1. Juni 2016 - Eröffnung des Gotthard-Tunnels
Johannes Rittter (FAZ)
01. Juni 2016
17 Jahre haben sie gebaut, nun ist er eröffnet: Der Gotthard-Tunnel steht vorbildhaft für die Idee, die inneren Banden des Kontinents zu festigen. Die Kanzlerin und der französische Präsident sind mit dabei.
Gerade erst haben Angela Merkel und François Hollande einander in Frankreich die Hand gereicht. Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident gedachten am Sonntag Hunderttausender Soldaten, die im Jahr 1916 in der Schlacht von Verdun ihr Leben verloren haben, und betonten damit die Bedeutung der europäischen Einigung. Nun sind die beiden wieder aufeinander getroffen: Sie haben zusammen mit dem Schweizer Bundespräsidenten Johann Schneider-Amman den Gotthard-Eisenbahntunnel in der Schweiz mit eröffnet. Auf den ersten Blick könnten die Anlässe kaum unterschiedlicher sein. Doch auch die Feier in den Alpen symbolisiert das Bemühen, die inneren Bande Europas zu stärken.
Als Teil des so umfassenden Transitabkommens von 1992 zwischen der EU und der Schweiz ist der neue Tunnel das handfeste Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung Europas zum Ausbau der öffentlichen Infrastruktur – das stolze Einigungswerk eines Europas, das mehr ist als die EU. Dank kürzerer Fahrzeiten rücken die Staaten dieses derzeit in etlichen politischen Fragen auseinanderstrebenden Kontinents am Gotthard im wörtlichen Sinne enger zusammen. Von Zürich nach Mailand dauert die Fahrt nur noch drei Stunden.
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Das Wunder vom Gotthard
Johannes Ritter (FAZ)
01. Juni 2016
Viele dachten, es wäre unmöglich. Doch nun ist das Milliardenprojekt fertig: An diesem Mittwoch eröffnet der Gotthard-Basistunnel. Ein Jahr früher als geplant. Wie geht das denn?
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Die Frauenstimme aus dem großen schwarzen Lautsprecher an der Wand klingt angenehm und soll offenkundig beruhigend wirken: „Sie sind in einer Sicherheitszone.“ Sicherheitszone? Jawohl: Wir sind auf der Flucht. Der Zug, der uns in den längsten und tiefsten Eisenbahntunnel der Welt gebracht hat, den Gotthard-Basistunnel in der Schweiz, ist nach einem Drittel der Strecke zum Stehen gekommen. Nehmen wir mal an, wegen Getriebeschaden. Oder weil ein Feuer ausgebrochen ist.
Das wäre das Schlimmste. Hitze kann an der Tunneldecke nicht entweichen und entwickelt so ganz schnell eine ungeheure Zerstörungskraft. In diesem Testlauf zu Demonstrationszwecken lodert natürlich nirgends eine Flamme. Aber der kräftige, kalte Wind, der beim Ausstieg an der Nothaltestelle Sedrun bläst, gibt eine Ahnung vom Ernstfall, der hoffentlich nie eintritt.
Durch den gewaltigen Belüftungsschacht, der an dieser Stelle 800 Meter durch den Fels nach oben geschlagen werden musste, können je Sekunde 450 Kubikmeter Frischluft in die Tunnelröhren gepustet werden. „Dann geht hier die Post ab“, sagt Renzo Simoni. Der Bauingenieur führt die Projektgesellschaft Alp-Transit Gotthard AG, die dieses Jahrhundertwerk verantwortet. Mit dem „stärksten Ventilator der Welt“, so der Hersteller ABB, sollen die lebensgefährlichen Rauchgase bis auf eine Höhe von zwei Metern aus den Tunnelgewölben gejagt werden.
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Gotthard-Basistunnel: Was die Deutschen von den Schweizern lernen können
Charlotte Theile (SZ)
31. Mai 2016
Deutschland hat den BER immer noch nicht, die Schweiz bald die längste und tiefste Röhre der Welt. Sie ist nicht nur ein umjubeltes Meisterwerk der Ingenieure, sondern auch eines der Demokratie.
Oktober 2010. Tausende Meter unter dem Gotthard-Massiv haben die Mineure, die Stollengräber, die erste Röhre dessen durchstoßen, was einmal der längste Eisenbahntunnel der Welt werden soll. Die internationalen Zeitungen schreiben von einem "Land im Freudentaumel", es klingt lächerlich übertrieben.
April 2016, noch fünf Wochen bis zur feierlichen Eröffnung. Doris Leuthard, christdemokratische Politikerin und Verkehrsministerin der Schweiz, sitzt in einem provisorischen Sitzungszimmer und versucht, sich an ein Infrastrukturprojekt zu erinnern, bei dem mal alles schiefging. Einen Berliner Flughafen gibt es in der Schweiz nicht, das ist klar. Vielleicht aber einen furchtbar schlecht erneuerten Autobahnabschnitt?
Ihre Pressesprecherin erinnert an einen "etwas mühsamen Stausee", aber das ist lange her. Doris Leuthard schüttelt langsam den Kopf. Es soll nicht so aussehen, als ob in der Schweiz alles klappen würde und man den Deutschen jetzt erklärt, was sie alles falsch machen. Aber irgendwie stimmt es ja dann doch.
Wenn am 1. Juni der 57 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel eröffnet wird, wenn Verkehrsminister, Staatschefs und andere Würdenträger von Erstfeld, Kanton Uri, nach Pollegio, Kanton Tessin, und umgekehrt reisen, zeigen die Schweizer den umliegenden Ländern so richtig, wie man Großprojekte so anlegt und durchführt, dass sie wie gewünscht funktionieren.
Etwa zwölf Milliarden Euro hat der modernste Eisenbahntunnel der Welt - von innen eher ein futuristisches Krankenhaus denn ein industrielles Bauwerk - die Schweiz gekostet. Das ist mehr, als man zu Beginn eingeplant hat, aber es ist keine Kostenexplosion. Auch das Eröffnungsdatum liegt im Zeitplan, irgendwann wurde es sogar ein Jahr nach vorn verlegt.
Unten durch
Dirk Asendorpf (Zeit Online)
19. Mai 2016
Er ist das längste und teuerste Loch der Welt. Doch lange dürfte der Gotthard-Basistunnel diesen Rekord nicht halten: Es wird überall gebohrt wie noch nie.
Die Bauarbeiter fuhren zuerst einmal bergauf, oben im Gebirge bohrten sie sich waagerecht in den Fels und dann, mitten im Gotthardmassiv, 800 Meter senkrecht in die Tiefe. Im so ausgehöhlten Schacht installierten sie einen gigantischen Fahrstuhl. Dieser förderte jahrelang jenes Geröll zutage, das die Sprengmeister im Zentrum des Gebirges aus dem Fels gesprengt hatten.
Ein Angriff auf den Berg aus seiner Mitte heraus, so durchlöcherten die Schweizer (mit viel ausländischer Arbeitskraft) die Alpen von innen her. In zwei Richtungen, nordwärts und südwärts. Gleichzeitig setzten sich an den Rändern des Berges im Norden und im Süden riesige Tunnelbohrapparate in Bewegung und frästen sich ins Massiv hinein. Synchronbohrung nennt man so etwas. Nachdem sich schließlich Mineure und Maschinen an mehreren Orten im Berg getroffen hatten, klaffte im Herzen Europas das längste Loch der Welt.
17 Jahre Arbeit und elf Milliarden Euro für 57 Kilometer Röhre: Mit dem Gotthard-Basistunnel ist südlich des Vierwaldstätter Sees, in der Mitte der Schweiz, der weltlängste Tunnel entstanden. Er ist eines der teuersten Bauwerke der Welt. Vom Kanton Uri führt er unter Graubünden hindurch ins Tessin. Am 1. Juni wird er eingeweiht. Die Festredner werden feiern, dass Europa noch näher zusammenrücke. Tatsächlich ist ein Nadelöhr des Verkehrs größer geworden. So groß, dass Menschen und Güter bald mit Höchstgeschwindigkeit unter den Alpen hindurchrasen werden – Personenzüge mit bis zu 250 Stundenkilometern. Bisher mussten sie sich im Schneckentempo über endlose Wendetunnel in einer Art Aufwärtsspirale in die Höhe arbeiten, bevor sie auf mehr als elfhundert Meter Höhe mit dem alten Gotthardtunnel von 1882 die Alpengipfel unterqueren konnten. Der neue Tunnel ist so lang und deswegen so tief, dass der Verkehr künftig fast steigungsfrei hindurchrauscht: im Keller durch die Alpen.
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Gerhard Matzig (SZ)
30. Mai 2016
Das Versprechen ungehemmter Mobilität hat seinen früheren Zauber eingebüßt. In Deutschland demonstrieren "Wutbürger" gegen große Infrastrukturprojekte. Anders in der Schweiz.
Im Grunde ist es nicht die Chiffre einer heroischen Überwältigung, sondern das Bild einer brutalen Unterjochung: Sie, die erhabene Naturschönheit des Alpenraums, liegt darnieder, bezwungen von ihm, dem rasenden Boliden, der sich im rauschhaften Furor veloziferischer Lust förmlich in den Berg hineinzufräsen scheint. Wenn es einen Höhepunkt der erotisierten Plakatkunst gibt, dann ist er hier wohl erreicht.
Tatsächlich wirbt das Plakat aus dem Jahr 1925 für das "vierte internationale Klausenrennen". Zu sehen ist es im soeben erschienenen Prachtband "Der Gotthard" (Verlag Scheidegger & Spiess). Darin dient das Bild als Beispiel für die mythologisch überhöhte Bergwelt am Beginn der Moderne. Nicht zufällig erinnert das Emblem delirierenden Techniktaumels an das einige Jahre zuvor veröffentlichte "Manifest des Futurismus", worin es heißt, ein Rennwagen sei "schöner als die Nike von Samothrake".
Pour citer cette ressource :
1. Juni 2016 - Eröffnung des Gotthard-Tunnels, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), janvier 2016. Consulté le 24/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2016/1-juni-2016-eroffnung-des-gotthard-tunnels