Vous êtes ici : Accueil / Littérature / Littérature contemporaine / Textes inédits / Comment redonner vie à une époque ?

Comment redonner vie à une époque ?

Par Charles Lewinsky
Publié par mduran02 le 18/07/2014

Activer le mode zen PDF

lewinsky-150_1405689642556-jpgCharles Lewinsky est né en 1946 à Zurich. Il a étudié la littérature allemande et le théâtre. Dramaturge, scénariste et romancier, il a obtenu, pour son précédent roman Johannistag (2000), le prix de la Fondation Schiller. Melnitz, salué par la critique comme une prouesse littéraire, a été qualifié de « Cent ans de solitude suisse ».

 
Les éditions Christian Bourgois publieront en novembre 2014 un recueil en français des textes écrits à l'occasion des Assises du roman.

Es ist meine Schreibmaschine. Meine. Ende 1925 habe ich sie gekauft, in dem kleinen Laden an der Münzstraße. 98 Reichsmark, mehr als der Monatslohn
eines Arbeiters, bezahlt mit meinem ersten Honorar. Damals war sie das Neuste vom Neuen. Stahlgehärtete Typenhebel, das hat mich be­eindruckt.

Auf der Schräge hinter der Walze, dort wo man das Papier hin­eindreht, steht groß ihr Name. Ein passender Name für die einzi­ge Waffe, die ein Schreiber besitzt. Torpedo. Hergestellt von den Weilwerken in Frankfurt-Rödelheim. Ob die Fabrik wohl noch exi­stiert? Auf Frankfurt hat es viele Bombenangriffe gegeben.

Es ist eine Reise­schreibmaschine, das war mir wichtig. Leicht zu transportieren. Ich stellte mir vor, wie ich auf dem Balkon meines Hotelzimmers sitze, in Süd­frankreich vielleicht, aus dem Park weht Fliederduft zu mir hinüber, und ich tippe meinen nächsten Erfolgsroman ins Reine.
Ich bin nie nach Frankreich gekommen. Nicht einmal nach Paris.
Ein einziges Mal habe ich die Maschine auf eine Reise mit­ge­nom­­men. Es war ein unerträglich heißer Sommer, der Schweiß tropfte nur so auf die Tastatur, und ich kam mit einem Drehbuch nicht voran. Ich bin dann in den Harz gefahren, nach Wernigerode, aber dort, im Garten dieser Pension, ging überhaupt nichts mehr. Ein schattiges Plätzchen, kühles Bier und null Inspi­ration. Keinen geraden Satz habe ich zustande gekriegt. Nach vier Tagen habe ich die Übung abgebrochen.

Vom kleinen E ist schon vor Jahren das Ende des Aufwärts­bo­gens abgesplittert. Man könnte den Typenhebel auswechseln, das hat mir der Ver­käufer damals als besonders nützliche Eigenschaft ange­priesen. Ich habe nie daran gedacht, es machen zu lassen. Man liebt seine Freundin auch mit Zahnlücke.

Meine Torpedo nimmt es mir dafür nicht übel, dass ich so ungeschickt auf ihr herumhacke. Beim Tippen verwende ich nur die Hälfte meiner Finger. Die beiden Zeigfinger und den rechten Mittelfinger für die Buchsta­ben, die Daumen für die Abstands- und die Umschalt­taste. 1933, als sie mir das Schreiben verboten, habe ich versucht, mir das Zehnfingersystem beizubringen. Zeit genug zum Üben hatte ich. Es ging nicht. Meine Hände machten ein­fach nicht mit. Ich bin kein Büromensch.

Früher musste ich oft, wenn in einer Szene etwas nicht ganz funktionierte, kleine Textergänzungen vor Ort verfassen, auf einer fremden Maschine. Ich habe jedes Mal, obwohl die Tastaturen doch alle gleich sind, sehr viel mehr Fehler gemacht als zu Hause. Der ganze Bewegungsablauf hat nicht funktioniert. Es war, als ob man an Krücken ginge.

Manchmal, viel zu selten, mache ich meine Torpedo gründlich sauber. Die Buchstabentasten, die man oft verwendet, das fällt mir jedes Mal wieder neu auf, werden viel schmutziger als die ande­ren. X und Y sind noch ganz jungfräulich. Ich wische die Tasten mit einem feuchten Lappen ab, eine nach der andern. Es ist ein zärtlicher Vorgang.

Über einem Blatt Zeitungspapier stelle ich die Maschine auf dem Kopf und bin immer wieder erstaunt, was sich alles darin ansammelt. Haare, Brotkrumen, Zigarettenasche. Titi hat einmal gesagt: „Andere Leute rauchen beim Schreiben, aber du schreibst beim Rauchen.“

In der Klingel, die am Ende jeder Zeile anschlägt, ist ein Kratzer. Ich weiß nicht, wie er entstanden ist. Die Klingel ist wichtig für mich. Ihr Rhythmus zeigt mir an, wie gut meine Arbeit läuft. Manchmal, wenn eine Zeile am Ende eines Abschnitts nur aus zwei oder drei Worten besteht, verlängere ich sie mit der Abstandstaste, nur um die Klingel zu hören.

Es ist meine Schreibmaschine, meine, meine, meine.

Charles Lewinsky

Charles Lewinsky


lewinsky.ch

AIR 2014


air_1409327444729-jpg



La Villa Gillet



Institution incontournable de la scène culturelle à Lyon, la Villa Gillet rassemble artistes, écrivains et chercheurs du monde entier pour nourrir une réflexion publique autour des questions de notre temps à l'occasion de conférences, débats, tables rondes, et lectures.
Pour citer cette ressource :

Charles Lewinsky, Comment redonner vie à une époque ?, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), juillet 2014. Consulté le 05/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/textes-inedits/comment-redonner-vie-a-une-epoque-