14. März 2016 - Die Landtagswahlen vom 13. März 2016: eine Analyse
Die Wähler der Anderen
Daniel Deckers (FAZ)
14. März 2016
Der Protest gegen Merkels Flüchtlingspolitik hat sich von der Straße eine Gasse in die Parlamente gebahnt. Mehr aber auch nicht. Eine Analyse der Landtagswahlen.
Das gab es lange nicht: Es ist Wahl, und viele gehen hin. Zuletzt war es so vor genau fünf Jahren. Damals gab die Havarie der Atomreaktoren in Fukushima am 11. März den Ausschlag, dass sich in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt deutlich mehr Bürger an der Landtagswahl beteiligten als zuvor. Schon damals erbebte das Parteiensystem, allerdings nur im Westen. In Baden-Württemberg deklassierten die Grünen die SPD, in Mainz verhalfen sie den Sozialdemokraten zum Machterhalt. In Sachsen-Anhalt blieb es bei einem Machtdreieck mit der CDU als Basis sowie Linkspartei und SPD als längerem beziehungsweise kürzerem Schenkel.
An diesem Wahlsonntag war es die Migrationskrise, die mehr Wähler an die Urnen gebracht hat als in dem gesamten Vierteljahrhundert zuvor. Und wieder bebte das Parteiensystem, und das flächendeckend: In den beiden westlichen Flächenländern zog die erstmals angetretene AfD mit deutlich mehr als zehn Prozent der Stimmen, in Sachsen-Anhalt mit dem besten Ergebnis überhaupt in die Landesparlamente ein. So weit, so eindeutig: Der Protest gegen Merkels Flüchtlingspolitik hat sich von der Straße eine Gasse in die Parlamente gebahnt. Mehr aber auch nicht.
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Warum die AfD so erfolgreich ist
Hannah Beitzer (Süddeutsche Zeitung)
14. März 2016
Anti-Flüchtlings-Partei, Protestpartei, Social-Media-Partei: Die Erklärungsansätze im Überblick.
1. Die Anti-Flüchtlings-Partei
Es gab ein Thema, das in diesem Wahlkampf, an diesem Wahlsonntag alle anderen überlagert hat: die Flüchtlinge. Die AfD ist gegen "Multikulti", prangert das "Asylchaos" an, ist stattdessen für "Mut zu Deutschland", für "kontrollierte Zuwanderung". Zwei Spitzenfrauen der Partei sorgten mit ihren Aussagen zum Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge für einen Skandal - aber halt nur unter Wählern, die es für unmoralisch und falsch halten, auf Flüchtlinge zu schießen. Daneben scheint es aber eine ganze Reihe von Menschen zu geben, die das nicht gestört hat und die der AfD in Sachsen-Anhalt ein neues Rekordergebnis bescherten. Der dortige Landesverband gilt als enger Verwandter der AfD in Thüringen, deren bekanntester Politiker Björn Höcke selbst manchem Parteifreund zu radikal ist.
Ist also die Flüchtlingspolitik schuld am Erfolg der AfD? Diese Erklärung bemühten fast alle politischen Gegner nach dem Schock der Wahlnacht. Bei manchen, vor allem in der CDU, schwingt hinter vorgehaltener Hand Bedauern und leise Kanzlerinnen-Kritik mit: Man könne halt nicht Politik gegen den Willen des Volkes machen. Rechts von der Union scheint auf einmal viel Platz zu sein - zu viel Platz, wie vor allem die CSU bemängelt. Doch als Erklärung allein reicht das nicht aus - immerhin verbuchte die AfD bereits Erfolge in Wahlen, als von einer "Flüchtlingskrise" noch nicht die Rede war, nämlich im Herbst 2014. Auch damals schürte sie zwar rechte Ressentiments - doch es steckt mehr hinter ihrem Erfolg.
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Drei Sieger - aber wie schwierig wird die Regierungsbildung?
Albert Funk (Der Tagesspiegel)
14. März 2016
In Stuttgart sind die Grünen vorn, in Mainz ist es die SPD, in Magdeburg die CDU. Aber der Erfolg der AfD bedeutet, dass die Wunschkoalitionen unmöglich sind.
Drei Landtagswahlen, drei Sieger – aber selten zuvor war an einem „Superwahltag“ der Trend so uneinheitlich wie am Sonntag. In Baden-Württemberg gelang es den Grünen erstmals bei einer Landeswahl, stärkste Partei zu werden. Allerdings reichte es in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nur knapp zum Wiedereinzug in die Parlamente. Die SPD schaffte es in Rheinland-Pfalz nach einem spannenden Wahlkampf-Finish doch noch an die Spitze – in den anderen Ländern kam es dagegen zum Debakel. Die CDU konnte in Sachsen-Anhalt ihre Position als Partei mit dem größten Stimmenanteil mit Mühe behaupten. In Baden- Württemberg brach sie ein, im Mainzer Landtag ist sie schwächer als erwartet. Die bisherigen Koalitionen sind allesamt nicht mehr möglich.
Der Hauptgrund dafür: In allen drei Landtagen ist die Alternative für Deutschland (AfD) vertreten, die vom Unmut vieler Bürger mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel profitierte – im Ost-Land ist sie zweitstärkste Partei geworden, in Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz landete sie auf dem dritten Platz. Dagegen erlebte die Linke einen schlechten Tag – mit einem Einbruch in Sachsen-Anhalt und zwei Pleiten im Westen. Die FDP verbesserte sich hier, scheiterte aber im Osten. Angesichts der Gemengelage zeichnen sich schwierige Regierungsbildungen in allen drei Ländern ab.
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Horst Seehofer warnt Merkel: "Gigantisch scheitern"
Björn Hengst (Spiegel Online)
14. März 2016
Horst Seehofer ist nicht zu stoppen: Nach den CDU-Wahlniederlagen bahnt sich der nächste Konflikt mit der Kanzlerin an. Der CSU-Chef setzt auf eine harte Linie beim Flüchtlingsdeal mit der Türkei.
Horst Seehofer hat schon freundlicher dreingeschaut als an diesem Montag. München, Mies-van-der-Rohe-Straße 1, Vorstandssitzung der CSU. Ein Termin, bei dem der Parteichef sonst häufig zum Scherzen aufgelegt ist, aber am Tag eins nach dem Landtagswahldesaster für die CDU ist die Laune des 66-Jährigen spürbar gedämpft.
Das schwache Abschneiden der Schwesterpartei ist auch für die CSU schmerzhaft, eine schonungslose Bestandsaufnahme ersparen die Christsozialen der Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel deshalb aber noch lange nicht.
Die Linie gab Seehofer am Montag selbst vor: Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sei der zentrale Grund für die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Mit anderen Worten: Merkel ist verantwortlich. Der bayerische Ministerpräsident sprach angesichts der Erfolge der rechtspopulistischen AfD von einer "tektonischen Verschiebung der politischen Landschaft" und davon, dass es nun um die Existenz der Union gehe.
Der durch Merkels Flüchtlingspolitik eingeleitete "Sinkflug" der Union habe sich beschleunigt. Er habe bereits erklärt, dass man mit dieser Politik "gigantisch scheitern" werde. Nun gehe es darum, ein solches Scheitern der Unionsparteien zu vermeiden. Er fühle sich derzeit, so sagte Seehofer, an manches erinnert, "was ich selbst 2008 vorgefunden habe".
Pour citer cette ressource :
14. März 2016 - Die Landtagswahlen vom 13. März 2016: eine Analyse, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mars 2016. Consulté le 26/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2016/14-marz-2016-die-landtagswahlen-vom-13-marz-2016-eine-analyse