16. März 2018 - Streit um den Schriftsteller Uwe Tellkamp nach rechtseingestuften Aussagen
Wo politische Meinung aufhört und Wahnsysteme anfangen
Johan Schloemann (Süddeutsche Zeitung, 13/03/2018)
Natürlich darf Uwe Tellkamp rechtspopulistische Thesen herunterbeten. Man müsste dann nur aufzeigen, wo sie in plumpe Ressentiments kippen. Leider will nur gerade keiner der sein, der solche Grenzen definiert.
Wie geht es weiter mit Uwe Tellkamp? Die Frage betrifft die politische Debatte, die Literatur und beides im Verhältnis zueinander.
Zum einen ringt der Dresdner Schriftsteller sichtlich mit seinem literarischen Stoff. Eine Fortsetzung seines 2008 im Suhrkamp Verlag erschienenen, später auch verfilmten Bestsellerromans "Der Turm" war schon länger angekündigt. Das Buch soll, so der letzte Stand, "Lava" heißen und laut Verlag "voraussichtlich" im Herbst 2019 erscheinen. Unsicher ist aber bisher, ob das Epos vom Dresdner Bürgertum im nächsten Teil in die Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung, wie der Autor zunächst in Aussicht stellte, oder doch weit darüber hinaus ausgreifen soll, also näher in die Gegenwart.
Jemandem auf die Nase hauen und dann Aua rufen
Kommentar von Georg Diez (Spiegel Online, 13/03/2018)
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat sich mit seinen Aussagen zur Flüchtlingspolitik rechts positioniert, sein Verlag hat sich distanziert. Beide können und dürfen das. Die Meinungsfreiheit ist erst in Gefahr, wenn sich kein Widerspruch mehr regt.
Wie rückt eine Republik nach rechts? Wie kann man rechtes Denken etablieren oder verhindern? Wie geht die "konservative Revolution", von der nun nach Alexander Dobrindt von der CSU auch der FDP-Mann Christian Lindner spricht und gegen die sicher auch die AfD nichts hätte?
Diese Fragen bilden den Hintergrund für den symbolisch aufgeladenen Streit um Uwe Tellkamp, der eigentlich gar keiner ist, denn was passiert ist, war im Grunde etwas sehr Normales - aber weil die Zeiten hysterisch sind und das Misstrauen sich immer mehr in die Menschen frisst, ist eben gerade kaum noch etwas normal.
Der Schriftsteller Tellkamp hat öffentlich seine Meinung gesagt, er fühlt sich von Merkel verraten und von Flüchtlingen verfolgt, was zum Tenor der Rechten gehört. Der Dichter Durs Grünbein hat ihm öffentlich widersprochen, der Suhrkamp-Verlag, bei dem Tellkamps und Grünbeins Bücher erscheinen, hat Tellkamp ebenfalls öffentlich widersprochen. Manche nennen das funktionierende Demokratie, manche nennen das Meinungsfreiheit, alles okay.
"Hinter der Meinungsfreiheit verbirgt sich mitunter jede Form von Gemeinheit"
doer (Süddeutsche Zeitung, 13/03/2018)
Nach seinem Streitgespräch mit Uwe Tellkamp wundert sich Lyriker Durs Grünbein über die Ostdeutschen, die in die "Sozialsysteme des Westens" eingewandert seien und "sich heute über den Zuzug aus anderen Erdteilen" beklagten.
Der Lyriker Durs Grünbein hat nach dem Streit mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp in Dresden eine tiefe Spaltung der Gesellschaft festgestellt. In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung (Mittwochsausgabe) schreibt er: "Die einen bedauern dies und sind der täglich sich ausweitenden Spannungen müde", andere aber "begrüßen die Spaltung und versprechen sich vom offenen Streit eine reinigende Wirkung". Tellkamp hatte im Dresdener Kulturpalast am Donnerstag behauptet, 95 Prozent der Flüchtlinge seien in die Sozialsysteme "eingewandert". Der Suhrkamp-Verlag, der beide Autoren herausbringt, hatte sich daraufhin von Tellkamp distanziert.
"Der Suhrkamp-Verlag hat seinen Autor verraten"
epd (FAZ, 15/03/2018)
Wer in Deutschland offen seine Meinung sage, dem drohe Ächtung, sagt die Schriftstellerin Monika Maron mit Blick auf die Reaktionen auf Uwe Tellkamps Äußerungen. Mit dem Verlag des Kollegen geht sie ins Gericht.
Die Schriftstellerin Monika Maron hat die umstrittenen Äußerungen ihres Kollegen Uwe Tellkamp über Flüchtlinge und den Islam verteidigt. Tellkamp habe zwar eine Diktion, die ihr nicht aus dem Herzen spreche, sagte Maron an diesem Donnerstag in einem Interview des Deutschlandfunks. Bis auf einen Satz und eine Kleinigkeit habe sie in seinen Aussagen aber nichts gefunden, was nicht ohnehin in Zeitungen diskutiert werde. „Ich verstehe die Aufregung nicht“, sagte die Autorin.
Niemand bestreite, dass sich der Islam auf der ganzen Welt radikalisiere, sagte Maron. Man wisse, was in Moscheen gepredigt werde und dass sich an Schulen „eine konservative oder auch aggressive islamische Tendenz“ durchsetze.
Suhrkamp distanziert sich von Tellkamp? Das ist erstaunlich
Gerrit Bartels (Der Tagesspiegel, 10/03/2018)
Leipzig diskutiert, ob man rechte Verlage auf der Buchmesse dulden soll oder nicht. Und Schriftsteller Uwe Tellkamp outet sich währenddessen als AfD- und Pegida-Fan.
Am kommenden Mittwoch erst wird die Leipziger Buchmesse eröffnet, doch schon jetzt hat sie ihren Aufreger, der sie wohl bis zum Sonntag begleiten wird: die rechten Verlage, vier, fünf an der Zahl, die in den Messehallen ausstellen dürfen. Was von Messedirektor Oliver Zille damit begründet wurde, dass die Buchmesse ein „öffentlicher Raum“ sei und sie „qua ihres eigenen Statutes für die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit“ eintrete. Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat hatte sich vor ein paar Tagen erfolglos für eine Ausladung der Verlage eingesetzt, und nun haben auch Studierende der deutschsprachigen Literaturinstitute in einer Petition an die Stadt den Ausschluss rechter Verlage von der Messe gefordert.
Die große Depression
Thomas Assheuer (Zeit Online, 14/03/2018)
Hat Uwe Tellkamp in seinem Roman "Der Eisvogel" den Neuen Rechten Köder ausgelegt?
Die unmissverständlichen Sätze, die der Schriftsteller Uwe Tellkamp in Dresden unters applaudierende Volk brachte, lassen rechte Herzen höherschlagen. Im Netz feiert man ihn schon als Tabubrecher; er sage Dinge, die von der Systempresse feige verschwiegen würden. Ein AfD-Abgeordneter zeigte sich nach dem "linken Medienangriff" von seiner menschlichen Seite und bot Tellkamp Asyl an: "Der Weg in die AfD steht Ihnen offen." Andere twitterten: "Wann werden die ersten Tellkamp-Bücher verbrannt?"
Folgt man Tellkamps neurechten Fans, dann kann man sich die Mühe sparen, zwischen Autor und Werk zu unterscheiden – Tellkamp ist "ihr Mann", und seine Romane liefern ihnen die mentalen Aufbaustoffe. Klar, gegen solche Stiefelträger ist Tellkamp machtlos. Andererseits ist die Frage nicht verboten, ob sein Werk Köder auslegt, die rechte Leser garantiert schmackhaft finden. Welche könnten es sein?