20. Oktober 2017 - Der deutsche Buchpreis 2017 geht an Robert Menasse für "die Hauptstadt"
Robert Menasse erhält den Deutschen Buchpreis 2017
Sabine Peschel (Deutsche Welle)
09. Oktober 2017
Der Autor hat mit seinem Roman "Die Hauptstadt" die wichtigste Auszeichnung der Branche bekommen. Das Buch über das politische Treiben in Brüssel ist ein Plädoyer für ein Europa jenseits nationaler Egoismen.
Bis der zu Tränen gerührte Robert Menasse ein "Danke" herausbrachte, dauerte es eine Zeit lang. Er sei sehr gerührt, den Preis erhalten zu haben. Zugleich sei er aber auch sicher, dass seine fünf Konkurrenten die Auszeichnung ebenso verdient gehabt hätten.
Die Jury des Deutschen Buchpreises begründete ihre Entscheidung mit den Worten: "Menasses Buch macht unmissverständlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können." Das Humane sei immer erstrebenswert, niemals zuverlässig gegeben: Dass dies auch auf die Europäische Union zutreffe, zeige Menasse mit seinem Roman auf eindringliche Weise.
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Robert Menasse: Chronist des Projekts Europa
Stefan Gmünder (derStandard.at)
09. Oktober 2017
Das Themenspektrum des an Hegels Dialektik geschulten Autors reicht von Freud und Leid der Sozialpartnerschaft über Auseinandersetzungen mit Österreich als Land des "Entweder-und-oder" bis zur EU
Man hat Robert Menasse schon als Chronisten der Entgeisterung bezeichnet oder als querdenkerischen Diskutanten und pointierten Festredner. Anderen gilt der in Wien geborene Schriftsteller, dem ab und an Briefchen des Inhalts "Missgeburt, geh zurück nach Israel!" ins Haus flattern, als Miesmacher und Nestbeschmutzer.
Nicht dass solches den 1954 geborenen Autor, dessen Vater 1938 mit einem jüdischen Kindertransport nach England geschickt und nach dem Krieg als Fußballer mit der Vienna Meister sowie Nationalspieler wurde, nicht treffen würde, es hat ihn aber in den vergangenen 30 Jahren auch nie davon abgehalten, seine politischen Meinungen und Analysen mit permanenter Heftigkeit zu formulieren.
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Europa, Union der Einzelkämpfer
Björn Hayer (Spiegel Online)
11. September 2017
Robert Menasses neuer Europa-Roman zeigt ein Brüssel, in dem Heuchler und Karrieristen mit Ränkespielen und Partikularinteressen herrschen. Eine kluge literarische Intervention zur richtigen Zeit.
"In Kakanien, diesem [...] unverstandenen Staat, der in so vielem ohne Anerkennung vorbildlich gewesen ist, gab es auch Tempo, aber nicht zu viel Tempo", schrieb Robert Musil einst über das Reichsgebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Nationalismus, Militarismus, eine Vielzahl an Ethnien und babylonisches Sprachenwirrwarr gepaart mit einem antiquierten, absurden Sissi-und-Kaiser-Pomp haben zum Zerfall des Großstaats unterhalb seiner glänzenden Patina geführt - nachzulesen in dem gigantomanischen Romanfragment "Der Mann ohne Eigenschaften".
Dass gerade dieser in vielerlei Hinsicht bissige Klassiker der Moderne das Lieblingsbuch des fiktiven Präsidenten der Europäischen Kommission in Robert Menasses neuem Werk sein soll, gibt zu denken. Ist die k.u.k.-Ordnung, ist dieser zuletzt ziellose und schwerfällige Tanker etwa ein Fanal für die EU?
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Ein Hoch auf die europäische Fortwurschtelei
Tomasz Kurianowicz (Zeit Online)
10. Oktober 2017
Jetzt ist es amtlich: Der Deutsche Buchpreis 2017 geht, wie vorher vermutet wurde, an den österreichischen Autor Robert Menasse. Durchaus zu Recht. Menasses Roman Die Hauptstadt, erschienen im Suhrkamp Verlag, beschwört nicht nur den europäischen Geist, er passt zudem perfekt in den heimlichen Kriterienkatalog der Jury: Er hat eine politisch-moralische Botschaft, könnte als Kommentar auf den drohenden Zerfall Europas durchgehen und ist zudem sprachlich und stilistisch gekonnt durchkomponiert. Robert Menasses Brüssel-Roman ist ein Text zur richtigen Zeit über den richtigen Ort. Dafür nimmt man selbst ein paar Längen in Kauf.
Nun könnte man viel über Sinn und Unsinn eines deutschen Buchpreises diskutieren, der dem französischen Prix Goncourt und dem Man Booker Prize nachempfunden ist und den hehren Anspruch erhebt, den wichtigsten deutschsprachigen Roman des vergangenen Jahres würdigen zu wollen. Es dürfte jedem klar sein, dass so ein Anspruch kaum erfüllt werden kann. So viel sei dennoch gesagt: Menasses Roman beschäftigt sich selbst mit diesem Dilemma, in dem der Text auf die geringe Bedeutung der Kultur im europäischen Staatsetat hinweist, an dem einer der Romanprotagonisten, der österreichische EU-Beamte Martin Susman, beinahe zugrunde geht. Der Roman zeigt die Bizarrerie der kulturellen Ignoranz innerhalb des europäischen Apparats, obwohl es ja ausgerechnet die Kultur ist, auf deren Rücken das Projekt Europa gebaut ist. Ohne gemeinsame Kultur hat gemeinsame Wirtschaft, Bildung, Schifffahrt, Fischerei und Gurkenkrümmungsgradregulierung überhaupt keinen Sinn.
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Ihn hat es gerührt, uns geschüttelt
Andreas Platthaus (FAZ)
09. Oktober 2017
Robert Menasse gewinnt mit seinem Roman „Die Hauptstadt“ den Deutschen Buchpreis. Diese Entscheidung lässt einige Rückschlüsse auf den Zustand dieser kommerziell wichtigsten Auszeichnung der Branche zu.
Als die größte Überraschung bei der Entscheidung über den diesjährigen Deutschen Buchpreis darf man festhalten, dass tatsächlich Gerd Scobel nicht mehr moderierte. Angekündigt war das schon im vergangenen Jahr, aber dann hatte die feste Größe dieser Zeremonie zum Auftakt der Buchmessenwoche in Frankfurt doch wieder einspringen müssen, weil seine Nachfolgerin Cécile Schortmann mit einer Kehlkopfentzündung passen musste. Diesmal ist der Mikrofonwechsel nun geglückt – ein Glück auch für den Abwechslungsreichtum des Preises.
Berlin -
Für den gerade erst ernannten Baustaatssekretär der Linken, Andrej Holm, wird es eng. Sein überraschendes Geständnis vom Mittwoch, bei seinem Lebenslauf für eine Anstellung an der Berliner Humboldt-Universität (HU) falsche Angaben zu seiner Stasi-Zeit gemacht zu haben, sorgt für Irritationen in der rot-rot-grünen Koalition, insbesondere in der SPD. „Es gibt Aufruhr in der Partei“, sagte ein gut vernetzter Sozialdemokrat der Berliner Zeitung. „Viele finden: Der Mann ist nicht mehr zu halten.“ Auch renommierte DDR-Historiker wie Ilko-Saschea Kowalczuk und Jens Gieseke werfen Holm vor, die Unwahrheit gesagt zu haben.
Der 46-jährige Soziologe und Stadtforscher Holm hatte der HU verschwiegen, dass er von September 1989 bis Januar 1990 hauptamtlicher Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war. Stattdessen hatte er in einem Fragebogen nur seine militärische Grundausbildung beim Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ angegeben. Ihm sei jetzt erst durch Einblick in seine Kaderakte klar geworden, dass er hauptamtlich als Offiziersschüler beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beschäftigt gewesen sei, erklärte Holm. Seinen Lebenslauf habe er korrigiert nachgereicht. Die HU prüft derzeit rechtliche Konsequenzen. Auch der Senat hat, wie bei jedem neuen Staatssekretär, eine Regelanfrage bei der Stasi-Unterlagen-Behörde gestartet.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25302198 ©2016
Alexander Van der Bellen konnte den Vorsprung auf Norbert Hofer bei höherer Wahlbeteiligung ausbauen, er steht als Bundespräsident fest. Die FPÖ bekräftigt, auf eine Anfechtung zu verzichten - derstandard.at/2000048771312/Van-der-Bellens-Wahlsieg-fiel-deutlicher-aus-als-erwartetAlexander Van der Bellen konnte den Vorsprung auf Norbert Hofer bei höherer Wahlbeteiligung ausbauen, er steht als Bundespräsident fest. Die FPÖ bekräftigt, auf eine Anfechtung zu verzichten - derstandard.at/2000048771312/Van-der-Bellens-Wahlsieg-fiel-deutlicher-aus-als-erwarte
Es ist kurios, dass eine Buchpreisrunde mit einer fußballmetaphernhaltigen Verleihung endet. Aber erst die wichtigen Dinge. Bodo Kirchhoff hat am Montagabend im Kaisersaal des Frankfurter Römers den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis zugesprochen bekommen.
Der Deutsche Buchpreis zeichnet den „Besten Roman“ eines Jahrgangs aus, „Widerfahrnis“ ist eine Novelle, aber Kirchhoff mendelte sich beim fortschreitenden großen Lesen zunehmend als Favorit unter den letzten sechs der Nominierten heraus – der vielleicht noch am häufigsten genannte Mitfavorit Thomas Melle hat äußerst gezielt gar keine Fiktion geschrieben, so viel dazu.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24932162 ©2016
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Zeitgenossenschaft
Lothar Müller (SZ)
10. Oktober 2017
Mit seinem Europa-Roman "Die Hauptstadt" hat der österreichische Autor Robert Menasse den Deutschen Buchpreis gewonnen.
Der Beifall war groß, als im Kaisersaal des Frankfurter Römer der Vorsteher des Börsenvereins Heinrich Riethmüller schließlich bekannt gab, wer den Deutschen Buchpreis 2017 gewonnen hat: der Österreicher Robert Menasse mit seinem Roman "Die Hauptstadt". Damit ist nicht Wien gemeint und nicht Berlin, sondern Brüssel. Das klingt, als sei mit dieser Hauptstadt ein Symbol aufgerufen, das Symbol der Europäischen Union, ihrer Institutionen, ihrer Bürokratie. Und bei der Vorstellung der Kandidaten hatte es geheißen, dies sei der erste EU-Roman.
Aber als Robert Menasse dann auf die Bühne kam, kaum mehr sagen konnte und wollte als "Danke" und die "menschengemachte", daher unberechenbare Europäische Union dafür lobte, dass sie die Buchpreisbindung gegen Konzerninteressen verteidigt habe, stand er im Echoraum seines Buches. Und darin ist Europa sehr viel älter als die Europäische Union. Der Zivilisationsbruch des Holocaust durchdringt alle Handlungsschichten, zu den Schlüsselfiguren gehört einer der letzten Auschwitz-Überlebenden, und das satirische Karussell, das sich um ein Projekt der Selbstfeier der Europäischen Kommission dreht, wird von der echten Angst des Autors vorangetrieben, Europa könne noch einmal zur Katastrophenlandschaft werden, zur "Welt von Gestern".
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Futter für den Markt
Gerrit Bartels (der Tagesspiegel)
09. Oktober 2017
Der Deutsche Buchpreis ist eine Erfolgsgeschichte. Aber zeichnet er wirklich den besten Roman des Jahres aus?
Ob der Berliner Schriftsteller Thomas Lehr enttäuscht sein wird, wenn er den Deutschen Buchpreis wieder nicht bekommen sollte, den Preis für den vermeintlich „besten Roman des Jahres“? 2005 war er mit „42“ für die aus sechs Titeln bestehende Shortlist des Preises nominiert, 2010 mit „September. Fata Morgana“. Und dieses Jahr, da der Preis am Montagabend zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse das dreizehnte Mal verliehen wird, ist er erneut chancenreich in der Auswahl mit seinem neuen Roman „Schlafende Sonne“.
Gut möglich, dass Lehr sich seiner Worte erinnert, die er vor seiner zweiten Shortlist-Nominierung in Interviews gesagt hat. Dass das alles kein Problem sei, wenn er nicht gewinne und schon gar nicht im Hinblick auf diesen Preis schreibe. Seine Bücher sollten „wirklich länger halten als ein Jahr.“ Aber wie verhält es sich mit den fünf anderen dieses Mal nominierten Autoren und Autorinnen, mit den österreichischen Schriftstellern Franzobel und Robert Menasse, mit Marion Poschmann, Sasha Marianna Salzmann und Gerhard Falkner? Ist Marion Poschmann allein deshalb locker, weil sie gerade den Berliner Literaturpreis bekommen hat? Oder Sasha Marianna Salzmann, weil sie als Debütantin sowieso nie damit gerechnet hatte, so weit zu kommen? Der Umgang mit der Nominierung, mit der Tatsache, bei der knapp einstündigen Preisverleihung dabei und nervös sein zu müssen und womöglich enttäuscht zu werden, ist auf Autoren- und Autorinnenseite naturgemäß verschieden.
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Pour citer cette ressource :
20. Oktober 2017 - Der deutsche Buchpreis 2017 geht an Robert Menasse für "die Hauptstadt", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), octobre 2017. Consulté le 23/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2017/20-oktober-2017-der-deutsche-buchpreis-2017-geht-an-robert-menasse-fur-die-hauptstadt-