15. November 2016 - Wolf Biermann wird 80
Uwe Kolbe (Tagesspiegel)
15. November 2016
Wolf Biermann stieg in der DDR zum Symbol des Nichteinverstandenseins auf. Dann warf die SED ihn raus. An diesem Dienstag wird der Sänger und Dichter 80 Jahre alt.
Vor achtzig Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg, der drei Jahre später mit dem Sieg der Faschisten endete. Vor achtzig Jahren wurde Wolf Biermann in Hamburg geboren, drei Jahre nach Hitlers Machtergreifung. Statt des Sterns der Geburt gibt es manchmal einen Haufen düsterer Gestirne.
Der Spanische Bürgerkrieg war die Blaupause für das, was danach kam. Das betrifft unmittelbar auch das Denken und Dichten, das Singen, Wirken und Einwirken Biermanns. Der Mythos des Spanienkriegs und sein ästhetischer Nachklapp erreichen ihn direkt. Mag er Brecht seinen Meister nennen und Heine seinen Cousin – der Klang seiner Gitarre und seine Stimmführung verraten früh anderes. Bei dem spanischen Dichter García Lorca heißt es zur Wurzel des Flamenco: „Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Gitarre den Cante jondo gefügt hat. Sie hat die dunkle orientalische jüdisch-arabische Muse, die uralt ist und deshalb stammelt, vervollkommnet und verinnerlicht.“
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Mama, die können mir doch nichts wollen?
Barbara Klemm (FAZ)
13. November 2016
Nach Jahren des Auftrittsverbots in seiner Heimat, der DDR, stand Wolf Biermann am 13. November 1976 in Köln auf der Bühne. Und durfte nicht mehr zurück. Die Geschichte einer historischen Nacht – und eines historischen Bildes.
Am 13. November 1976 gab Wolf Biermann ein Konzert in Köln. Jahrelang hatte er in seiner Heimat, der DDR, nicht auftreten dürfen, jetzt stand er vor fast 7000 Leuten und sang, zitierte Gedichte, redete vier Stunden lang: darüber, wie sehr er die DDR liebte, dass er aber nicht nachgeben, dass er kämpfen würde gegen die Machthaber der SED, die ihre Bürger unterjochten. Nach dem Konzert wurde Biermann von diesen Machthabern ausgebürgert - ein Racheakt, der sich aber gegen sie selbst richten würde, Protest formierte sich, einer der vielen Anfänge vom Ende der DDR.
Barbara Klemm, die berühmte Fotografin der F.A.Z., war damals in Köln dabei - und hielt den Abend in einem unvergesslichen Bild fest: Es zeigt Wolf Biermann, der am Dienstag achtzig Jahre alt wird, wie er für einen kurzen Moment alles haben darf, ein freier Mann, der auf einer Stecknadel balanciert. Wir haben zu dem berühmten Bild weitere, bisher unveröffentlichte Bilder des Abends versammelt. Und Barbara Klemm gebeten, ihre Erinnerungen daran zu erzählen.
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Wolf Biermann: "Berlin, du deutsche deutsche Frau"
Durs Grünbein (FAZ)
11. November 2016
Es gibt Dichter, und es gibt Balladendichter. Letztere sind, bei aller Popularität, die ein Friedrich Schiller, ein Heinrich Heine, ein Bertolt Brecht in dem Genre erlangten, heutzutage vom Aussterben bedroht, und das ist eigentlich schade. Wolf Biermann, der höchst lebendige bald Achtzigjährige – am kommenden Dienstag hat er Geburtstag –, ist einer ihrer letzten Vertreter in deutscher Sprache. Und er ist einer, der dem Balladenvers zu vorerst letzten markanten Ausdruckshöhen verhalf – kein Zweifel, ein Champion in diesem komplexen Fach.
Der Balladendichter ist ein Geschichtenerzähler. Er verfügt über den historischen Ausnahmezustand, im Idealfall stellt er ihn her und wird selbst zur Verkörperung von Geschichte. Kaum einer war darin, zu DDR-Zeiten und darüber hinaus, wirkungsmächtiger als Biermann, der kommunistisch gesinnte Pilot, der aus dem Westen hergeflogen kam, ein Hamburger Junge, den Erziehung und Abenteuerlust in den Osten verschlagen hatte und unter dramatischen Umständen dann wieder zurück in den Westen. Zumindest war er kein „Ossi“, er war ein gesamtdeutscher Linker mit echten Familienwurzeln im kommunistischen Milieu der Weimarer Republik. Aus seinem Fall lässt sich viel lernen über die deutsch-deutschen Affären. In einem Gruppenbild aller Beteiligten (Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Politiker) wird er immer im Mittelpunkt stehen. Um seine Figur sammelten sich die Beteiligten wie Eisenfeilspäne nach dem Muster, das der Magnet Staatsmacht in schöner Übersichtlichkeit anordnete. Historiker können für solche Erscheinungen, von denen es immer nur wenige in einer Lebenszeit gibt, dankbar sein.
_______________"Hier habt ihr einen" - Junger alter Wolf
Marko Martin (Welt)
15. November 2016
Wer dachte, über Wolf Biermann schon alles über zu wissen, wird eines Besseren belehrt. Pünktlich zum Geburtstag legte der Liedermacher seine Autobiografie vor. Eine Gratulation.
Wer hätte das gedacht: Allen Ginsberg als literarischer Pate von Wolf Biermanns wohl berühmtestem Lied, der „Ballade vom preußischen Ikarus“. Im Sommer 1976 war der New Yorker Beatnik zusammen mit seinem Lebensgefährten Peter Orlovsky in Biermanns Klause in der Ostberliner Chausseestraße aufgekreuzt – als quasi Letzter in einem illustren Gästereigen von Joan Baez über Rudi Dutschke bis Udo Lindenberg und Günter Grass. Drei Monate später wurde der Liedermacher aus der DDR ausgebürgert, die Wohnung versiegelt, aber noch war Sommer und der Weg zur Friedrichstraße nicht weit.
„Wir waren uns herzlich nah und von Herzen fremd. Welten! Allen Ginsberg war noch ichbesessener als ich. Als wir auf der Weidendammer Brücke am preußischen Adler vorbeikamen, machte ich dem Gast aus New York den Mocking-Bird. Ich stellte mich direkt vor den gusseisernen Vogel und engeldeutschte: ‚Look, Allen, when I stand vor diesem Eagle, dann wachsen mir seine Wings aus den Shouldern raus ... and you see, I am the Prussian Ikarus!“
Rasch wird vereinbart, dass beide darüber einen „Poesie-Contest“ machen sollten, doch nur Biermann lieferte und schrieb jene Ballade, in der er seine nahe Ausbürgerung bereits antizipiert – und doch irrte. Sein sorgenvolles „Dann stürz ich ab“ erfüllte sich nämlich nicht, auch im Westen blieb der Sängerdichter kreativ – und traf dann 1983 Ginsberg in New York wieder, der sich revanchierte, indem er dem strikt heterosexuellen Wolf nun einen hiesigen Mythos zeigte: einen schwulen Darkroom in Greenwich Village.
Es ist kurios, dass eine Buchpreisrunde mit einer fußballmetaphernhaltigen Verleihung endet. Aber erst die wichtigen Dinge. Bodo Kirchhoff hat am Montagabend im Kaisersaal des Frankfurter Römers den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis zugesprochen bekommen.
Der Deutsche Buchpreis zeichnet den „Besten Roman“ eines Jahrgangs aus, „Widerfahrnis“ ist eine Novelle, aber Kirchhoff mendelte sich beim fortschreitenden großen Lesen zunehmend als Favorit unter den letzten sechs der Nominierten heraus – der vielleicht noch am häufigsten genannte Mitfavorit Thomas Melle hat äußerst gezielt gar keine Fiktion geschrieben, so viel dazu.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24932162 ©2016_______________
Ach, was für Zeiten
Ulrich Greiner (Zeit Online)
27. Oktober 2016
Wolf Biermann, der am 15. November 80 Jahre alt wird, hat seine Autobiografie geschrieben. Kunstvoll vergegenwärtigt er Geschichte und Persönliches.
Als wir 1990 zum ersten Mal mit dem Auto den ehemaligen Eisernen Vorhang passierten und uns an die lachhaften Prozeduren der Grenzkontrollen erinnerten, fragte das Kind: "Warum war denn da eine Grenze?" Ich weiß nicht mehr, was wir auf diese unbeantwortbare Frage geantwortet haben. Ja, warum nur?
Die längst erwachsene Tochter und alle, die den Fall der Mauer bloß aus den Erzählungen der Eltern und der Geschichtslehrer kennen, müssen nur die bewegende Autobiografie Wolf Biermanns lesen, um die Tragödie der deutschen Teilung zu verstehen. Warte nicht auf bessre Zeiten! ist eine Meisterleistung der literarischen Vergegenwärtigung, das Buch verbindet sachliche Präzision mit persönlicher Leidenschaft, Witz mit Sarkasmus.
Wolf Biermann wird an diesem 15. November 80 Jahre alt. Er ist einer der bedeutendsten deutschen Lyriker, ein begnadeter Sänger und Gitarrist obendrein, dessen Lieder zu wahren Schlagern wurden und lange Zeit in aller Ohren waren. Als ihn die DDR 1976 ausbürgerte, empörte sich die halbe Welt, und viele namhafte Schriftsteller der DDR protestierten. Es war der Anfang vom Ende der DDR.
Bis der einst überzeugte Kommunist im Westen wirklich angekommen war, das dauerte. "Ich wollte die ersten Jahre nichts als zurück in den Osten", schreibt er. Der Vater Dagobert starb im KZ. "Der Kummer um den Kommunisten, den Arbeiter, den Juden Biermann ist meine Schicksalsmacht", sagt er gleich zu Beginn, "mein guter Geist, mein böser." Erschütternd, wie er das Bombardement Hamburgs beschreibt, den Feuersturm in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943, dem Mutter und Kind mit knapper Not entkommen. Leichen sieht er, brennende Menschen. "Sechseinhalb Jahre war ich damals. Und so alt blieb ich mein Leben lang."
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Liedermacher Wolf Biermann wird 80 Jahre
Stefan Hupka (Badische Zeitung)
15. November 2016
Er war ein Wanderer zwischen zwei deutschen Staaten und er half, dass daraus einer wurde – zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann.
Sie wussten alles über ihn. Das meiste sogar von ihm selbst. Er blies es ihnen ja täglich ins Ohr. Und sie ließen das via Wanze mitschneiden von ihrer Firma Horch & Guck. "Im Neuen Deutschland finde ich / tagtäglich eure Fressen / und trotzdem seid ihr morgen schon / verdorben und vergessen / Heut sitzt ihr noch im fetten Speck / als dicke deutsche Maden / ich konservier euch als Insekt / im Bernstein der Balladen." Große Dichtung. Die knurrte, fluchte und schrie Wolf Biermann, Anfang dreißig, in seiner vom Ministerium für Staatssicherheit verwanzten Wohnung, Chausseestraße 131, Ost-Berlin, und drosch dazu die Gitarre. Und bald konnte man es zwei Kilometer weiter westlich im Plattenladen kaufen und hören, in Westberlin, hinter der Mauer.
Andere sind schon für Harmloseres nach Bautzen gefahren damals, in die Besserungsanstalt des Arbeiter- und Bauernstaats, und darin auf Jahre verschwunden, wenn nicht für immer. Bei diesem trauten sie sich das nicht. Dem konnten sie auch bei übelstem Wollen keine Sympathien für den westlichen Klassenfeind nachsagen. Er stammte von Kommunisten ab, sein jüdischer Vater wurde in Auschwitz umgebracht, 1953, mit 16 Jahren, siedelte der Sohn freiwillig aus Hamburg in die DDR über und beharrte darauf, dass sie der bessere deutsche Staat sei.
Wolf Biermann, der Dichter und Liedermacher, dessen Leben durch die Politik in Deutschland geprägt wurde, der aber selbst auch die deutschen Geschicke mitbestimmte, feiert am Dienstag seinen 80. Geburtstag. Dieses Jubiläum und zugleich der unrühmliche Jahrestag seiner Ausbürgerung aus der DDR vor 40 Jahren waren Anlass für ihn, sein Leben zu erzählen – in der Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten“.
Mit langem Atem, in einer deutlichen, zuspitzenden Sprache, oft sarkastisch, doch auch in zuweilen poetischen Worten schildert Wolf Biermann seinen Weg als jüdischer Kommunistensohn, der immer die Welt verbessern wollte und doch stets aneckte (Propyläen, 576 S., 28 Euro). Es ist zugleich eine Art Begleitband erschienen, ein Buch, das viele berühmt gewordene Lieder und Gedichte enthält und auch zahlreiche wenig bekannte: „Im Bernstein der Balladen“ (240 S., 24 Euro). Wir veröffentlichen nun ein Gedicht, das in diesem Jahr entstanden ist:
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25093990 ©2016Pour citer cette ressource :
15. November 2016 - Wolf Biermann wird 80, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), novembre 2016. Consulté le 26/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2016/15-november-2016-wolf-biermann-wird-80