27. Januar 2017 - Holocaust-Gedenktag
Barbara Galaktionow (Süddeutsche Zeitung)
20. Januar 2017
Vor 75 Jahren planten hochkarätige Vertreter des Nazi-Staates die "Endlösung der Judenfrage". Manchen ging es auch um ihre eigenen Aufstiegschancen
Am 20. Januar 1942 kommen in einer schmucken Villa am Berliner Wannsee 15 Männer zusammen. Es handelt sich um eine "Besprechung mit anschließendem Frühstück" , so heißt es in der Einladung. Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und SS-Obergruppenführer, hat das Treffen veranlasst, das wohl nicht einmal zwei Stunden dauert. Die Ergebnisse werden im Anschluss in einem 15 Seiten umfassenden Protokoll zusammengefasst, ganz wie es sich für behördliche Vorgänge gehört. Das Thema der kurzen Konferenz ist monströs: Die "Gesamtlösung der Judenfrage" in Europa, also der systematische Massenmord an den europäischen Juden.
DAS ZIEL
75 Jahre später ist in der Öffentlichkeit die Vorstellung immer noch verbreitet, dass damals der Holocaust "beschlossen" worden sei, dass vom Wannsee quasi das Startsignal für den Völkermord ausging. ("Das steht sogar noch in vielen Schulbüchern", sagte Historiker Thomas Sandkühler von der Berliner Humboldt-Uni der Nachrichtenagentur epd.)
"Es gibt ein Bedürfnis, dieses unglaubliche Geschehen des Judenmords an einem konkreten Ereignis beziehungsweise einem Ort und Zeitpunkt festzumachen", sagt dazu Hans-Christian Jasch, Leiter der Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz. "Doch auf der Wannsee-Konferenz wurde nicht die Entscheidung zum Genozid getroffen."
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Das Vermächtnis der letzten Überlebenden
Rezensionen von Robert Probst (Süddeutsche Zeitung)
26. Januar 2017
Zwei Entwicklungsstränge lassen sich in den vergangenen Jahren im Umgang mit der deutschen Erinnerungskultur an das Dritte Reich, seine Untaten und vor allem an den Holocaust beobachten. Die einen konstatieren oder beklagen das Ende der Ära der Zeitzeugen.
Diese rückt ganz notwendigerweise immer näher. Fast 78 Jahre sind seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs vergangen, 2017 jährt sich das Ende dieses globalen Zerstörungssturms zum 72. Mal. Die Zeitzeugen, die diese dunkle Zeit noch selbst als Jugendliche oder Erwachsene erlebt und durchlitten haben, werden immer weniger. Man denke nur an den Tod von Max Mannheimer im vergangenen Herbst.
Bis zum Alter von 96 Jahren war er als einer der prominentesten Holocaust-Überlebenden in Deutschland und einer der unermüdlichsten Mahner an die jüngeren Generationen im Namen der Erinnerung unterwegs gewesen. Seine zentrale Botschaft lautete: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon."
"Auschwitz - das war auch unser Leben"
Sofia Dreisbach (FAZ)
27. Januar 2017
Alina Dabrowska hat Auschwitz und Buchenwald überlebt. Dabei geholfen hat ihr, dass sie sich ans Leben geklammert hat – selbst im Schmutz der Lagerbaracken, frierend und verlaust. Zum 71. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz kehrt sie dorthin zurück.
Wenn Alina Dabrowska von ihrer Zeit in Auschwitz erzählt, ist sie ruhig. Keine Tränen, kein Stocken. Nur wenn sie erklärt, warum das so ist, wird ihr Atem schneller, die Stimme wird lauter. Sie ist vorsichtig mit sich. Sie könnte nicht jedes Jahr nach Auschwitz fahren, wenn sie „große Gefühle“ zuließe, sagt Alina Dabrowska, die im Jahr 1923 als jüngstes von vier Kindern in der Nähe von Lodz geboren wurde.
Im vergangenen Jahr war sie zum ersten Mal wieder in dem Block im Stammlager Auschwitz, in dem der KZ-Arzt Josef Mengele seine Experimente an ihr vornahm. Auch nach all den Jahren hielt sie es an diesem Ort nicht lange aus. „Das sind selektiv begrabene Gefühle, die sind sehr stark.“
Ein halbes Jahrhundert dauerte es, bis die Polin an den Ort ihrer Leiden zurückkehren konnte. In den Neunzigern begleitete sie eine Freundin, eine Deutsche, die Auschwitz zum ersten Mal besuchen wollte. „Ihre Gefühle waren damals wichtig für mich.“ Auschwitz war ihr lange Zeit unerträglich. „Ich habe immer die Toten gesehen, die Haufen von Toten.“ Die Leute, die nicht wussten, dass sie in den Tod gehen, die Kinder. Kopfschüttelnd sagt sie: „Aber das war nicht mein eigenes Leid.“
Berlin -
Für den gerade erst ernannten Baustaatssekretär der Linken, Andrej Holm, wird es eng. Sein überraschendes Geständnis vom Mittwoch, bei seinem Lebenslauf für eine Anstellung an der Berliner Humboldt-Universität (HU) falsche Angaben zu seiner Stasi-Zeit gemacht zu haben, sorgt für Irritationen in der rot-rot-grünen Koalition, insbesondere in der SPD. „Es gibt Aufruhr in der Partei“, sagte ein gut vernetzter Sozialdemokrat der Berliner Zeitung. „Viele finden: Der Mann ist nicht mehr zu halten.“ Auch renommierte DDR-Historiker wie Ilko-Saschea Kowalczuk und Jens Gieseke werfen Holm vor, die Unwahrheit gesagt zu haben.
Der 46-jährige Soziologe und Stadtforscher Holm hatte der HU verschwiegen, dass er von September 1989 bis Januar 1990 hauptamtlicher Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war. Stattdessen hatte er in einem Fragebogen nur seine militärische Grundausbildung beim Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ angegeben. Ihm sei jetzt erst durch Einblick in seine Kaderakte klar geworden, dass er hauptamtlich als Offiziersschüler beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beschäftigt gewesen sei, erklärte Holm. Seinen Lebenslauf habe er korrigiert nachgereicht. Die HU prüft derzeit rechtliche Konsequenzen. Auch der Senat hat, wie bei jedem neuen Staatssekretär, eine Regelanfrage bei der Stasi-Unterlagen-Behörde gestartet.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25302198 ©2016
Alexander Van der Bellen konnte den Vorsprung auf Norbert Hofer bei höherer Wahlbeteiligung ausbauen, er steht als Bundespräsident fest. Die FPÖ bekräftigt, auf eine Anfechtung zu verzichten - derstandard.at/2000048771312/Van-der-Bellens-Wahlsieg-fiel-deutlicher-aus-als-erwartetAlexander Van der Bellen konnte den Vorsprung auf Norbert Hofer bei höherer Wahlbeteiligung ausbauen, er steht als Bundespräsident fest. Die FPÖ bekräftigt, auf eine Anfechtung zu verzichten - derstandard.at/2000048771312/Van-der-Bellens-Wahlsieg-fiel-deutlicher-aus-als-erwarte
Es ist kurios, dass eine Buchpreisrunde mit einer fußballmetaphernhaltigen Verleihung endet. Aber erst die wichtigen Dinge. Bodo Kirchhoff hat am Montagabend im Kaisersaal des Frankfurter Römers den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis zugesprochen bekommen.
Der Deutsche Buchpreis zeichnet den „Besten Roman“ eines Jahrgangs aus, „Widerfahrnis“ ist eine Novelle, aber Kirchhoff mendelte sich beim fortschreitenden großen Lesen zunehmend als Favorit unter den letzten sechs der Nominierten heraus – der vielleicht noch am häufigsten genannte Mitfavorit Thomas Melle hat äußerst gezielt gar keine Fiktion geschrieben, so viel dazu.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24932162 ©2016
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"Antisemitische Hashtags können zurückerobert werden"
Interview Eva Bucher (Zeit Online)
27. Januar 2017
Funktioniert das Holocaust-Gedenken online anders als analog? Das untersucht die Zeithistorikerin Eva Pfanzelter. Ein Gespräch über "Yolocaust", Bernd Höcke und Wikipedia
ZEIT ONLINE: Frau Pfanzelter, Sie sind Zeithistorikerin und erforschen, wie der Holocaust in den sozialen Medien diskutiert wird. Spielt der Holocaust-Gedenktag dort eine Rolle?
Pfanzelter: Ja, in den sozialen Medien sind die jeweiligen nationalen Gedenktage zur Befreiung von Auschwitz oder zum Kriegsende sehr stark spürbar. Es ist allerdings schon etwas absurd, wenn ich bei Facebook lese: "I like Gedenkstätte Auschwitz".
ZEIT ONLINE: Wird der Holocaust in den sozialen Medien anders erinnert als in der analogen Welt?
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Das Selfie der #Bundesrepublik
Kersten Augustin (Zeit Online)
27. Januar 2017
72 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sind die Deutschen sehr stolz auf ihr Gedenken. Ist das angebracht oder eine neue, fragwürdige Form des Patriotismus?
Die Gedenkstätte Buchenwald hat Björn Höcke ausgeladen. Er darf am heutigen Gedenktag zum 72. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz nicht teilnehmen. Höckes jüngste Rede hat vor einigen Tagen für Aufregung gesorgt, obwohl sie wenig überraschend war. Die vielen Kommentare lassen sich nicht mit seiner rechtsradikalen Weltanschauung erklären, die war bekannt. Es war das Symbol, an dem Höcke sich abarbeitete: das Berliner Holocaust-Mahnmal.
Höcke und seine Anhänger glauben, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus den deutschen Nationalstolz schwächen würde. Das Gegenteil ist richtig: Über mangelndes Selbstbewusstsein können sich die Deutschen 2017 nicht beklagen, und das liegt auch am Berliner Mahnmal. Es gibt den Deutschen das Gefühl, eine geläuterte Nation zu sein, die nun Europa und die Welt führen dürfe. Ein neuer deutscher Patriotismus.
Natürlich stimmt es, dass der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte heute besser ist als in vielen anderen Ländern. Italien hat seinen Faschismus wenig aufgearbeitet, ebenso wie Frankreich seine Kolonialgeschichte und die Amerikaner die Verbrechen an Indigenen.
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Erstmals spricht ein Mensch mit Down-Syndrom im Bundestag
Iris Brennberger (Berliner Zeitung)
26. Januar 2017
Berlin -
Er hat einen neuen Anzug gekauft und für seine Körperproportionen ändern lassen. Durchschnittsgrößen passen ihm ja nie, sagt er. Er hat unzählige Male den Brief gelesen, den er am Freitag im Bundestag vortragen wird, die Betonung geübt und sich vorgestellt, wie es sein wird, vor Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Abgeordneten im Hohen Haus zu sprechen. Und er ist, das gibt Sebastian Urbanski offen zu, sehr, sehr aufgeregt. Denn wenn der Bundestag an diesem Freitag an die Opfer der NS-Euthanasie-Morde erinnert, will er alles richtig machen. Der Schauspieler aus Pankow hat das Down-Syndrom. In der Gedenkstunde will er seine Zuhörer zum Nachdenken anregen. Auch durch sein eigenes Beispiel.
Es ist das erste Mal, dass der Bundestag diese Opfergruppe am Holocaust-Gedenktag besonders hervorhebt. Etwa 300.000 behinderte und kranke Menschen wurden während der NS-Zeit in ganz Europa systematisch getötet, zwangssterilisiert und wurden Opfer von Menschenversuchen. Zugleich ist es das erste Mal in der Geschichte des Bundestags, dass ein Mensch mit geistiger Behinderung im Parlament spricht, wie Ulla Schmidt (SPD), Bundestagsvizepräsidentin und Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, betont. Und dieser eine ist nun eben er: Sebastian Urbanski, 38 Jahre alt, Berliner, Mitglied des Theater-Ensembles RambaZamba und Autor. Kein Wunder, dass er nervös ist.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25622216 ©2017_______________
Die mörderischen Zahlen von Auschwitz
Sven Felix Kellerhoff (Welt)
27. Januar 2017
Mehr als eine Million Menschen wurden 1940 bis 1945 in dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Wie zentral es für den Völkermord an den Juden war, belegt die Deportations-Statistik.
Effizientes Töten – das war die Aufgabe des größten nationalsozialistischen Konzentrationslagers Auschwitz. Hier wurden Menschen nicht nur ermordet wie an den zahlreichen Erschießungsstätten der SS-Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion und den reinen Todesfabriken im besetzten Polen. In Auschwitz wurden die Opfer vorher noch in jeder nur denkbaren Art ausgebeutet. Wer stark genug war zum Arbeiten, musste so lange unter Zwang schuften, bis nichts, aber wirklich nichts mehr aus ihm (oder ihr) herauszuholen war. Dann ging es in die Gaskammern, in denen zuvor schon alle umgebracht worden waren, die zu jung oder zu alt, zu schwach oder zu krank waren, als dass sich die Registrierung überhaupt „gelohnt“ hätte.
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Die verheimlichten Massenmorde von Minsk
Felix Ackermann (FAZ)
16. Januar 2017
Erst die Kranken, dann die Juden: Zwei Ausstellungen dokumentieren nationalsozialistische Verbrechen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Offenbart wird eine doppelte Geschichte der Vernichtung.
In Minsk dokumentieren zwei Ausstellungen nationalsozialistische Verbrechen während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Die eine Schau mit dem Titel „Von der Entmenschlichung zum Mord. Das Schicksal der psychisch Kranken in Belarus“ schildert die Krankenmorde in der weißrussischen Hauptstadt. Deren Höhepunkt war die Ermordung der Patienten in der Nervenheilanstalt Nowinki wenige Wochen nach der deutschen Besatzung. Heinrich Himmler war im August 1941 eigens an den Stadtrand von Minsk gekommen, um vor Ort mit dem Befehlshaber der Einsatzgruppe B, Arthur Nebe, über die Weiterentwicklung von Tötungstechniken zu sprechen.
Nebe gehörte zu den Fachleuten des systematischen Krankenmords, die kurze Zeit später ihre Erfahrungen beim Holocaust einbrachten. Die zuvor in Hamburg gezeigte Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ fügt dem erstmals eine detaillierte Dokumentation der Geschichte des in Deutschland weitgehend unbekannten Vernichtungsorts Malyj Trostenez am Stadtrand von Minsk hinzu. Dort wurden bis 1943 Zehntausende Juden aus Minsk, Berlin, Frankfurt, Hamburg und Königsberg ermordet. Sie soll am 13. März, zum 25-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Belarus, eröffnet werden. Beide Projekte bezeugen, dass sich die öffentliche Darstellung des Zweiten Weltkriegs in Weißrussland grundsätzlich wandelt.
Pour citer cette ressource :
27. Januar 2017 - Holocaust-Gedenktag, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), janvier 2017. Consulté le 22/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2017/27-januar-2017-holocaust-gedenktag