Begriff zur Diskussion: die shrinking city oder schrumpfende Stadt
Voir l'original en français : « Notion en débat : shrinking city » Dies ist die deutsche Übersetzung eines Artikels auf Französisch von 2016: "Notion en débat : shrinking city" |
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Die Sicht der Lehrer
« Shrinking city » oder « Schrumpfstadt » ist ein vielschichtiger Begriff, dem die Lehrkräfte der Abiturstufe immer häufiger begegnen, wenn es um Globalisierung und den amerikanischen Kontinent geht. Dieser kurze Artikel soll diese Komplexität anhand von hauptsächlich europäischen, konkreten Beispielen erläutern. So können die Kenntnisse zu diesem relativ neuen Konzept in der Schulgeographie auf den aktuellen Stand gebracht und vertieft werden, ohne es auf den amerikanischen Kontinent zu beschränken, und es kann dann auch in das Curriculum der beiden unteren Jahrgänge der Oberstufe eingebunden werden. Der einführende Absatz sowie das Fettgedruckte können in der Oberstufe diesen Begriff erarbeiten helfen und den Schüler-inne-n folgenden Gedanken nahebringen : « Eine shrinking city ist eine Stadt, in der [ ...] Prozesse zusammentreffen : Bevölkerungsrückgang und Konjunktureinbruch, oft noch gekoppelt mit einer Krise der öffentlichen Finanzen vor Ort. »
A.F. / Pädagogische Werkstatt der APHG (Verein der Geschichts- und Geographielehrer) in Lyon
Straße in Liverpool in der Abenddämmerung. Foto : D. Florentin, 2008. |
Der Ausdruck « shrinking city » ist einer dieser irreführenden Begriffe, deren wörtliche Übersetzung in « schrumpfende Stadt » oft nicht mit der beobachteten Wirklichkeit übereinstimmt. Der Schrumpfungsprozess einer shrinking city ist selten genug ein räumliches Phänomen : eine shrinking city kann sich durchaus weiter ausbreiten. Die Stadt Leipzig im ostdeutschen Bundesland Sachsen liefert da ein eindrückliches Beispiel : die heutige Bevölkerungszahl ist die gleiche wie die von 1918, erstreckt sich jedoch auf das Vierfache der damaligen Fläche.
Die Stadt Leipzig 1918-2016 : gleiche Einwohnerzahl, starke Ausdehnung
- Ein weiteres Beispiel für eine sich ausdehnende shrinking city : Baltimore in den USA (fr)
Die dunkle Seite der Globalisierung und die Spiralen des Rückgangs
Der Begriff bezeichnet de facto eine Verbindung von relativ bekannten Prozessen, die sich jedoch seit zwanzig Jahren neu verschärft haben. Er entspricht in gewisser Hinsicht der Kehrseite von Globalisierung und Metropolenbildung, der dunklen Seite derjenigen Gegenden, die ziemlich vernachlässigt worden sind. Eine shrinking city ist eine Stadt, in der über einen längeren Zeitraum hin mehr oder weniger stark ausgeprägte Prozesse zusammentreffen : Bevölkerungsrückgang und Konjunktureinbruch, oft noch gekoppelt mit einer Krise der öffentlichen Finanzen vor Ort. Die Verbindung dieser Prozesse führt häufig zu einer Verminderung der Dienstleistungen in den betroffenen Städten.
Diese Entwicklung ist besonders beeindruckend in den meisten Städten Osteuropas, welche oft sehr hart vom postsozialistischen Übergang getroffen wurden, und wo diese verschiedenen Prozesse zusammentrafen, sich gegenseitig verstärkten und so miteinander eine Art Abwärtsspirale bildeten. Eine solche Rückkopplungsschleife betraf Großstädte wie Bukarest in Rumänien oder Brno in der Tschechischen Republik, wirkte sich jedoch stärker noch in kleinen und mittleren Städten aus. Im Osten Deutschlands haben manche Städte mehr als ein Drittel ihrer Bevölkerung in wenigen Jahren verloren, wie Frankfurt an der Oder an der polnischen Grenze, wo die Bevölkerung seit 1990 von 88 000 auf 58 000 Einwohner sank. Die zurückbleibenden Einwohner sind oft die älteren oder weniger mobilen Jahrgänge, was die sozialen und generationellen Unterschiede zwischen den shrinking cities und den anwachsenden Städten verstärkt. Das alternde Europa hat auch seine eigene Geographie, und die shrinking cities sind häufig die Städte der « Grauköpfe », wo die älteren Menschen verhältnismäßig überrepräsentiert sind.
Die Abwärtsspiralen, ein dauerhafter Prozess
Eine Umsetzung dieses Prozesses in den Stadtlandschaften
Die Anhäufung dieser regressiven Dynamiken hat Folgen für den städtischen Raum gezeitigt : es entstehen Industrie- und Stadtbrachen, die Anzahl der leerstehenden Wohnungen steigt an, und diese Leerräume im städtischen Gefüge sind wie Löcher in einem Gewebe, sodass manche Raumplaner von der «perforierten oder durchlöcherten Stadt» sprechen. Eine shrinking city bildet so eine besondere Landschaft mit ihr eigenen urbanen Formen. In den Stadtvierteln von Liverpool um das legendäre Fußballstadion Anfield zum Beispiel findet man nicht selten teilweise verlassene Straßenzüge mit ein paar bewohnten Reihenhäusern neben solchen, die zwar in gutem Zustand, aber zugemauert sind, schwarz beschriftet mit « gas off, electricity off » (Gas und Strom abgestellt).
Verlassene Häuser in einer Straße von Liverpool in der Abenddämmerung
Zugemauerte Häuser |
Straßenzug von zugemauerten Häusern in Liverpool |
« gas off, elec off » |
Weniger sichtbare andere Auswirkungen der shrinking cities stellen den Normalbetrieb einer Anzahl von Einrichtungen in Frage, wie zum Beispiel die Wasser- und Energieversorgung. Deren Netzwerk ist nunmehr zu groß geworden für die zu versorgende Bevölkerung. Die städtischen Dienstleistungsbetriebe müssen die zusätzlichen Ausgaben zur Instandhaltung der Netzwerke auf eine verringerte Zahl von Nutzern umlegen.
Der Rückgang einer Stadt betrifft diese jedoch nicht einheitlich, und in einer shrinking city kann man selbstverständlich einzelne hochattraktive Stadtviertel antreffen, wie beispielsweise in Liverpool um die Tate Gallery. Dort haben die Gemeindebehörden ein Ufer umgestaltet, und dieses Raumerschließungsprojekt um ein Schlüsselbauwerk, nämlich das Kunstmuseum Tate, ist ein voller Erfolg.
Die Tate Liverpool GalleryDieses Museum öffnete 1988 nach der Sanierung von ehemaligen Lagerhallen am Ufer in Liverpool. Bis 2003 war es das größte Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Großbritannien außerhalb von London. Quelle : geograph.org.uk |
Neue Formen der Stadtplanung erfinden
Ein Teil der Untersuchungen zu den shrinking cities konnte aufzeigen, dass ein besonderes Kennzeichen dieser keineswegs neuartigen städtischen Rückgangsprozesse ihre Dauerhaftigkeit ist. Es geht hier nicht um ein kurzes Intermezzo in einem ansonsten stetigen Städtewachstum, es ist vielmehr eine neue langfristige Gegebenheit, der sich Stadtplanung und -gestaltung anpassen müssen und die auch die öffentliche Politik verändern dürfte, um sie dem neuen Umfeld anzupassen. Bestimmte Städte, am bekanntesten wurden Beispiele aus Berlin, haben so beschlossen, diese Wirklichkeit als eine « Chance » zu begreifen : neue Verwendungsmöglichkeiten des städtischen Raums werden gefördert, in Verbindung zum Beispiel mit alternativer Nutzung von Brachen durch Kunst-, Urban Gardening- und Solidaritätsprojekte usw., und es sind die öffentliche Hand oder auch die Bürgerinitiativen, die dies vorantreiben.
Bibliografie
- Numéro spécial « " Villes rétrécissantes" en Allemagne », Géocarrefour, 2011, vol. 86/2
- Baffico, Stéphanie, 2016. « De "Charm City" à "Farm City" : la reconquête des espaces en déshérence par l’agriculture urbaine à Baltimore », Géoconfluences
- Florentin, Daniel, Fol, Sylvie et Roth, Hélène, 2009. « La "Stadtschrumpfung" ou "rétrécissement urbain" en Allemagne : un champ de recherche émergent », Cybergeo, mis en ligne le 26 mars 2009
- Fol, Sylvie, 2010. « "Déclin urbain" et shrinking cities : une évaluation critique des approches de la décroissance urbaine », Annales de géographie, 2010/4 (n°674)
- Giband, David, 2015. « La fin des ghettos noirs ? Politiques de peuplement et recompositions socio-ethniques des métropoles américaines », Géoconfluences
- Nussbaum, Florence, 2015. « Quartiers fantômes et propriétaires invisibles. Les propriétés abandonnées, symptômes de la crise des villes américaines », Géoconfluences
- Paddeu, Flaminia, Florentin, Daniel, 2013, « Le déclin au quotidien : crise perçue et espace vécus à Leipzig et Detroit », Urbanités, mis en ligne le 8 novembre 2013
- Roth, Hélène, 2011. « Les « villes rétrécissantes » en Allemagne », Géocarrefour [En ligne], Vol. 86/2
- Wolff, Manuel, Fol, Sylvie, Roth, Hélène et Cunningham-Sabot, Emmanuèle, 2013. « Shrinking Cities, villes en décroissance : une mesure du phénomène en France », Cybergeo, mis en ligne le 14 décembre 2013
Zusatzquellen
- SCiRN (The Shrinking Cities International Research Network) [En]
- Shrinking cities: the rise and fall of global urban populations – mapped (The Guardian) [En]
- Baltimore, une shrinking city qui s'étale, veille de Géoconfluences, 26 septembre 2016 [fr]
- Un pearltree (une curation de sites internet) consacré aux shrinking cities [fr]
- Shrinking city dans le glossaire de Géoconfluences [fr]
Daniel FLORENTIN
Lehrassistent an der « Ecole des Mines Paris Tech », Hochschulinstitut für Engineering und Umweltmanagement. Persönliche Seite (fr).
aus dem Französischen übersetzt von Charlotte MUSSELWHITE-SCHWEITZER
Professeure d'histoire-géographie, académie de Nancy-Metz.
Webseitengestaltung : Jean-Benoît Bouron
Pour citer cette ressource :
Daniel Florentin, Begriff zur Diskussion: die shrinking city oder schrumpfende Stadt, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), janvier 2020. Consulté le 06/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/civilisation/civilisation/la-ville/begriff-zur-diskussion-die-shrinking-city-oder-schrumpfende-stadt