29. März 2019 - Rammsteins neuester Teaser sorgt für Empörung in Deutschland
Rammstein-Video sorgt für Empörung
elwi./dpa (FAZ, 28/03/2019)
Rammstein wirbt für eine neue Single – mit einem Video, das die Band in Häftlingskleidung zeigt und mit KZ-Assoziationen spielt. Die jüdischen Verbände in Deutschland sind entsetzt.
Das Werbevideo, das die Band Rammstein am Dienstag veröffentlicht hat, dauert nur 35 Sekunden, und Musik ist darauf nicht zu hören. Trotzdem hat es innerhalb weniger Stunden für vehemente Reaktionen gesorgt. Schuld ist seine Symbolik.
Die Mitglieder der Band stehen darin mit Stricken um den Hals an einem Galgen. Es sieht aus, als warteten sie, aufs Äußerste gespannt, auf den Moment der Hinrichtung. Sie tragen gestreifte Gefangenenkleidung und Mützen, die Farben sind Grau in Grau gehalten, und Gitarrist Paul Landers trägt einen Judenstern auf der Brust. Dann wird das heutige Datum in lateinischen Ziffern eingeblendet: XXVIII.III.MMXIX. In frakturähnlicher Schrift endet das Video mit dem Wort „Deutschland“. Ein Hinweis auf eine neue Single, die erste seit zehn Jahren. Die Kommentarfunktion auf Youtube ist ausgestellt.
"Deutschland"-Video als wüster Ritt durch die Geschichte
Nadine Lange (Der Tagesspiegel, 28/03/2019)
Die Berliner Rockband Rammstein startet die Promokampagne für ihr neues Album mit einem geschmacklosen Clip - und einer Single namens "Deutschland".
„Deutschland, Deutschland über allen“, lautet eine zentrale Zeile aus der neuen Single der Berliner Rockband Rammstein. Die plumpe Anspielung an die nicht mehr gesungene erste Strophe der deutschen Hymne wird nationalistische Fans der Bands sicher freuen. Dass es in dem am Donnerstag veröffentlichten Song „Deutschland“ auch heißt „Deutschland – deine Liebe ist Fluch und Segen / Deutschland – meine Liebe kann ich dir nicht geben“ dient der Minimaldistanzierung der Band gegen rechte Vereinnahmung.
Das knapp neuneinhalbminütige Video zum Song, der mit einem an Anne Clarks „Our Darkness“ erinnernden Synthesizerloop beginnt, zeigt einen wüster Trip durch die deutsche Geschichte, in dem die Band in immer neuen Rollen auftritt. Ein Teil spielt in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager, in dem vier der sechs Bandmitglieder mit Schlingen um den Hals zu sehen sind.
Alles nicht so gemeint?
Sonja Zekri und Felix Stephan (Süddeutsche Zeitung, 28/03/2019)
In der Langversion des umstrittenen Rammstein-Videos distanziert sich Sänger Till Lindemann geradezu plakativ vom Nationalismus - und hat doch die Proteste jüdischer Verbände für die eigene Vermarktung eingespannt.
Ende des Jahres hat Michel Houellebecq Donald Trump gelobt. Ein Essay im amerikanischen Harper's Magazine trug den Titel "Donald Trump is a good president", und im Text fanden sich viele Übereinstimmungen zwischen dem französischen Schriftsteller und dem amerikanischen Präsidenten. Wenige Wochen später erschien Houellebecqs Roman "Serotonin", und wer auch immer geglaubt hatte, diesen Termin ignorieren zu können - nach Houllebecqs Trump-Huldigung war das kaum noch möglich.
Am Dienstagabend hat die Band Rammstein eine 35 Sekunden lange Szene aus dem Video zu ihrem neuen Album veröffentlicht. Es zeigt die Band-Mitglieder in der gestreiften Kleidung von KZ-Häftlingen mit einem gelben Stern auf der Brust. Sie stehen auf einer Art Galgen und tragen einen Strick um den Hals. Till Lindemann, der Sänger, blutet. Danach erscheint in Fraktur, weiß auf schwarz, unter einem irgendwie runenartigen oder eiserneskreuzartigen Logo das Wort "Deutschland".
Kann dich lieben, will dich hassen
Kommentar von Daniel Hornuff (Zeit Online, 28/03/2019)
Rammstein spielen in ihrem Video "Deutschland" mit faschistischer Ästhetik. Die Empörung war kalkuliert, ist aber unangebracht. Ihr Kurzfilm feiert die Kunst der Ironie.
Noch während das neue Rammstein-Musikvideo am Donnerstagabend um 18 Uhr auf YouTube erstmalig präsentiert wurde, bekundete der Twitter-User Dennis. sanfte Enttäuschung: "Vielleicht hätte ich mir bei dem Video eine noch klarere Message gewünscht. Irgendwas fehlt mir da aktuell noch."
Dass von dem Video eine möglichst eindeutige Aussage erwartet wurde, ist nur allzu verständlich. Schließlich hatte die Band selbst die Erwartungshaltung angeheizt, indem sie einen Tag vor Erstveröffentlichung der neuen Single Deutschland einen kurzen Videoausschnitt zeigte – der seinerseits eine ebenso plötzliche wie überschießende Empörung auslöste. Die Entrüstung, die von unterschiedlichsten Seiten vorgebracht wurde, reagierte auf eine vorab verbreitete Szene, in der sich die Mitglieder der Band als KZ-Häftlinge vor der Hinrichtung zeigten. "Wer den Holocaust zu Marketingzwecken missbraucht, handelt verwerflich und unmoralisch," erklärte daraufhin der Zentralrat der Juden.
Rammstein-Teaser: "Publizität auf Kosten von Holocaust-Opfern"
Interview mit Joachim Trebbe von Bettina Baumann (Deutsche Welle, 28/03/2019)
Sind Rammstein mit ihrem Auftritt als KZ-Häftlinge zu weit gegangen? Joachim Trebbe von der FU Berlin erklärt, warum das kurze Teaser-Video so viele empört und was das mit der deutschen Erinnerungskultur zu tun hat.
Till Lindemann und seine drei Bandkollegen stehen nebeneinander gereiht in rauer, düsterer Kulisse, Stricke um den Hals - in gestreifter Kleidung, die an die von KZ-Häftlingen erinnert. Eine langsame Kamerafahrt filmt den Galgen entlang, unter dem sie alle stehen.
So präsentieren sich Rammstein in einem neuen 35-sekündigen Video und haben bei Vertretern der Bundesregierung und in der jüdischen Community prompt für Empörung gesorgt.
Im DW-Interview erklärt Publizistik- und Medienwissenschaftler Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin, warum die Reaktionen so heftig sind, was das über die deutsche Erinnerungskultur aussagt. Und welches die entscheidenden Fragen sind, die sich eine Gesellschaft beim künstlerischen Umgang mit dem Thema Holocaust stellen sollte oder muss.
Deutsche Welle: Herr Trebbe, was war Ihr erster Gedanke, als Sie den kurzen Teaser des neuen Rammstein-Videos gesehen haben?