Motor noch die Kraft, den Rest der EU mitzuziehen?
Zweifel sind angebracht. Die Kanzlerin und Frankreichs Präsident hatten ihre Pressekonferenzen kaum beendet, da meldete Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bereits Widerstand an. "Unsere Position bleibt unverändert", sagte Kurz, und er benutzte in diesem Moment nicht den Pluralis Majestatis. Er habe sich bereits mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark abgesprochen, erklärte Kurz. Man sei sich einig: Die von der EU-Kommission für den Fonds aufgenommen Schulden sollten nicht als Zuschüsse, sondern nur als Kredite an die Krisenländer ausgezahlt werden. Er hätte auch sagen können: "I want my money back", wie dazumal die britische Premierministerin Margaret Thatcher.