19. Mai 2016 - Christian Kern, Österreichs neuer Kanzler
Cathrin Kahlweit (Die Süddeutsche Zeitung)
12. Mai 2016
Bahnchef Christian Kern gilt als glänzender Manager. Das passt: Es warten gewaltige Aufgaben.
Österreichs großartige Satirikertruppe Maschek wusste schon am Mittwoch, wer neuer Kanzler wird - und stellte eine Sprechprobe von Christian Kern ins Netz. In dem Video steht Kern am Wiener Westbahnhof mit einem ORF-Mikrofon in der Hand; die Szene stammt aus dem Herbst, als der Chef der Österreichischen Bundesbahnen persönlich erklärte, warum er Tausende Flüchtlinge ohne Fahrkarten in ÖBB-Züge einsteigen ließ. Maschek synchronisierte den Manager mit den Worten, dies sei eine "Sprechprobe, eins, zwei, drei", und "es wird nicht leicht . . ."
Am Donnerstag stand dann praktisch fest, dass der 50-Jährige, der wahrlich keinen leichten Job antritt, der nächste SPÖ-Chef und Bundeskanzler werden soll. Offiziell war es aber noch nicht. An diesem Freitag gibt es ein Treffen der SPÖ-Hierarchen mit dem Kandidaten im Wiener Rathaus, am kommenden Dienstag will sich die Partei festlegen, am Mittwoch soll vereidigt werden, aber alle Insider und alle Medien meldeten bereits: "Weg für Kern frei".
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Österreichs Kanzler will "Köpfe und Herzen nicht billigem Populismus überlassen
Timo Nicolas (Die Süddeutsche Zeitung)
19. Mai 2016
In seiner ersten Erklärung vor dem Parlament geht Christian Kern hart mit der österreichischen Politik ins Gericht.
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Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat in der Flüchtlingspolitik Respekt vor der Menschenwürde gefordert und die oppositionelle FPÖ scharf kritisiert, ohne sie jedoch direkt zu benennen. Er wolle eine Politik der Weltoffenheit jener der geistigen Enge gegenüberstellen, sagte der am Dienstag vereidigte Kanzler in seiner Antrittserklärung vor dem Nationalrat, dem österreichischen Parlament. "Wir wollen die Köpfe und Herzen nicht dem billigen Populismus überlassen", sagte der 50-jährige. "Der Hetze gegen Minderheiten müssen wir mit einem eigenen Programm entgegnen."
In Bezug auf die Flüchtlingspolitik betonte Kern, dass er für ein notwendiges Maß an Ordnung sorgen wolle. Die öffentliche und soziale Sicherheit müsse gewährleistet sein. Man müsse in der Frage aber seine Emotionen zügeln. Kern berief sich auf den am Mittwoch verstorbenen Historiker Fritz Stern, indem er sagte: "Menschen haben Ängste, aber es macht keinen Sinn, sie darin zu bestärken."
Österreich hat in den vergangenen Monaten seine Flüchtlingspolitik drastisch verschärft und plant unter anderem, Grenzkontrollen zu Italien wiedereinzuführen. Gleichzeitig erhielt die rechte FPÖ starken Zulauf, ihr Kandidat Norbert Hofer könnte am Sonntag sogar zum neuen Bundespräsidenten des Landes gewählt werden.
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Ein Genosse der Bosse für Österreich
Christian Geinitz (FAZ)
14. Mai 2016
Österreichs künftiger Kanzler ist ein Mann aus der Wirtschaft. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an seine Wirtschaftspolitik. Wird er sie erfüllen können?
Die Geschäftswelt erwartet von Österreichs neuem Kanzler Christian Kern zügige Reformen. Nachdem sich die sozialdemokratische Partei (SPÖ) endgültig auf den Bahnmanager als neuen Regierungschef und Parteivorsitzenden festgelegt hat, ist die Wirtschaft zum Wochenende mit ersten Forderungen an den 50 Jahre alten Wiener herangetreten. Dieser soll am Dienstag zum zwölften Bundeskanzler der Nachkriegszeit ernannt werden und danach zum elften SPÖ-Obmann.
Das Land habe „acht verlorene Jahre bei den Investitionen“ hinter sich, monierte Anna Maria Hochhauser, die Generalsekretärin der mächtigen Wirtschaftskammer, gegenüber der Nachrichtenagentur APA. Das Volumen der Bruttoanlageninvestitionen liege um fast 2 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2008. Um das zu ändern, müsse es möglich sein, gleich im ersten Jahr bis zu 50 Prozent abzuschreiben, forderte sie von der neuen Regierung. Zudem wünscht sich die Wirtschaft höhere Freibeträge für private Beteiligungen an Unternehmen. Wer 100.000 Euro in einen Betrieb investiere, solle dies über fünf Jahre zu je 20.000 Euro absetzen können, verlangte Hochhauser.
Oliver Ginthör, Präsident des Bunds der Steuerzahler, verlangte von Kerns Mannschaft eine Entschärfung der „kalten Progression“. Diese verhindert, dass Gehaltserhöhungen beim Arbeitnehmer in vollem Umfang ankommen. Das liegt daran, dass auf den Lohnzuwachs höhere Steuersätze anfallen und dass deshalb die Einkommenssteigerung nach Steuerabzug nicht höher ist als die Inflation.
Klaus Hübner, Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, sprach sich für eine Vereinfachung des Steuerrechts aus. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, erwartet flexiblere Arbeitszeiten mit mehr betrieblichen Lösungen. In Österreich unterliegen mehr als 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse den Flächentarifverträgen. So gut wie alle Arbeiter und Angestellte erhalten 14 Monatsgehälter, einige sogar 15.
Österreichs neuer Kanzler Kern: Zum Auftakt wird abgerechnet
Björn Hengst (Spiegel Online)
17. Mai 2016
So forsch ist schon lange kein österreichischer Sozialdemokrat mehr aufgetreten: Vor seiner Vereidigung als Kanzler rechnete Christian Kern mit der Politik in seinem Land ab.
Wer sich einen ersten Eindruck vom künftigen Stil des neuen österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern verschaffen wollte, hatte dazu an diesem Dienstag eine gute Gelegenheit. Die neue Hoffnung der Sozialdemokraten trat nach den Sitzungen von SPÖ-Präsidium und Parteivorstand vor die Kameras.
Kern war zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht vom scheidenden Bundespräsidenten Heinz Fischer vereidigt, das hielt den bisherigen Manager der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) aber nicht von klaren Worten ab.
Sein selbstbewusster Auftritt machte deutlich, dass es dem 50-Jährigen nicht nur um kleine Reparaturarbeiten in der SPÖ und der von ihr und der konservativen ÖVP gebildeten Großen Koalition geht.
Kern setzt offenbar vielmehr auf einen Neustart - und darauf, dass die seit Jahrzehnten regierende Große Koalition bei den Bürgern verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnt. Es gehe darum, das "Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit" zu beenden, mahnte Kern. Wenn SPÖ und ÖVP nicht verstanden hätten, "dass das unsere letzte Chance ist", würden die beiden Volksparteien von der Bildfläche verschwinden, "und wahrscheinlich zu recht".
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Caecilia Smekal / Stefan Hofer (kurier)
19. Mai 2016
Neuer SP-Kanzler hielt seine erste Rede vor dem Parlament. Die besten Zitate.
Heute Vormittag hat der neue Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) seine erste Erklärung vor dem Nationalrat abgeben. In seiner Grundsatzansprache hat Kern erörtert, wie er sich den Neustart der Koalition und die Zusammenarbeit mit der künftig Opposition vorstellen wird. Ein Programmpunkt im Hohen Haus ist heute die Vorstellung der vier neuen Regierungsmitglieder.
"Bedürfnis, dass durch unser Land ein Ruck geht"
Zu Beginn seiner Rede ging Kern auf die Stimmung in Volk ein: "Ich habe mit einer Vielzahl an Bürgern gesprochen. Es ist mir nicht entgangen, welche Erwartungshaltung entstanden ist. Daraus entsteht eine Verpflichtung, das ist völlig logisch. Es ist das Bedürfnis, dass durch unser Land ein Ruck geht."
Der Neo-Kanzler prangerte die "unglaubliche Kurzatmigkeit" in der Politik an. Er sei fest davon überzeugt, "dass sich dieses Land keine politische Führung leisten kann, die sich keine Zeit nimmt, nachzudenken. Ich glaube, wir brauchen eine akzentuierte Politik. Es ist das Ziel verloren gegangen, wohin wir unser Land führen wollen. In dieses Vakuum kriecht umso leichter das Vorurteil und die billige Pointe."
Pour citer cette ressource :
19. Mai 2016 - Christian Kern, Österreichs neuer Kanzler, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mai 2016. Consulté le 24/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2016/19-mai-2016-christian-kern-osterreichs-neuer-kanzler