07. Mai 2020 - Zum Tod des Kraftwerk-Gründers Florian Schneider
Der Mensch und die Maschine
Tobias Rüther (FAZ, 06/05/2020)
Ohne ihn wäre die Popmusik von heute nicht die, die sie ist: Zum Tod von Florian Schneider, einem der Gründer und Genies der deutschen Elektronikgruppe Kraftwerk.
Die Popmusik des 20. Jahrhunderts hat eines ihrer Gründergenies verloren: Wie jetzt bekannt wurde, ist Florian Schneider im Alter von dreiundsiebzig Jahren gestorben. Gemeinsam mit seinem Studienfreund Ralf Hütter hatte Schneider 1970 Kraftwerk gegründet: Eine Band aus Düsseldorf in der alten Bundesrepublik Deutschland, deren Einfluss auf den Pop von heute nur mit dem der Beatles zu vergleichen ist oder dem von Elvis.
Eigentlich ist gar kein Vergleich zu klein: Denn ohne Kraftwerk wäre die elektronische Popmusik, wären Hip-Hop und Techno undenkbar. Auch, weil Schneider und Hütter vor fünfzig Jahren an den Geräten und Aufnahmetechniken zu forschen begannen, mit denen bis heute Hits geschrieben werden.
Der Roboter, der aus dem muffigen Nachkriegs-Westdeutschland ausbrach
Nachruf von Jan Kedves (Süddeutsche Zeitung, 06/05/2020)
Mit "Kraftwerk" revolutionierte Florian Schneider-Esleben den deutschen Pop. Ob er mit seiner Musik bereits Anfang der 80er-Jahre vor der heutigen digitalen Überwachungswelt warnte oder von ihr schwärmte, wurde nie ganz klar.
Man muss schon sehr von Technik begeistert sein, um davon zu träumen, dass Computer dem Menschen das Sprechen und Singen abnehmen könnten. Und um für viel Geld eine Musik-Software zu entwickeln, die "Robovox" heißt und die eigene Stimme, sowie die Stimmen der Bandkollegen, digital synthetisiert. Florian Schneider-Esleben war so ein technikbegeisterter Mensch. Als Hälfte der Düsseldorfer Kraftwerk GbR arbeitete er von 1970 bis 2009, das heißt 39 Jahre lang, daran, Popmusik als Rechnermusik in die Zukunft zu befördern. Er erfand dabei auch einen neuen, coolen deutschen Schlagersound.
Halb Wesen, halb Überding
Christoph Dallach (Spiegel Online, 07/05/2020)
Wohl keine deutsche Musikgruppe war einflussreicher als Kraftwerk. Mitverantwortlich dafür war Bandgründer und Klangpionier Florian Schneider - jetzt ist er im Alter von 73 Jahren verstorben.
Florian Schneider hielt nie viel davon, über sein Leben und seine Arbeit zu plaudern. Entsprechend einsilbig waren die wenigen Interviews, die er der Presse gewährte.
Das belegen nicht zuletzt die knappen drei Minuten, in denen eine TV-Reporterin 1998 vor einem Kraftwerk-Konzert in Rio de Janeiro versuchte, mit dem freundlichen, aber stoisch reservierten Musiker ins Gespräch zu kommen: "Was können wir von dem Konzert erwarten?", fragt die Frau. "Wir versuchen unser Bestes!", antwortet Schneider. "Welche Songs werden sie spielen?" Schneider: "Alle."
Der Generator steht still
Jens Balzer (Zeit Online, 07/05/2020)
Kraftwerk nahmen der Popmusik das Menschliche und wurden zum Vorbild unzähliger Künstler. Florian Schneider, einflussreicher Mitbegründer der Gruppe, ist nun verstorben.
Er kam aus den Tiefen der Tradition. Seine Karriere beginnt Florian Schneider, geboren 1947 als Sohn des Düsseldorfer Architekten Paul Schneider-Esleben, als Querflötist. In den Sechzigerjahren studiert er das Instrument ausgiebig am Robert-Schumann-Konservatorium seiner Heimatstadt, nebenher betätigt er sich in wechselnden Jazz-Bands. Doch hat er schon bald das Bedürfnis, das virtuose Spiel und den natürlichen Klang in etwas Anderes zu überführen; in eine Musik, die sich der Zukunft öffnet und darum mit der Tradition brechen muss. Er verstärkt und manipuliert seine Querflöte mit elektronischen und elektroakustischen Mitteln, er beginnt, mit frühen Synthesizern und Echo-Geräten zu arbeiten. In der Organisation zur Verwirklichung gemeinsamer Musikkonzepte, die er 1968 mit seinem Studienfreund Ralf Hütter gründet – einem ebenfalls am Konservatorium ausgebildeten Pianisten –, verbindet er die Free-Jazz-inspirierte Improvisationsmusik jener Zeit mit einem grundstürzenden Willen zum klanglichen Experiment.