Presseschau vom 14. bis zum 21. Mai
- Besuch des Dalai Lama in Deutschland sorgt innerhalb der SPD für Dissonanzen
- Armutsbericht der Bundesregierung heizt den Steuerstreit in der Koalition an
- Chavez-Affäre: peinlicher Hitler-Vergleich von Mitgliedern der Linken wieder aufgenommen
Besuch des Dalai Lama in Deutschland sorgt innerhalb der SPD für Dissonanzen
Ein schwerer Fehler der deutschen Auenpolitik. So bezeichnete der Verteidigungsexperte der SPD Jörn Thießen das Treffen zwischen der SPD-Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und dem Dalai Lama, das am Montag dem 19. Mai anlässlich eines Besuchs des religiösen Oberhaupts der Tibeter in Deutschland stattgefunden hat.
Damit sprach der Verteidigungsexperte die Meinung zahlreicher SPD-Politiker aus, die sich vor der Ankunft des Dalai Lama in Deutschland gegen ein Gespräch mit dem Friedensnobelpreisträger ausgesprochen hatten. Ihre Rechtfertigung: es sei eine Frage der Kohärenz und der Loyalität ihrem SPD-Kollegen gegenüber, dem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Noch vor dem Beginn der Unruhen in Tibet letzten März vertrat dieser nämlich schon die Linie einer stillen Diplomatie mit dem chinesischen Regime - mit anderen Worten einer Diplomatie, die jede frontale Stellungnahme Deutschlands zur Frage der Menschenrechte in China meidet. So ist Steinmeier selbstverständlich auch der Meinung, dass ein Empfang des geistlichen Oberhaupts der Tibeter den deutsch-chinesischen Beziehungen nur schaden könne. Wir haben eine China-Politik des Außenministers, die sich an langen Linien orientiert und die Stabilität Chinas im Auge hat, erklärte zum Beispiel in dieser Woche der SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow im "Kölner Stadt-Anzeiger".
Schon im letzten September, als die Bundeskanzlerin höchstpersönlich den Dalai Lama nach Deutschland eingeladen hatte, hatte der Außenminister diese Initiative als eine provokante Geste der chinesischen Regierung gegenüber eingeschätzt. Dieses Mal trifft seine Schelte - indirekt von anderen SPD-Mitgliedern formuliert - die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die sich sozusagen in letzter Minute zu einem Treffen mit dem Dalai Lama bereit erklärte. Bis kurz vor der Abreise des geistlichen Führers Tibets, der dieses Mal auf Einladung des Vereins Tibet Initiative Deutschland nach Deutschland gereist war, war ihm tatsächlich noch kein einziges Regierungsmitglied begegnet: Merkel und Steinmeier hatten als Grund Auslandsreisen vorgegeben. Auch Bundespräsident Horst Köhler lehnte eine mögliche Begegnung ab.
Dass ausgerechnet eine SPD-Bundesministerin diese diplomatische Front brechen würde, kam für die Sozialdemokraten völlig unerwartet und wurde von den meisten als eine Art Verrat gegen die Linie der SPD betrachtet. Daher die harsche Kritik, die innerhalb der SPD auf Heidemarie Wieczorek-Zeul hereingebrochen ist. Eine Serie von Attacken, die der Spiegel-online glatt als verhängnisvollen Irrtum darstellt. Tatsächlich sollte die SPD ihrer Ministerin vielmehr dankbar sein, statt Letztere anzuprangern, meint das Online-Magazin in einem äußerst kritischen Artikel, der das Verhalten der SPD in dieser Affäre als eine gefährliche neue Feigheit bezeichnet. Die Sozialdemokraten überlassen die Menschenrechtspolitik zunehmend der Union - und verraten so ihre Tradition, greift so der Spiegel-online die SPD an. Tatsächlich hätten ohne Wieczorek-Zeuls Eingreifen nur Unionspolitiker den Dalai Lama bei seinem Besuch empfangen. Von Seiten einer Partei, die normalerweise auf die Beachtung von Menschenrechten beharrt, eine eher erstaunliche Haltung...
Armutsbericht der Bundesregierung heizt den Steuerstreit in der Koalition an Während in den beiden Regierungsparteien SPD und Union schon über die Notwendigkeit einer neuen Steuerpolitik gestritten wurde, ist am Montag dem 19. Mai der neue Armutsbericht der Bundesregierung bekannt gegeben worden. Und dieser enthält alarmierende Zahlen: 13 Prozent der Bundesbürger sind demnach arm und verdienen weniger als 781 Euro netto im Monat. 13 weitere Prozent werden nur durch staatliche Unterstützung vor der Armut bewahrt. Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt also diesem Bericht zufolge erheblich zu. Natürlich haben solche Zahlen den Steuerstreit zwischen Rechts und Links sofort wieder angeheizt. Die Steuerbelastungen für die Reichen erhöhen oder diejenige der Mittelschicht senken? Das ist in etwa die Frage, mit der sich derzeit die verschiedenen Parteien befassen.
Für die meisten Mitglieder der Union scheint die Sache klar: die Lage ruft dringend nach schnellen Entlastungen für Geringverdiener und Mittelschicht. So forderte zum Beispiel Josef Schlarmann, der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung bei einer Sendung im Bayerischen Rundfunk, der Staat müsse die Steuererhöhungen durch die Steuerprogression an die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen zurückgeben. Sonst drohe die Gefahr, dass diese Gruppen bald als arm gälten. Außerdem müsse der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter gesenkt werden. Auch die FDP sieht die Steuersenkung als Hauptlösung für das Armutsproblem.
Ganz anders bei den Linken, den Grünen und der SPD. In Letzterer verteidigt man vor allem den Standpunkt, dass das Mittel der Armutsbekämpfung keineswegs Steuersenkung, sondern vielmehr Steuererhöhung heiße. Tatsächlich versuchten mehrere SPD-Politiker den Vorschlag von Schwarz-Gelb, die Steuern für Arme und Mittelschicht zu senken, als Scheinlösung zu entlarven. So meinte zum Beispiel SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, eine Steuersenkung würde erstens eine weitere Schwächung des Staates bedeuten und zweitens nicht viel nützen, da Bedürftige in Deutschland nicht durch die Steuerpolitik arm gemacht worden seien, insofern sie ja keinen Cent an Steuern zahlten.
Vielmehr müsse- so der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach in der "Neuen Presse"- eine neue Solidarität her. Ohne die Hilfe derjenigen mit den hohen Einkommen und Vermögen wird es nicht gehen", erklärte der SPD-Politiker weiter. Tatsächlich weisen etliche SPD-Mitglieder darauf hin, dass die Reichen- und die Erbschaftsteuer durchaus erhoben werden könnten. Die Umverteilung der Reichtümer bilde aber nur einen Teil der Lösung. Der zweite hieße Existenzsicherung durch ausreichende Löhne. Immer mehr Menschen bekommen ergänzendes Arbeitslosengeld II, weil sie zu niedrige Löhne haben, um überhaupt davon leben zu können, bemerkte zum Beispiel Elke Ferner, die Vize-Fraktionschefin der SPD im Bundestag, und forderte dementsprechend einen generellen Mindestlohn.
In dieser Debatte stimmte die Linke ausnahmsweise der SPD völlig zu. Nur ließ sie es sich nicht nehmen, darauf aufmerksam zu machen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich auch das Verdienst von 10 Jahren Regierungszeit der SPD sei. So meinte der stellvertretende Linksparteichef Klaus Ernst in der Berliner Zeitung: In der Regierungszeit der SPD hat sich die Zahl der Vermögensmillionäre verdoppelt und zugleich die Armut deutlich zugenommen. Tatsächlich ist die unter Kohl 1997 abgeschaffte Vermögensteuer von Rot-Grün nie wieder eingeführt worden. Chavez-Affäre: peinlicher Hitler-Vergleich von Mitgliedern der Linken wieder aufgenommen Die Attacke, die der umstrittene Staatspräsident Venezuelas am Montag dem 12. Mai gegen die Kanzlerin Angela Merkel vom Stapel gelassen hatte, ist in Deutschland völlig unerwartet von Mitgliedern der Linkspartei wieder aufgegriffen worden. Dabei war es der peinliche Vergleich, den Chavez zwischen CDU und Hitler-Anhängern angestellt hatte, nun wirklich nicht wert. Die Bundeskanzlerin gehöre der politischen Rechten an, der selben Rechten, die Hitler, die den Faschismus unterstützt hat, lauteten Chavez' exakte Worte.
Als ob diese Ungereimtheiten nicht genügen würden, hat die Wortführerin der Kommunistischen Plattform innerhalb der Linken, Sahra Wagenknecht, diese Äußerungen am Sonntag dem 18. verteidigt und sie in der Welt am Sonntag als historisch zutreffend dargestellt. Anschließend wurde sie vom Pressesprecher der Linksfraktion im Bundestag, Hendrik Thalheim kaum berichtigt: Chavez' Behauptungen seien wenigstens historisch nicht falsch. Wagenknecht im Text: Natürlich habe Chavez die Bundeskanzlerin nicht direkt mit Hitler verglichen. Er habe vielmehr erklärt, dass die Partei, in der Angela Merkel wirkt, aus einer Partei hervorgegangen ist, die seinerzeit mit den Nazis zumindest indirekt kooperiert hat, so Wagenknecht.
Nur ist auch diese Aussage ganz einfach aus der Luft gegriffen, was die Online-Ausgabe der Welt am Montag dem 19. Mai in einem äußerst gut dokumentierten Artikel bewiesen hat. Schon sachlich schlicht falsch sei es, zwischen der Zentrumspartei der Weimarer Republik, [die tatsächlich für die Vollermächtigung Hitlers gestimmt hat] und der CDU eine direkte Linie zu ziehen. Dies erstens schon, weil das Zentrum als rein katholische Partei am 15. Juli 1945 wieder gegründet wurde - und zwar in Konkurrenz zur gänzlich neuen christdemokratischen Sammlungspartei CDU.
Nachdem der Autor des Artikels die Absurdität eines derartigen Vergleiches bloßgelegt hat, fährt er fort und forscht nach den Gründen, die Sahra Wagenknecht zu einer solchen Behauptung bewegt haben könnten. Und schlägt dabei eine Erklärung vor, die gar nicht abwegig erscheint: Hier dürfte der Antifaschismus der SED nachwirken, zu dessen wesentlichen Elementen ein zurechtgebogenes (bzw. gelogenes) Geschichtsbild gehört. In dieser Sichtweise war einzig die KPD aufrecht antifaschistisch, alle anderen aber zählten (einschließlich der vermeintlichen Sozialfaschisten der SPD) zu den direkten oder indirekten Unterstützern Hitlers. Auch die gesamte Linke, die gegen Wagenknechts Eingriff im Allgemeinen nichts einzuwenden hatte, hat schon mehr Inspiration gezeigt.
Pour citer cette ressource :
Presseschau vom 14. bis zum 21. Mai, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mai 2008. Consulté le 21/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/presseschau-vom-14-bis-zum-21-mai