25. Mai 2018 - Merkel zum 11. Besuch in China
Es ist schwieriger geworden mit China
Marc Brost (Zeit Online, 24/05/2018)
Die Bundeskanzlerin ist noch immer eine wichtige Partnerin für die Chinesen – jedoch eine unter vielen. Seit ihrer ersten Reise hat sich das Kräfteverhältnis verschoben.
Vor allem ein Wort fällt immer wieder, als Angela Merkel gemeinsam mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang am Donnerstag in Peking vor die Presse tritt: Gegenseitigkeit. "Wir setzen auf fairen und freien Handel, der reziprok ausgestaltet sein muss", sagt Merkel. Auch Li spricht von gemeinsamen Zielen und gegenseitigem Respekt. Aber er legt auch Wert auf ein anderes Wort: Augenhöhe. So wünscht er sich das deutsch-chinesische Verhältnis. So will China von Deutschland wahrgenommen werden.
Merkel ist zum elften Mal nach Chinagekommen, sie war inzwischen öfters hier als jeder andere westliche Regierungschef – und dennoch betritt auch sie diesmal Neuland. Denn China hat sich verändert. Nicht nur wegen der ungeheuren wirtschaftlichen Dynamik, des Baubooms und der Glitzerfassaden, die jetzt überall zu sehen sind. Die chinesische Führung ist selbstbewusster geworden, formuliert die eigenen Ansprüche deutlicher – auch in den politischen Gesprächen mit Merkel. Und: Es ist schwieriger geworden, Menschenrechtsfragen anzusprechen.
Merkel, Xi und der unsichtbare Dritte
Johnny Erling (Welt, 24/05/2018)
Die Bundeskanzlerin spricht bei ihrem Besuch in Peking Klartext, kritisiert auch Chinas unfaire Handelspolitik – und erhält überraschend Zugeständnisse. Das könnte auch an US-Präsident Donald Trump liegen.
Wenn Chinas Führer ausländische Staatsgäste treffen, dürfen Journalisten nur wenige Minuten ihren Eingangsstatements lauschen, bevor sie den Saal verlassen müssen. Meist bekommen sie nur freundliche, belanglose Floskeln zu hören. So war es auch am Donnerstag, als Premier Li Keqiang Kanzlerin Angela Merkel in der Großen Halle des Volkes willkommen hieß. Er lobte ihren elften Besuch in China.
Merkel dagegen nutzte die Zeit, in der die Journalisten noch zuhören durften, um gleich zur Sache zu kommen. Beide Seiten seien in ihren Beziehungen so eng, dass sie nicht nur offen miteinander redeten, sondern auch gemeinsam nach Lösungswegen suchten. Mit Hinweis auf die Menschenrechtsprobleme erlaubte sie sich, ohne den Gastgeber zu verprellen, die Mahnung: „Wir müssen aufpassen, auch alles ausfüllen zu können, was wir vereinbaren.“
Ein kräftezehrender Besuch
Friederike Böge und Eckart Lohse (FAZ, 24/05/2018)
Zum elften Mal ist Bundeskanzlerin Merkel in China. Das Land tritt inzwischen viel selbstbewusster auf. Und auf die alten Verbündeten ist kein Verlass mehr.
Da ist sie wieder. Äußerlich ist alles wie beim ersten Mal. Der Aufmarschplatz vor der Großen Halle des Volkes liegt in der Sonne, die am Donnerstag schon um 10 Uhr vormittags heiß vom chinesischen Himmel brennt. Die Militärkapelle der Volksbefreiungsarmee spielt die deutsche, dann die chinesische Hymne. An der Seite von Ministerpräsident Li Keqiang eilt Angela Merkel in dunkler Hose und hellblauem Blazer über den roten Teppich, der in exakt denselben Winkeln – mal spitz, mal neunzig Grad – ausgelegt ist wie vor fast auf den Tag genau zwölf Jahren.
Damals, als Merkel erstmals in ihrem neuen Amt nach China gereist war, hatte die chinesische Führung wenn nicht pikiert, so doch mit scharfem Blick festgestellt, dass die deutsche Regierungschefin bereits zweimal beim großen westlichen Verbündeten und Partner in Washington gewesen war, bevor sie sich ein halbes Jahr nach ihrer Vereidigung auf den Weg nach Osten machte. Schon dieser Blick zurück zeigt, dass es dieses Mal keineswegs wie beim ersten Mal ist. Die chinesische Führung hatte deutlich gemacht, dass sie Wert darauf lege, bereits im Reigen der ersten „Antrittsbesuche“ der zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählten CDU-Vorsitzenden dabei zu sein. Der Wunsch wurde erhört in Berlin. Nur einmal, für weniger als 24 Stunden, war die Kanzlerin Ende April bei dem neuerdings so schwierigen Partner in Washington gewesen, hatte rasch noch beim russischen Präsidenten Putin vorbeigeschaut und war dann ins Reich der Mitte gereist.
Radikal ernüchtert
Stefan Braun (Süddeutsche Zeitung, 24/05/2018)
Kanzlerin Merkel bekommt während ihres China-Besuchs zu spüren, wie verschwommen die Grenzen zwischen Freund und Feind sind. Beim Atomabkommen mit Iran übt sie den Schulterschluss mit Peking - drei andere Themen sorgen jedoch für Konflikte.
Verbündeter? Konkurrent? Freund? Feind? Oder doch irgendwas dazwischen? Als Li Keqiang an der Seite von Angela Merkel die Pressekonferenz beginnt, lächelt der chinesische Ministerpräsident so freundlich, dass man für einen Moment geneigt sein könnte, tatsächlich das Beste für möglich zu halten.
Li spricht von einer großen Freude über den Besuch aus Deutschland. Beide Länder seien für den Welthandel, beide suchten multilaterale Lösungen für internationale Konflikte. Eng seien deshalb die Beziehungen und fruchtbar das Verhältnis zwischen den beiden Regierungen. Nur eines gebe es dabei noch zu sagen: "Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte." Zugewandt will Li wirken, wie ein Freund.
Und doch, so angenehm das in den Ohren klingen mag - die chinesische Führung wird nicht zum neuen engsten Freund werden. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass sich Berlin oder Peking in ihren Interessen plötzlich ganz neu ausrichten würden. Was jahrzehntelang galt, wird nicht sofort auf den Kopf gestellt.
Beim elften Besuch ist alles anders
René Pfister (Spiegel Online, 24/05/2018)
US-Präsident Trump macht die Welt immer unberechenbarer. Kanzlerin Merkel sucht daher den Schulterschluss mit China. Problem: Das Land ist Geschäftspartner und Rivale zugleich.
Wenn es darum geht, sein Land als verlässlichen Partner darzustellen, hat Li Keqiang inzwischen einige Übung. Am Donnerstagmorgen stand der chinesische Premierminister nun neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und kritisierte den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran. "Das hat Konsequenzen für die ganze Welt", sagt Li und versichert gleichzeitig, sein Land stehe zu dem Vertrag. Unabhängig davon, wie sich die USA verhielten.
Merkel wird das gerne gehört haben. Eigentlich ist ihr zweitägiger Besuch in China kaum mehr als Routine. Zum elften Mal bereist die Kanzlerin das Land, am Donnerstagmorgen wurde sie in Peking von Li vor der großen Halle des Volkes mit militärischen Ehren empfangen. Kanonensalven hallten zur Begrüßung durch die Innenstadt. Doch der Besuch ist eben auch besonders, weil der amerikanische Präsident Donald Trump heißt und der gerade dabei ist, die Welt, wie man sie kannte, auf den Kopf zu stellen.
Li Keqiang und die Zipfelmütze
Kommentar von Georg Blume (Spiegel Online, 24/05/2018)
China wird zur technologischen Übermacht, und China beutet Rohstoffe in Afrika aus. China ist effizient, und China missachtet Menschenrechte. Über all das müssten die Deutschen reden und streiten. Aber sie verkriechen sich lieber.
Die Deutschen müssen China lieben und hassen lernen wie die USA. Bundeskanzlerin Angela Merkel hilft dabei auf ihrer Reise durch China leider nicht.
Im Jahr 1967 erschien der historische Bestseller des französischen Journalisten Jean-Jacques Servan-Schreiber mit dem Titel "Die amerikanische Herausforderung". Das Buch kam in Paris mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren auf den Markt, das war für ein Sachbuch hoch und nur dem in Frankreich damals schon hohen Ansehen des Autors zu verdanken. Doch dann gingen in zwei Jahren weltweit 10 Millionen Exemplare über den Ladentisch, und der ganze Westen stritt über das Buch. So ein Unruhe stiftendes Pamphlet bräuchte es heute über China, während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel geschmeidig und lautlos wie immer durch die Volkrepublik bewegt.
Merkel erlebt zum Schluss ihrer China-Reise eine "Druckbetankung Zukunft"
rtr (Handelsblatt, 25/05/2018)
China arbeitet mit Hochdruck an künstlicher Intelligenz und neuen Technologien. In Shenzhen entdeckt Kanzlerin Merkel die Geschwindigkeit.
Shenzhen Was Angela Merkel in Shenzhen erlebt, gleicht einer „Druckbetankung Zukunft“. Schon als die Kanzlerin am Freitagmorgen vom Flughafen in das Shangri-La-Hotel der chinesischen Provinzstadt fährt, gleicht die Kulisse einer Baustelle: Überall wird an neuen Hochhäusern gebaut.
„Diese Stadt steht stellvertretend für diese Öffnung“, sagt Merkel wenig später in einem Siemens-Werk, in dem für den chinesischen und amerikanischen Markt modernste Computertomografen gebaut werden. In nur 40 Jahren habe sich das Fischerdorf mit 30.000 Einwohnern zu einer Metropole mit 21 Millionen Menschen entwickelt.