26. November 2019 - Massiver Bauernprotest in Berlin
Bunt, laut, verzweifelt - Bauern protestieren in Berlin
Christoph Strack (Deutsche Welle, 26/11/2019)
"Wir wollen von unserer Arbeit leben können", heißt es immer wieder. Tausende Landwirte beklagen im Herzen der Hauptstadt den Druck der purzelnden Preise und der Politik.
"Stiefel-Mahnmal" heißt es auf einem weißen Zettel. Auf den Stufen rund um die Siegessäule im Berliner Tiergarten stehen hunderte Kinderschuhe. "Für über 94.000 landwirtschaftliche Betriebe, die in den letzten zehn Jahren ihre Türen für immer geschlossen bleiben." Es ist der stillere Protest an diesem Tag. Und wohin man schaut, nach Osten zum Brandenburger Tor oder nach Westen, nach Süden oder Norden - Traktoren und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge so weit das Auge reicht. Deutschlands Bauern, frustriert oder in Wut, rücken der Politik auf den Pelz.
Der lautere Protest dominiert derweil. Immer wieder Hupen und schiffs-ähnliche Sirenen. Und vor allem Reden. An die 10.000 Landwirte sind in der deutschen Hauptstadt und fordern ein Umdenken der Politik, damit sie überleben können. Heute kämen sie kaum über die Runden, landwirtschaftliche Arbeit lohne sich kaum mehr.
Mit Tausenden Traktoren quer durch Deutschland
Silvia Liebrich (Süddeutsche Zeitung, 26/11/2019)
Bauern aus allen Bundesländern demonstrieren in Berlin gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung - 10 000 Teilnehmer werden erwartet
Damit wäre es der größte Berliner Bauernprotest überhaupt - und in der Branche brodelt es gewaltig.
Auf deutschen Landstraßen hat sich bereits am Wochenende abgezeichnet, dass sich da etwas zusammenbraut. Aus allen Bundesländern rollen Traktoren Richtung Berlin, und wer aus Bayern oder Baden-Württemberg kommt braucht dafür leicht zwei oder drei Tage. Ziel der Landwirte ist das Brandenburger Tor, wo sie an diesem Dienstag Krach schlagen wollen. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) will sich dort den Demonstranten stellen.
Sind die Bauern die neuen Gelbwesten?
Heike Jahberg, Robert Birnbaum, Selina Bettendorf (der Tagesspiegel, 16/11/2019)
Traktoren und Misthaufen auf den Bauernprotesten waren zahme Warnungen. Die aktuellen Aufstände aber zeigen eine neue Wucht. Sie wollen endlich Anerkennung.
Der Aufstand begann vor ein paar Monaten im Westen. Traktorenkonvois blockierten plötzlich die Straßen um Straßburg, in den Niederlanden legten „boze boeren“, also zornige Bauern, Anfang Oktober den Verkehr im Kernland um Den Haag lahm. Inzwischen baut sich auch hierzulande auf dem Land eine Wutwelle auf. Die Kanzlerin nimmt den neuen Bauernaufstand sehr ernst. Noch im Dezember will Angela Merkel sich Zeit nehmen für ein Treffen mit den Rädelsführern.
Wie sehen die Proteste aus?
Bauern stellen grün angestrichene Holzkreuze auf ihre Felder – als Zeichen des Widerstands gegen die Agrar- und Umweltpolitik der Bundesregierung. Und auch die Demos häufen sich. Nach der bundesweiten Sternfahrt im Oktober haben am Donnerstag 5000 Bauern mit ihren Treckern Hamburg lahm gelegt und auf ihrer Kundgebung „Spiel mir das Lied vom Tod“ aufgelegt. Die nächste Großdemo ist schon in Sicht: am 26. November in Berlin.
"Wir sind nicht die Buhmänner"
Heike Jahberg (Der Tagesspiegel, 26/11/2019)
Klimasünder, Tierquäler, Insektenkiller? Die Bauern haben es satt, an den Pranger gestellt zu werden. Sie wehren sich. Wir haben einen von ihnen besucht.
Wenn Frank Schmidt seinen Trecker anlässt, scheint es, als würde ein Riese zum Leben erwachen. 280 PS, fast mannshohe Reifen. Es ist nur eine Vorahnung dessen, was an diesem Dienstag auf die Hauptstadt zukommt. Frank Schmidt ist sauer. Und er ist nicht allein.
Schmidt, 1,96 groß, 46 Jahre alt, wettergegerbte Haut, kurze rote Haare, Outdoorjacke und Gummistiefel, ist ein Mann vom Land, kein Politiker. Seinen Hof hat der Landwirt in Perleberg in der brandenburgischen Prignitz. Und doch ist seine Mission jetzt politisch. Er gehört zu den Organisatoren der Bauerngroßdemo in Berlin. Seine Augen sind müde, die Augenringe tief. Diese Arbeit ist er nicht gewöhnt.
Jetzt erobert die Anti-Fridays-for-Future-Bewegung die Straßen
Julia Löhr (FAZ, 26/11/2019)
Zu viel Umweltschutz, zu wenig Verständnis für die Bauern: Deutschlands Landwirte protestieren gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Vor allem die CDU steht unter Druck.
Sie sind laut, sie sind wütend und sie sind viele: Tausende Bauern sind am Dienstag mit ihren Traktoren nach Berlin gekommen, um gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung zu protestieren. Hupend und im Schritttempo hatten sich die Konvois auf den Haupteinfallstraßen zur zentralen Kundgebung am Brandenburger Tor vorgearbeitet und so den übrigen Verkehr in der Hauptstadt ausgebremst. „Liebe Grüne-Besserwisser: Kauft euch mal ein Stück Land und zeigt, was ihr besser könnt“, hieß es auf einem der Plakate in der Menge, „Belastbare Daten statt belastete Familien“ und „Farmers for Future“ auf anderen.
Anders als bei früheren Protestaktionen geht es diesmal nicht so sehr ums Geld. Die Landwirte stören sich vor allem daran, wie eine aus ihrer Sicht zunehmend großstädtisch geprägte und auf Umweltschutz bedachte Politik ihnen die Arbeitsbedingungen diktiert. „Wir deutschen Bauern produzieren zu den weltweit höchsten Standards und wir verwehren uns ausdrücklich gegen das negative Bild der Landwirtschaft, das immer wieder in der Öffentlichkeit gezeichnet wird“, heißt es von den Organisatoren der Bewegung „Land schafft Verbindung“, die die Demonstration in Berlin organisiert hat. Die Gruppe ist gewissermaßen das Gegenstück zu der „Fridays for Future“-Bewegung. Ihre Aktionen organisieren die Landwirte dezentral über die sozialen Netzwerke. Der sonst so mächtige Bauernverband spielt bei den aktuellen Protesten dagegen nur eine Nebenrolle.