"Des Teufels General" von Carl Zuckmayer (1946): ein kritisches und real wirkendes Werk aus dem Exil
I. Einleitung
Die Literatur der Nachkriegszeit hat sich mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Grausamkeiten sehr häufig auseinandergesetzt. Die Fragen der Schuld und des Gewissens, sowie das problematische Exil von vielen Deutschen standen im Mittelpunkt dieser Literatur. Carl Zuckmayer (1896-1977) war in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein erfolgreicher Verfasser, dessen Werke bejubelt wurden. Das Drama „Des Teufels General“ (1946), das er während seines amerikanischen Exils verfasste, wurde in ganz Europa aufgeführt und in den Schulen als beispielhafte Darstellung der nationalsozialistischen Zeit erläutert.
Das Theaterstück spielt 1941 in Berlin. Die Hauptfigur, Harras, wird von der Gestapo bespitzelt, weil er zwar Flieger und Offizier bei der Luftwaffe, aber kein Parteimitglied der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) ist. Er wird verdächtigt, eine Sabotage der Flugzeuge verursacht zu haben. Als sein Freund Friedrich Eilers, der Oberst und Führer einer Kampfstaffel ist, wegen der Sabotage in einem Flugzeugsturz stirbt, fühlt sich Harras trotz seiner Unschuld verantwortlich. Harras unterhaltet sich mit verschiedenen Personen in einem Berliner Restaurant als diese Handlung erwähnt wird. Als am Ende kein Ausweg mehr besteht als zu fliehen, stürzt er mit einem der defekten Flugzeuge ab.
Mit dem Stück gelingt Zuckmayer eine komplexe Darstellung der Nazi-Zeit, obwohl er in Amerika war, als er es verfasste. Die Figur von Harras ist ein Anlass dafür, die Fragen des Gewissens und des Widerstands bei den heimgebliebenen Deutschen aufzuwerfen. Die Auseinandersetzung mit den Themen führt zu einem multiperspektivischen Stück, in welchem die einfache Trennung zwischen Nicht-Nazi und Parteimitglied nüanciert und verkompliziert wird.
II. Die Entstehungsgeschichte des Dramas
Der Verfasser Carl Zuckmayer hat den Ersten Weltkrieg miterlebt, aber ist beim Zweiten Weltkrieg wegen Aufführungsverbote ins Ausland geflohen. Er wurde in der Zwischenkriegszeit als Verfasser mit dem Stück „Der Fröhliche Weinberg“ (1925), dem 1929 erhaltenen Georg-Büchner-Preis, dem Drehbuch des „Blauen Engels“ und dem Drama „Der Hauptmann von Köpenick“ (1931) bekannt.
Er äußerte seine politische Meinung offen: Er war für die Weiterführung der Republik und gegen den Nationalsozialismus. 1938 erhielt er ein Gesamtverbot und floh erst in die Schweiz, dann ein Jahr später in die Vereinigten Staaten, wo er hauptsächlich als Drehbuchautor tätig war. Sofort nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück, wo er Kulturbeauftragter des Ministeriums der amerikanischen Zone wurde.
Carl Zuckmayer verfasste das Stück „Des Teufels General“ während seines amerikanischen Exils in den Jahren 1942 bis 1945. Es wurde 1946 veröffentlicht und in Zürich uraufgeführt. Der Dramaturg inspirierte sich von einer Zeitungsnotiz, die 1941 von dem Absturz des Generalluftzeugmeisters Ernst Udet berichtete. Der Verfasser kannte ihn persönlich, was ihm ermöglicht hat, ihn als historisches Vorbild für die Figur von Harras zu verwenden. Wie Ernst Udet ist Harras ein leidenschaftlicher Flieger und ein Gegner des Nazi-Regimes, obwohl er in der deutschen Luftwaffe kämpft. Außerdem sterben beide in einem Absturz und werden mit einem Staatsbegräbnis geehrt. Das Staatsbegräbnis wird jedoch in Zuckmayers Stück als ironische und heuchlerische Handlung des Staates dargestellt: Der Leser versteht, dass Harras von der Gestapo wegen der Sabotage-Ereignisse unter Druck gesetzt wird. Der Druck mündet darin, dass er sich das Leben nimmt. Das Staatsbegräbnis ist als Ehrung sowie als Triumph seitens der Gestapo zu verstehen.
Die politische Stellung von Zuckmayer zum Dritten Reich wird mit der einführenden Widmung unterstrichen: „Jetzt widme ich es dem Andenken meiner von Deutschlands Henkern aufgehängten Freunde“. Der Titel selbst deutet darauf hin, dass das Stück ein kritisches Ziel hat.
III. Eine komplexe Figurenkonstellation
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt in dem Stück unmittelbar, da die Handlung sich auf wirkliche Fakten stützt und den geschichtlichen Rahmen des Jahres 1941 als Hintergrund hat. Dank der komplexen Figurenkonstellation gelingt Carl Zuckmayer ein realistisches Bild der Zeit des Dritten Reiches. Die verschiedenen Figuren vertreten mehrere Meinungen, was zur Multiperspektivik des Stückes beiträgt.
Harras, die Hauptfigur des Stückes und „des Teufels General“ (gemeint wird hier Adolf Hitler), ist ein leidenschaftlicher Flieger, der schon vor dem Dritten Reich als Flieger tätig war. Er erweckt Bewunderung bei den anderen Figuren und dem Leser, weil er keine Angst hat, seine Meinung offen zu sagen. Olivia Gei? und ihre Nichte Diddo stehen auf seiner Seite und bitten ihn um seine Hilfe, um einen jüdischen Freund aus Deutschland heraus zu helfen. Dazu kommt der Maler Schlick, der ebenfalls dem Nazi-Regime widersteht und der außerdem mit einer Jüdin verheiratet ist. Buddy Lawrence, ein amerikanischer Journalist, der gegen Schluß eintritt, bewundert die deutsche Sprache und Kultur, worauf wir später noch einmal kommen werden.
Der junge Flieger Hartmann, dem Harras die Genüsse des Lebens und die Zukunft hoffnungsvoll darstellt, steht hier für die deutsche Jugend dieser Jahren. Da er ein Waisenkind war, ist die Hitlerjugend für ihn eine Familie gewesen, in der die Werte des Nationalsozialismus geteilt wurden. Er steht also zwischen Harras, dem überzeugten Gegner des Nationalsozialismus, und den anderen Figuren, den überzeugten NSDAP-Mitgliedern.
Dr. Schmidt-Lausitz zum Beispiel ist Kulturleiter bei der NSDAP und wird als solcher beauftragt, Harras zu bespitzeln. Der Baron Pflungk, ein Attaché im Außenministerium, und Pfundtmayer sind ebenfalls wichtige Parteimitglieder. Pfundtmayer spricht seinen Hass den Juden gegenüber offen aus. Der Grund für seinen Hass liegt vor der Zeit des Dritten Reiches, als seine Geschäfte wegen eines Juden scheiterten. Er verkörpert also diejenigen Deutschen, die in Hitlers Worten eine Erklärung für ihre Probleme gefunden haben. Pfundtmayer war aber im Ersten Weltkrieg ein Kriegskamerad von Harras. Sie teilen also eine gemeinsame Erfahrung des Krieges, aber vertreten während des Dritten Reiches verschiedene politische Meinungen. Dank dieser Figur gewinnt das Bild der Epoche an geschichtlicher Tiefe, denn sie erinnert daran, dass die Deutschen, je nach Alter und Erfahrungen, den Zweiten Weltkrieg verschieden erlebt haben.
Waltraut von Mohrungen, die „Pützchen“ genannt wird, gehört zu den Figuren, die vom Nationalsozialismus überzeugt sind. Bei jeder Figur wird deutlich, dass sie unterschiedliche Gründe haben, Mitglied der Partei zu sein. So hat Pützchen daran Interesse, Macht innerhalb der Partei zu gewinnen. Sie ist außerdem Mitglied der NS-Frauenschaft. Ihr Machtstreben, das auch der einzige Weg ist, um frei leben zu können, wird im Stück deutlich dargestellt.
Mit dieser komplexen Figurenkonstellation kommen viele Themen zum Ausdruck, die den geschichtlichen Hintergrund widerspiegeln und wesentliche Fragen aufwerfen, die für diese Zeit charakteristisch sind.
IV. Die Bearbeitung der Geschichte
IV.1. Die Themenauswahl: eine direkte Auseinandersetzung mit der Geschichte
Verschiedene Themen, die mit dem Kontext des Dritten Reiches und des Krieges verbunden sind, werden im Stück mehr oder weniger ausführlich beschrieben. Am Anfang wird der Rahmen des Dramas durch die Figuren der französischen Kellner gesetzt: Sie erwähnen die luxuriösen Empfänge und Feste, die von den Nationalsozialisten organisiert werden, und die einen Kontrast zu den Restriktionen bilden.
Im ganzen Stück werden offizielle Vereine genannt wie die Hitlerjugend, der Bund Deutscher Mädel (BDM), der der weibliche Zweig war, und die Frauenvereine. Dazu kommen die Namen der bekanntesten Leiter der NSDAP: Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Himmler und Joachim von Ribbentrop, die vier Hauptfiguren der Macht.
Die geschichtlichen Ereignisse werden ebenfalls dargestellt oder manchmal nur erwähnt. So wird z.B. von der Ostfront gesprochen. Die Handlung selbst deutet auf mehrere Tatsachen des Krieges hin. Der Widerstand wird z.B. dadurch erwähnt, dass manche Juden auf ihrer Flucht aus Deutschland von Deutschen geholfen werden. Die Sabotage gehört auch zu den Widerstandshandlungen. Die Vernichtung der Juden wird ebenfalls indirekt erwähnt, da Harras im zweiten Akt von einem „Gewissensjuden“ spricht: „Jeder hat seinen Gewissensjude, oder mehrere, damit er nachts schlafen kann. Aber damit kauft man sich nicht frei.“ (100). Mit diesen Worten von Harras wird das Thema des deutschen Schuldgefühls angesprochen.
Die ständige Bespitzelung und die Frage des Vertrauens werden dadurch ständig zum Thema. Wem konnte man trauen und wem nicht, sind Fragen, die mit den Figuren, die Harras treu bleiben (Korrianke, Lüttjohann und Oderbruch), aufgeworfen werden.
Das Exil wird auch mittelbar besprochen. Die Heimat, Deutschland, wird öfters erwähnt und beschrieben. Die Worte sind lobend und nostalgisch. Hinter den Figuren steht der Verfasser, der selbst Exilant ist und sich nach seinem Land sehnt. Die Erinnerung fungiert für ihn als Zugang zur Heimat. Die Figuren des Dramas erinnern sich auch an andere Zeiten, in denen sie glücklicher und freier leben konnten.
Das Drama ist jedoch keine genaue Dokumentationsschrift über das Dritte Reich in Kriegszeiten, sondern eher eine Darstellung der komplexen Menschengefühle, die zu dieser Zeit gewirkt haben. Die Fragen der Moral, des Ehrverhaltens, der Schuld und des Gewissens stehen im Mittelpunkt der Handlung und der Gespräche.
IV.2. Die Sprache als Zeuge und Forderung
Die Sprache wird von Zuckmayer in vielen Nüancen dargestellt. Sie wirkt sehr authentisch, weil sowohl Dialekt gesprochen wird, als auch die offizielle Sprache der Nationalsozialisten und das Hochdeutsch. Diese verschiedenen Sprechweisen gehören aber nicht nur zu verschiedenen Figuren, sondern eine Figur kann auch mehrere Sprechweisen verwenden, um sich auszudrücken. Je nach Thema drückt sich z.B. Pfundtmayer entweder mit der offiziellen vereinfachten Sprache klar aus, oder mit seinem heimischen bayrischen Dialekt.
Viktor Klemperer hat in seinem 1947 veröffentlichten Notizbuch „LTI – Lingua Tertia Imperii“ die von den Nationalsozialisten erfundenen Wörter notiert, um sie nicht auszusprechen und so die Vielfalt der deutschen Sprache vor der Vernichtungskraft der neuen Nazi-Sprache zu bewahren. Im Stück wird diese Sprache beispielhaft auf Seite 19 verwendet: „Mein Ressort ist die Kultur. Totale Mobilmachung der deutschen Seele“.
Die Sprache ermöglicht es auch, die Weltanschauung der Figuren eindeutig zu machen. Pfundtmayer zum Beispiel verwendet den Wortschatz der Tiere, um die Russen und die Frauen zu beschreiben. Seine Worte wirken aggressiv und menschenverachtend.
Der amerikanische Journalist Buddy Lawrence wirkt als eine aufklärende Figur, die außerhalb der Konflikte zwischen den Figuren und der Handlung steht. Er stellt seine eigene Leidenschaft für die deutsche Sprache und Kultur vor. Seine Liebe zu Deutschland drückt er mit Bemerkungen über die Feinsinnigkeit der deutschen Sprache aus (119).
V. Schluss
Das Exilwerk von Carl Zuckmayer versucht aus der Entfernung das scharfsinnige und schwierige Thema der Verantwortung jedermanns und der Beteiligung am Zweiten Weltkrieg auszudenken. Die Mechanismen der Macht, der Beziehungen der Menschen zueinander und der Angst, sowie des moralischen Druckes, der von den Nationalsozialisten ausgeübt wurde, werden bloßgestellt. Das Werk klingt wie eine Vorausdeutung des fast zwanzig Jahre später verfassten Buches von Hannah Arendt über Eichmanns Prozess und die „Banalität des Bösen“ (1963). Die Frage nach der individuellen und nationalen Verantwortung wurde in der Literatur, in der Philosophie und in den Künsten zuinnerst besprochen und behandelt – Borcherts „Draußen vor der Tür“ (1947) gilt als ein anderes prägendes theatralisches Versuch darüber – aber sie besteht heute noch.
Zuckmayer, Carl (1996): Des Teufels General. Frankfurt am Main: Fischer-Verlag.
Pour citer cette ressource :
Juliette Rupp, "Des Teufels General" von Carl Zuckmayer (1946): ein kritisches und real wirkendes Werk aus dem Exil, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mars 2016. Consulté le 12/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/mouvements-et-genres-litteraires/nachkriegsliteratur/des-teufels-general-von-carl-zuckmayer-1946-ein-kritisches-und-real-wirkendes-werk-aus-dem-exil