3. März 2016 - Siegfried Lenz: Die Entdeckung seines 1951 geschriebenen Meisterwerkes
Siegfried Lenz' neuer alter Roman: Einst defätistisch, jetzt großartig
Franziska Augstein (Süddeutsche)
01. März 2016
Sein Verlag wollte das Buch verhindern, weil es zu pazifistisch sei: Aus dem Nachlass von Siegfried Lenz erscheint nun sein früher, bisher unbekannter und doch so lesenwerter Roman "Der Überläufer".
Aus dem Nachlass des 2014 verstorbenen Siegfried Lenz wurde ein Schatz geborgen: "Der Überläufer" ist ein großartiges Buch und ein Zeugnis davon, wie junge deutsche Veteranen sich nach dem Zweiten Weltkrieg fühlten. Das Buch, Siegfried Lenz' zweiter Roman, war 1951 vom Verlag abgelehnt worden, mit höchst dubiosen Begründungen, von denen noch die Rede sein wird. Der 26 Jahre alte Autor hat die Kränkung hingenommen, das Manuskript beiseite gelegt und es dann vergessen.
Walter Proska ist dieser Überläufer, ein junger Soldat, der 1944 in Schlesien im Feld liegt. Mit seiner kleinen Einheit befindet er sich im sommerlich-heißen, sumpfigen Nirgendwo. Seine Feinde sind bissige Fliegen und Partisanen. Zur Wehrmachtsdienststelle im nächsten Ort gibt es keinen Kontakt. Die Handvoll Soldaten fühlt sich allein gelassen. Jeder wird, seiner jeweiligen Natur gemäß, ein wenig irre.
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Das grausam-lächerliche Abenteuer
Friedmar Apel (FAZ)
03. März 2016
Erinnerungen, schwer wie Zuckersäcke: Im meisterlichen Roman „Der Überläufer“ schildert Siegfried Lenz den Krieg an der Ostfront. Erst jetzt erscheint das 1952 geschriebene Buch aus dem Nachlass.
Der Lektor hat immer recht, schrieb augenzwinkernd einmal Stephen King, wohl wissend, dass ein erfolgreicher Autor die Kritik seines ersten Lesers nicht nur souverän ertragen, sondern auch schadlos abweisen kann. Zu Beginn einer literarischen Karriere aber ist das Verhältnis zwischen Autor und Lektor heikel. Dem Ideal zufolge stellt der Lektor seine Fähigkeiten selbstlos in den Dienst der Absicht des Autors, in Wahrheit hat er mit dem Verlagsvertrag im Rücken genügend Macht, bewusst oder unbewusst eigene ästhetische oder gar weltanschauliche Vorstellungen zur Geltung zu bringen. Nicht selten führt das zu Konflikten, manchmal zum Desaster.
So im Fall des jungen Siegfried Lenz. Nach der positiven Resonanz auf seinen Erstling „Es waren Habichte in der Luft“ hatte Lenz 1951 bei Hoffmann und Campe einen Vertrag über einen weiteren Roman unterzeichnet, der zunächst den Titel „Da gibt’s ein Wiedersehen“ trug. Bereits im November wurde das Buch in einer Sammelbesprechung von Texten über den Ostkrieg von Paul Hühnerfeld lobend erwähnt. Als Lektor wurde Lenz der promovierte Germanist Otto Görner zugewiesen. Auch der zeigte sich zunächst beeindruckt von der Geschichte, die „den Leser im Genick packt“. Nach einem Gespräch im Verlag übersandte er Änderungsvorschläge, „das Technische und Handwerkliche“ betreffend. Lenz ging sogleich an die Überarbeitung und legte das Manuskript im Januar 1952 abermals vor, nun mit dem Titel „Der Überläufer“.
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Wie Siegfried Lenz in den Kalten Krieg geriet
Barbara Möller (Die Welt)
03. März 2016
1951 schrieb Siegfried Lenz einen Roman über die Schrecken des Kriegs. Erst jetzt, Jahrzehnte später, kann "Der Überläufer" erscheinen. Zur Zeit seiner Entstehung war er politisch nicht opportun.
Am Ende sah man den verehrten Dichter als alten Mann. Der sich Texte qualvoll abrang. Zwei Jahre hat Siegfried Lenz an seiner letzten, gerade mal 15-seitigen Erzählung "Das Wettangeln" gearbeitet, und als sie im September posthum bei Hoffmann und Campe erschien, wurde sie zwar freundlich aufgenommen, aber literarisch durchaus als das bewertet, was sie war: inhaltlich nicht relevant, sprachlich nicht mehr ganz stilsicher.
Jetzt ist auf einen Schlag alles anders. Jetzt leuchtet der Lenz.
Es ist eine Sensation. 17 Monate nach seinem Tod tritt uns mit dem Kriegsroman "Der Überläufer" der blutjunge Siegfried Lenz entgegen. Der Autor, der gerade mit "Es waren Habichte in der Luft" debütiert und angesichts des Erfolgs beschlossen hatte, ein Leben als freier Schriftsteller zu wagen.
Für produktiv genug durfte er sich halten. Das zweite Buch war im Spätsommer 1951 fertig geworden, der Verlag hatte es nicht nur angekündigt, sondern das Typoskript zur Entscheidung über einen Vorabdruck an die "Zeit", die "Neue Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine" geschickt, und Paul Hühnerfeld hatte in der "Zeit" geschrieben: "Dies Buch erhebt keinen Anspruch auf Protokollierung, vielleicht aber auf Dichtung. Und der Verfasser ist dem Krieg an sich wieder näher als die anderen."
Pour citer cette ressource :
3. März 2016 - Siegfried Lenz: Die Entdeckung seines 1951 geschriebenen Meisterwerkes, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), avril 2016. Consulté le 26/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2016/3-marz-2016-siegfried-lenz-die-entdeckung-seines-1951-geschriebenen-meisterwerkes