23. November 2016 - "Seul dans Berlin" de Vincent Perez
Scott Roxborough (Deutsche Welle)
18. November 2016
Die Stars und der Regisseur des Berlinale-Wettbewerbsbeitrags diskutieren, warum die Geschichte eines deutschen Ehepaars, das gegen die Nazis antrat, erzählt werden muss - heute mehr denn je.
Fast 70 Jahre hat es gedauert, bis "Jeder stirbt für sich allein" verfilmt werden konnte. Die Geschichte über ein deutsches Ehepaar aus Arbeiterkreisen, das eine außergewöhnliche Widerstandskampagne gegen die Nazis startete, wurde bereits 1947 vom deutschen Autor Hans Fallada niedergeschrieben. Sein Roman, eines der ersten Anti-Nazi-Bücher, das in Deutschland nach Kriegsende herauskam, wurde zum Verkaufsschlager, fiel dann aber der Vergessenheit anheim. Erst als er 2009 wieder neu entdeckt und ins Englische übersetzt worden war, wurde er zum Weltbestseller.
Der Schweizer Schauspieler und Regisseur Vincent Perez verfilmte den Roman 2016. Darin spielen der irische Schauspieler Brendan Gleeson und die aus London stammende Emma Thompson das Ehepaar Otto und Anna Quangel. Nachdem ihr Sohn im Krieg gefallen war - zu einer Zeit, als Hitler am Zenit seiner Macht stand - verteilten die Quangels in Berlin Postkarten, die die Nazis kritisierten. Daniel Brühl spielt den Polizeidetektiv, dessen Aufgabe es ist, die Schuldigen hinter dieser Aktion zu finden.
Am Montag (15. Februar 2016), nur wenige Stunden vor der Weltpremiere des Films auf der Berlinale, setzten sich Regisseur Perez und die Stars des Films mit Scott Roxborough (Deutsche Welle) zusammen, um den langen Weg dieses Werks vom Buch zum Film zu würdigen. Sie diskutierten darüber, wie wichtig der Kampf gegen die Tyrannei ist - egal zu welchem Preis.
DW: Was hat Sie an dieser Geschichte so gefesselt?
Vincent Perez: Die Lektüre des Romans. Er hat mich in jene Zeit zurückversetzt und in den Bann gezogen, vor allem, weil meine Mutter Deutsche ist. Ich habe wirklich etwas Neues über diese Zeit in Erfahrung gebracht. Als ob mir da eine Stimme zuflüstern würde: "So war das damals". Es war mir äußerst wichtig, diesen Film zu drehen. Das dauerte sehr lange - ganze neun Jahre.
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Sand im Getriebe
Rainer Gansera (SZ)
16. November 2016
Erstickt in Sentimentalität: Eine aufwendige, internationale Neuverfilmung von Regisseur Vincent Perez banalisiert Hans Falladas "Jeder stirbt für sich allein", den großen Roman vom Widerstand gegen Hitler.
Nadelstiche gegen das verhasste Regime: "Der Hitler-Krieg ist des Arbeiters Tod!" schreibt Werkmeister Otto Quangel (Brendan Gleeson) auf eine Postkarte, und auf die nächste: "Keinen Frieden mit der teuflischen Hitler-Regierung!" Er gibt sich Mühe, seine Handschrift zu verstellen - jeder Akt des Widerstands ist hochgefährlich.
Seine Frau Anna (Emma Thompson) hilft ihm dabei, die Karten an öffentlichen Orten zu platzieren. Die beiden agieren aus eigenem Antrieb - vor Jahren noch waren sie Hitler-Wähler, aber nun, 1940, ihr Sohn ist an der Front gefallen, wechseln sie die Seiten, wollen "Sand im Getriebe der Nazi-Maschinerie" sein. Doch sie bleiben Einzelkämpfer, und Kommissar Escherich (Daniel Brühl) ist ihnen mit großem Fahndungsaufwand auf der Spur.
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Der Tod in Berlin und vor Lampedusa
Andreas Kilb (FAZ)
16. Februar 2016
Ein deutscher Soldat läuft um sein Leben. Zwei Schüsse fallen, und er bricht auf einer Waldlichtung zusammen. Sterbend blickt er in die Wipfel der Bäume. Dann wird sein Schicksal zu einem Verwaltungsvorgang. Ein Feldpostbrief wird geschrieben und abgeschickt; er erreicht das Ehepaar Quangel am selben Junitag im Jahr 1940, an dem in Berlin der Abschluss des Waffenstillstands im Westfeldzug bekanntgegeben und der Sieg der Wehrmacht über Frankreich gefeiert wird. Die Todesnachricht löst bei den Quangels zuerst Trauer und Wut aus und dann eine Art Rückpost. Otto Quangel fängt an, Ansichtspostkarten mit Aufrufen zum Widerstand gegen das Naziregime zu beschreiben und in Berliner Treppenhäusern auszulegen. Zwei Jahre dauert der einsame Kampf der Quangels, dann werden sie gefasst.
_______________Ein Schnaps und ein paar Tränen auf den Widerstand
Elmar Krekeler (Welt)
15. Februar 2016
Im Berlinale-Wettbewerb: Vincent Perez hat „Jeder stirbt für sich allein“ verfilmt, Falladas ersten Roman über den deutschen Widerstand. Mit Daniel Brühl und Emma Thompson. Hätt’ er besser gelassen.
Es war einmal ein Roman, der handelte davon, wie die Gier und der Neid, das kleingeistige Karrierestreben und der Hass, kurz: alles was man das Böse nennt, sich in den Alltag einer Bürgergesellschaft einnisten und mit welchen Folgen. Davon, dass möglicherweise Hitler nicht an allem schuld war, sondern sein williger und veränstigter Volksstaat, ein Gesamtcharakter, der verblüffend dem gleicht, was sich gerade gegenwärtig in den Kommentarebenen der so genannten sozialen Netzwerke Bahn bricht.
Ein aktuelles Buch also. Und natürlich ein trostloses. Es hatte schon einen trostlosen Titel. „Jeder stirbt für sich allein“ hieß es. Von Hans Fallada auf der Schwelle des eigenen Todes 1946 in vier Wochen (900 Seiten hatte das Manuskript) eher herausgeschleudert als geschrieben.
Basiert auf der Geschichte von Otto und Elise Hampel, die 1940 – ihr Sohn war in Frankreich gefallen – anfingen Karten zu schreiben, auf denen sie zum Widerstand gegen Hitler aufriefen. Orthografisch absichtlich bedenklich und mit verstellter Handschrift verfasst lagen sie an öffentlichen Gebäuden auf Treppen herum. Sollten weiter gegeben werden. Otto und Anna sind wie Elser ohne Bombe. Zwei Jahre und gut 300 Karten später wurden sie verhaftet und hingerichtet.
Es ist kurios, dass eine Buchpreisrunde mit einer fußballmetaphernhaltigen Verleihung endet. Aber erst die wichtigen Dinge. Bodo Kirchhoff hat am Montagabend im Kaisersaal des Frankfurter Römers den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis zugesprochen bekommen.
Der Deutsche Buchpreis zeichnet den „Besten Roman“ eines Jahrgangs aus, „Widerfahrnis“ ist eine Novelle, aber Kirchhoff mendelte sich beim fortschreitenden großen Lesen zunehmend als Favorit unter den letzten sechs der Nominierten heraus – der vielleicht noch am häufigsten genannte Mitfavorit Thomas Melle hat äußerst gezielt gar keine Fiktion geschrieben, so viel dazu.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24932162 ©2016_______________
Jeder gähnt für sich allein: "Alone in Berlin"
Peter Zander (Berliner Morgenpost)
15. Februar 2016
Wie schade: Ausgerechnet der Berlin-Film „Jeder stirbt für sich allein“ ist die Kröte im Wettbewerb. Daran können auch die Stars nichts ändern.
Anfangs ist es nur ein stiller Akt von Wut und Trotz. Am Morgen erst hat der Werkmeister Otto Quangel erfahren, dass sein Sohn im Krieg gefallen ist. Seine Frau hat ihn nur angesehen und gesagt: "Du und dein Führer." Und während die ganze Stadt den Sieg über Frankreich feiert, sitzen sie still zu Hause. Jeder für sich.
Quangel blättert in seiner "Bibel", einem Handbuch für Mechanik. Darin findet er eine Hitler-Postkarte als Lesezeichen. Quangel nimmt seine Feder und malt die Buchstaben um, bis dort statt "Der Führer" "Der Lügner" steht.
Berlin sieht hier verdächtig oft nach Görlitz aus
Damit aber ist eine Idee geboren. Otto Quangel wird immer neue Karten schreiben. Mit ungelenker Krakelschrift und fehlerhafter Rechtschreibung. Mahnsätze wie: "Der Führer hat mein Sohn gemordet. Er wird auch deine Söhne ermorden." Später auch: "Tötet sie, tötet Hitler." Und er wird die Karten auf die Straße fallen lassen und in fremde Treppenhäuser legen. Um die Mitmenschen aufzurütteln.
Pour citer cette ressource :
23. November 2016 - "Seul dans Berlin" de Vincent Perez, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), novembre 2016. Consulté le 22/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/revue-de-presse/archives-revue-de-presse-2016/23-november-2016-seul-dans-berlin-de-vincent-perez