Der Vulkan Merapi (Indonesien) : Raum- und Zeitaspekte des Risikos am Beispiel eines einzigartigen indonesischen Vulkans
Voir l'original en français : « Le volcan Merapi (indonésie) : espaces et temporalités du risque sur un volcan indonésien singulier ». Publication en partenariat avec le site Géoconfluences Dies ist die deutsche Übersetzung eines Artikels auf Französisch von 2019 : "Le volcan Merapi (indonésie) : espaces et temporalités du risque sur un volcan indonésien singulier ". |
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Kurz vor Sommerbeginn 2004 begab sich eine Gruppe von Dorfbewohnern aus der Umgebung von Jurangjero, inmitten von Pinien- und Bambuswäldern auf den westlichen Höhenlagen des Vulkans Merapi gelegen, hinunter in das Tal des Flusses Putih. In Begleitung eines Imam und eines ‘Dukun’ genannten Heilers sowie einiger Journalisten und Zaungäste begannen sie, mit Gebeten und Zaubersprüchen die Rückkehr der in den letzten Jahreszeiten selten gewordenen Lahars heraufzubeschwören. Diese Ströme von Vulkanschutt werden ausgelöst, wenn sich Wasser mit wenig gefestigtem Vulkanmaterial vermengt, in der Regel Aschetephras (Partikeldurchmesser unter 2 mm). Die Lahars (vgl. Kasten 1) nehmen bei ihrer Talfahrt, die dem Gewässernetz folgt, immer mehr Bruchstücke auf (Tephras, Stücke von abgebrochener Uferböschung), verdichten sich und erhöhen so ihre Zerstörungskraft.
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Wie also ist diese kleine, informelle Prozession von 2004 zu erklären, die eine Rückkehr solch gefährlicher Vorgänge am Merapi zu fordern schien ?
Nun, außer der Gefährdung für die Bewohner der vulkanischen Flusstäler sind die Lahars eben eine sehr geschätzte Quelle für begehrte Baumaterialien : Sand und Lavablöcke. Und, von der Anekdote einmal abgesehen, enthüllt dieser Vorgang die starke spirituelle Bindung der Einwohner an ihren Vulkan. Jedes Jahr findet eine große offizielle Prozession statt, der ‘labuhan ndalem’, vom Hof des Sultans von Yogyakarta organisiert und von einer schamanischen Persönlichkeit mit dem Titel ‘juru kunci’ (Hüter) geleitet, um die guten Beziehungen zwischen den Menschen und dem Schutzgeist des Vulkans zu gewährleisten (Martinez, 2018). Gut untersucht und streng überwacht, befindet sich der Merapi nicht nur im geographischen Zentrum der Insel Java, sondern bildet auch eines der historischen Herzstücke der javanischen Kultur. Als wesentlicher Pol des fürstlichen Hoheitsgebiets von Yogyakarta ist er auch in der javanischen Spiritualität ‘kejawen’ sehr präsent und nimmt einen besonderen Platz auf Java und in ganz Indonesien ein.
Der Vulkan Merapi befindet sich an der Schnittstelle von zwei Vulkanketten im Zentrum der Insel Java (Abb. 1), er gipfelt mit über 2900 m etwa dreißig Kilometer nördlich der Stadt Yogyakarta, der Hauptstadt einer kleinen, relativ autonomen Provinz, die von einer alten und traditionsbewussten Sultandynastie regiert wird. Mehr als eine Million Menschen bewohnen diesen Vulkan, davon 400 000 seine oberen Abhänge, an welchen eigentlich die menschlichen Tätigkeiten untersagt sind. Der Berg ist nämlich für seine rege vulkanische Aktivität berühmt. Die von Chris Newhall Ende der 1990er Jahre geleitete Arbeitsgruppe sowie die von Ralf Gertisser 2012 veröffentlichten Studien haben gezeigt, dass der Merapi nach mehreren recht starken Eruptionen im 19. Jh., im 20. Jh. eine ziemlich typische Aktivität entwickelt hat : ein Lavadom entstand, dessen Zusammenbruch pyroklastische Ströme (man spricht auch von Glutwolken mit dem Ausstoß von festen, sehr heißen und hochbeschleunigten Magmafragmenten, einer grauen « Wolke » ähnlich, die von den Abhängen herabrollt) von bis zu zehn Kilometern Länge hervorrief ; spätere Regenfälle brachten diese Ablagerungen dann in Bewegung und transportierten sie als Lahars weiter flussabwärts. Obwohl die mit den Vulkanausbrüchen verbundenen direkten und indirekten Gefahren tödlich sein können, haben sie bisher nie die Menschen davon abhalten können, die Vulkanhänge dicht zu besiedeln. Dort gibt es viel Wasser, die Luft ist kühler und vor allem sind die Böden fruchtbar. Trotz einer recht guten Kenntnis der Gefahr, wie aus den Arbeiten von Franck Lavigne u.a. (2008) und von Pauline Texier u.a. (2009) hervorgeht, bleibt die Vulnerabilität ziemlich hoch, bedingt durch zahlreiche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Faktoren, welche die Vorstellungen, die seine Bewohner von ihrem Vulkan haben, sehr beeinflussen. Die Fortschritte in der Vorbereitung der Bevölkerung, das effiziente Krisenmanagement während des letzten Ausbruchs Ende 2010, sowie eine immer besser im allgemeinen Bewusstsein verankerte Risikokultur haben die Katastrophe (Mei u.a., 2013) verhindern können, dürfen jedoch nicht den Blick auf die andauernden und besonders die neueren Veränderungen der Risiken auf diesem so eigenartigen Vulkan verhüllen.
Abb. 1a. Lage des Merapi auf der Karte der Vulkanrisiken in Indonesien
Abb. 1b. Luftaufnahme des Merapi und der Nachbarvulkane
Die vorliegende Fallstudie hat die Vielschichtigkeit des Raum- und Zeitaspekts des Risikos auf dem Merapi zum Gegenstand, als einen Beitrag zum Verständnis der typischen Ausbruchs- und sonstigen Gefährdungen von Subduktionsvulkanen in Südostasien sowie als Beispiel für die Verwaltungskompetenz der indonesischen öffentlichen Träger. Nicht zuletzt wird sie auch den spezifischen Stellenwert des Merapi hinterfragen, der die javanische Kultur grundlegend polarisiert : er ist so berühmt, dass er einerseits wirkungsvoll überwacht und gemanagt werden kann, seine Berühmtheit schafft andererseits auch eine Attraktion, welche die Risiken vervielfacht und sogar neue Gefahren schafft, an die man sich ständig anpassen muss. Symbolisch betrachtet scheint der Merapi in einem kleinen Umkreis sämtliche Entwicklungsprobleme zu konzentrieren, denen sich Indonesien heute zu stellen hat.
1. Variable Risiken in Raum und Zeit
Die Gefährdungen um den Merapi, in direkter oder indirekter Verbindung mit seinen Ausbrüchen, schaffen spezifische räumliche und zeitliche Gefahren, die es als erstes abzugrenzen gilt, um die Risiken zu verstehen und zu orten.
1.1. Die Ausbruchsrisiken : variable Ausdehnung in einer begrenzten Dauer
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Die zentrale Lage des Vulkans Merapi und seine Nähe zu den althergebrachten Stätten der Macht (indianisierte Königreiche, Sultanate …) haben es ermöglicht, eine handfeste Chronologie seiner Ausbruchstätigkeit zusammenzutragen. Das gilt jedoch nicht für die anderen Vulkane Indonesiens. Der Archipel zählt 127 tätige Vulkane, allein auf der Insel Java sind es 25. Diese entladen sich in der Regel in explosionsartigen Ausbrüchen, was sehr kennzeichnend für die Zusammenhänge mit dem Subduktionskontext (vgl. Kasten 2), und besonders typisch für den Merapi (vgl. Kasten 3) ist.
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Abb. 2. Vom Wind aufgewirbelte Aschewolken während der Trockenzeit
Die Ausbruchsrisiken betreffen also während ein paar Wochen hauptsächlich die West- und die Südflanke des Vulkans über eine Distanz von etwa zehn Kilometern; im Fall von Ascheniederschlägen jedoch ist ein weiterer Umkreis betroffen, und die Wiederherstellung braucht mehr Zeit.
1.2. Die Gefährdungen nach dem Ausbruch : räumliche und zeitliche Ausdehnung des Risikos
Während die Vulkansausbrüche nur ein paar Tage oder Wochen dauern, verlängern die ihnen folgenden Lahars nicht nur den Zeitraum der Katastrophe, sondern weiten auch das betroffene Gebiet aus. Die Lahars entstehen durch starke Regenfälle während des Monsuns zwischen Oktober und Juni auf den Abhängen des Merapi und reißen die losen Ablagerungen von Eruptionsmaterial in einem Schuttstrom mit in die Flüsse. Das große Volumen an pyroklastischem Material nach der Eruption von 2010 hatte drei Folgen : zunächst wurden besonders mächtige Lahars ausgelöst, die sich dann über alle Vulkanhänge im Norden, Westen und Süden ausbreiteten, um schließlich einen mehrjährigen Notstand zu schaffen mit Lahars, die bis 2016 festgestellt wurden (Abb. 3).
Abb. 3. Die Gefährdungen durch Lahars an den Hängen des Vulkans Merapi in den Jahren nach dem Ausbruch von 2010
Abb. 4. Die Lahars von 2010 mitten im Stadtraum des Ballungszentrums von Yogyakarta
Eine Verschiebung der Gefährdungen hat stattgefunden : sie « rutschen » von den Abhängen des Vulkans nach unten an seine Basis (Abb. 3 und 4). Dies verschärft die Gefahren umso mehr : die Überschwemmungen, die sich nun in der ringförmigen Ebene um den Vulkan durch die nicht mehr eingeengten Flusstäler ausbreiten, betreffen nun immer häufiger die dichter besiedelten Gebiete bis hin zum Stadtgebiet selbst. Im ersten Halbjahr von 2011 haben sich 266 Lahars in 17 Flüssen gebildet ; auf dem Höhepunkt der Regenzeit zwischen Januar und März haben sich drei Vorfälle bis hin zur Stadtmitte von Yogyakarta ereignet, die sich in dreißig Kilometer Entfernung vom Vulkankrater befindet (Abb. 4). Zum Glück waren diese Überläufe schon stark verdünnt und hatten nicht mehr die zerstörerische Kraft der Schuttströme. Es kam trotzdem zur Überschwemmung von ärmeren Wohnvierteln mit informellen Behausungen direkt an den Ufern des Flusses Code. Dank rechtzeitiger Warnung konnten sich die Einwohner in Sicherheit bringen, es wurden jedoch Dutzende von Häusern beschädigt.
Die Lahars haben auch eine tiefgehende Landschaftsveränderung an der abgewandten Seite des Vulkans verursacht, dort, wo der Hang bedeutend flacher ist und wo sie sich entsprechend weiter ausbreiten konnten (Abb. 5, Kasten 4 und 5), da das Wassernetz nicht mehr eingekesselt ist. Von 2010 bis 2016 sind insgesamt 430 Lahars aufgezeichnet worden.
Abb. 5. Sedimentation und Erosion im Flussbett des Gendol auf der distalen (fernsten) Böschung (untere Vulkanhälfte)
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Die Hauptverkehrsader von Yogyakarta nach Semarang, einem weiteren indonesischen Ballungsraum, wurde mehrmals im Januar geschlossen, nachdem die Lahars des Putih die Straße unter sich begraben hatten, denn sie waren zu tiefliegend, um durch die vorgesehenen Ablaufrohre unter der Straße abzufließen. Ab März wurde die Straße endgültig gesperrt, nachdem eine Brücke über den Fluss Pabelan zerstört worden war (im Nordwesten des Vulkans).
Die Energie der Lahars bringt demnach eine Umgestaltung des Gewässersystems um den Vulkan mit sich, welche aufsehenerregende Schäden verursacht und den Notstand nach einem Vulkansausbruch beträchtlich verlängert. So kann man, schematisch betrachtet, den zweiteiligen Zeithorizont einer Eruption feststellen : während der wenigen Ausbruchswochen sind es die West- und Südseiten des Vulkans, die direkt bedroht sind ; in den Folgejahren sind es die unteren, ferneren Vulkanhänge, die von den Lahars in jeder weiteren Regenzeit heimgesucht werden. Jedoch, obwohl die Lahars im Gefolge des 2010er Ausbruchs besonders zahlreich, ausgedehnt und mächtig waren und viele Verheerungen anrichteten, so haben sie glücklicherweise nur relativ wenige Todesopfer gefordert, weniger als 30 Menschen, dh. zehnmal weniger als die Opfer des Vulkanausbruchs selbst. Dieser Erfolg ist vor allem einem Krisenmanagement zu verdanken, das sich bewährt hat.
Abb. 8. Anzahl der von Lahars zerstörten und beschädigten Häuser
2. Risiko- und Krisenmanagement : vorher, während und danach, ein elastischer Zeitrahmen zwischen kurzfristiger Dringlichkeit und langfristiger Anpassung
Das Krisenmanagement um einen Ausbruch am Merapi und in Indonesien überhaupt konzentriert sich auf drei grundlegende Aspekte : die Einteilung in Risikozonen, die ständige Überwachung des Vulkans und die Information der Bevölkerung.
2.1. Management der Ausbruchskrise : Reaktionsfähigkeit angesichts des Notfalls
Die Landkarte der Risiken ist das grundlegende Dokument für das Krisenmanagement. Sie wird von der geologischen Abteilung des Ministeriums für Energie und Bodenschätze festgelegt und stellt die wahrscheinliche Ausdehnung der Vulkanrisiken dar, Lahars inbegriffen, ebenso Gebäude, Straßennetz, Evakuierungsrouten, Aufnahmezentren und Erste Hilfe (Abb. 9). Eine Anleitung erläutert mögliche Szenarien. Die Zoneneinteilung untersagt insbesondere, diejenigen Gebiete zu bewohnen, die allen Gefährdungen ausgesetzt sind. In Wirklichkeit wird diese Vorschrift nicht befolgt : mehr als 400 000 Menschen bewohnen genau diese Gebiete, da die öffentliche Hand nicht die Mittel hat, das Recht durchzusetzen. In den 1980er Jahren hatte die Regierung zum Beispiel die Umsiedlung ganzer Dörfer in neu zu bestellende Gebiete auf Sumatra und Borneo organisiert, um die Besiedlung der gefährlichen Hänge des Merapi zu begrenzen, und hatte den Migranten auch Grundstücke zur Verfügung gestellt. Dies hat sich als Misserfolg erwiesen, da ab den 1990-er Jahren viele Menchen einfach zurückkehrten und die eigentlich nicht mehr offiziell existierenden Weiler wieder bevölkerten.
Abb. 9. Beispiele für die Entwicklung der « Landkarte der Risiken », veröffentlicht von der Abteilung Geologie, 2002-2011
Die zweite Aktionsebene ist die Früherkennung von Ausbrüchen. Der Merapi ist besonders gut mit Sensoren ausgestattet, welche eine sehr genaue Überwachung ermöglichen ; so können die Experten des Vulkanbüros von Yogyakarta (BPPTKG) einen Ausbruch fast auf den Tag genau voraussagen. Das indonesische Krisenmanagement ist seinerseits in drei Stufen organisiert (Stufen 2, 3 und 4), denen jeweils eine Reihe von zu mobilisierenden Handlungsträgern und einzuleitenden Aktionen entsprechen. Der Übergang von einer Warnstufe zur nächsten wird von einem seismischen Schwellenwert bestimmt. Dabei folgt dies nicht einem unwiderruflichen Kurs : der Vulkan kann ohne weiteres von Stufe 2 oder 3 wieder zurück auf Normalzustand gemeldet werden. Warnstufe 4 entspricht der bevorstehenden Eruption, sodass die sofortige Evakuierung der Gefahrenzone angesagt ist und die Aufnahmezentren, welche ab Warnstufe 3 vorbereitet und ausgestattet sein müssen, funktionsbereit zu sein haben. Die größte Schwierigkeit für die verantwortlichen Krisenmanager ist dabei, den Ablauf eines Vulkanausbruchs vorherzusagen. Wenn auch die einleitenden Anzeichen eher gut bekannt sind, so lassen diese doch nicht vorhersagen, auf welche Weise das Magma herausgeschleudert werden wird. Schematisch gesehen, sind die Vulkanologen in der Lage, einen bevorstehenden Ausbruch anzukündigen, sie können aber nicht vorhersagen, nach welchem « Drehbuch » er ablaufen wird. Eine hohe Anpassungsfähigkeit der Verantwortlichen ist demnach unbedingt erforderlich, um im richtigen Augenblick die notwendigen Entscheidungen treffen zu können. Genau dies war der Fall im Oktober 2010 : das Erwachen des Vulkans war insofern keine Überraschung, als man sich in der üblichen Ausbruchsfrequenz befand, da die letzte Eruption 2006 stattgefunden hatte. Nichtsdestoweniger war den Verantwortlichen schnell bewusst, dass die Intensität diesmal die der vorigen Ereignisse weit überstieg und dass die geplanten Maßnahmen, die eher kleineren Ausbrüchen angepasst waren, nicht einem derartigen subplinischen Szenarium gewachsen sein würden. Der charismatische Leiter der geologischen Abteilung von Bandung, Surono, war in der Lage, Tag für Tag die zu evakuierende Zone allmählich auszudehnen, um so eine größere Katastrophe zu vermeiden (Abb. 10). Unglücklicherweise kamen trotzdem über 350 Menschen ums Leben, hauptsächlich als Opfer eines mehr als 17 km langen pyroklastischen Stroms im Flussbett des Gendol. Die Bilanz hätte weit schlimmer ausfallen können, doch die richtigen Entscheidungen wurden getroffen und sie wurden vor allem auch richtig angewandt und befolgt. Selbstverständlich ist die mögliche Vorhersage dem abgestuften Warnsystem zu verdanken, jedoch haben auch das Verhalten der Bevölkerung und die Verbreitung der Information eine wichtige Rolle gespielt (Kasten 5).
Abb. 10. Die Anpassung des Evakuirungsperimeters während der Ausbruchsphase des Vulkans von Oktober bis Dezember 2010 (Mei, 2013)
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Das Krisenmanagement während des Ausbruchs hat demnach eine gute Reaktionsfähigkeit angesichts einer Notlage gezeigt, an die Tag für Tag die Gefahrenzone während des Vulkanausbruchs angepasst werden musste, auch wenn dabei zahlreiche Probleme aufgedeckt wurden (hauptsächlich fehlende Ausrüstung in einigen der überfüllten Aufnahmezentren ; Schwierigkeiten bei der Evakuierung der Aufnahmezentren, die nach der Ausweitung der Gefahrenzone unmittelbar betroffen waren. Es zeigte sich auch, wie schwierig es ist, eine Krise nach einem festgelegten Szenarium zu verwalten : von einer Eruption zur nächsten können die Vorgänge vor Ort sehr verschieden ausfallen und das betroffene Gebiet sich vom vorherigen sehr unterscheiden. Die insgesamt gelungene Aktion der öffentlichen Vertreter und der Bevölkerung ist teilweise einer wirksamen Verbreitung der relevanten Informationen zu verdanken sowie einer guten Kenntnis der Bevölkerung, die einen Vulkan bewohnt, der häufig ausbricht.
2.2. Die Verwaltung der Lahars : Schaffung eines spontanen und wirkungsvollen Warnsystems
Jon Major u.a. hatten schon 2003 die Schwierigkeit mit der institutionellen Organisation der Laharwarnungen hervorgehoben und vermutet, dass man am besten die Anwohner miteinbezieht und sie auf die Früherkennung der Ausbruchsvorboten vorbereitet. Ganz zweifellos hätten die Intensität und die Häufigkeit der Lahars während und vor allem nach dem Ausbruch von 2010 eine größere Katastrophe in den dicht besiedelten Gebieten verursachen können. Da jedoch die Bevölkerung systematisch und rechtzeitig vorgewarnt worden war und sich von den Flüssen entfernen konnte, gab es hauptsächlich Sachschäden, und die Anzahl der Todesopfer war viel niedriger als man hätte befürchten können.
Das angewandte System beruht auf einem simplen Informationsrelais, das auf ein Tal bzw. ein Wassereinzugsgebiet bezogen ist. Beobachtungsposten werden flussaufwärts eingerichtet, wo man vor Lahars einigermaßen in Sicherheit ist, da das Wassernetz oft sehr tief liegt und so die Schuttlawinen nicht über die Ufer treten können. Überwachungteams lösen sich bei der konkreten Flussüberwachung ab ; sobald ein Lahar gesichtet oder gehört wird, leiten sie die Information den flussabwärts gelegenen Posten (posko) weiter. Diese warnen dann direkt die Personen, die sich im Überschwemmungsgebiet des Flusses befinden (insbesondere die Bergleute, die in den Ablagerungen Sand und Gesteinsblöcke abbauen), und zwar mit einem kentongan (kleiner Holzgong) oder einer Pfeife. Die umliegenden Gemeinden werden entweder durch SMS gewarnt oder direkt durch zwei oder drei Mitglieder des posko, die auf Motorrädern die Runde aller Behausungen machen. Die Evakuierung der fernsten Abschnitte der Flüsse des Merapi dauert im Durchschnitt 30 bis 45 Minuten, diese Frist war 2011 ausreichend (Abb. 11 und 12).
Abb. 11. Ein Informationsposten auf dem Fluss Opak im Süden des Vulkans
Abb. 12. Verteilung der Beobachtungsposten (flussaufwärts) und Informationsposten (flussabwärts) im Wassereinzugsgebiet Opak-Gendol südlich des Vulkans
Dieses gemeinschaftliche Management funktionierte vor allem dank des hohen Engagements der Jugendlichen während der Ausbruchsphase, die in den Teams Save And Rescue (SAR) tätig waren, verstärkt durch die Benutzung von Handys und sozialen Netzwerken. Der Beitrag der Informations- und Kommunikationstechnologien zum Krisenmanagement wird immer deutlicher, in den Industrieländern (Island, Italien …) wie auch in den Entwicklungsländern (Ecuador, Indonesien). Im übrigen wurzelt diese erfolgreiche gemeinschaftliche Steuerung in der Tradition der javanischen Dörfer, die auf gegenseitiger Unterstützung aufgebaut ist. Gotong royong heißt dieses System, in dem geschädigte Dorfbewohner auf die sofortige Unterstützung durch ihre Nachbarn wie auf eine Art soziokulturelles Kapital zurückgreifen können (Sarrazin u.a., 2018), beruhend auf einer lebendigen Tradition persönlicher und individueller Beteiligung am Leben der Gemeinschaft. Auch Studentenvereinigungen sind stark miteinbezogen und veranschaulichen die dauerhafte Verbindung zwischen dem Vulkan und seinen Bewohnern, zu denen auch die Einwohner von Yogyakarta gezählt werden können. Schließlich haben zahlreiche NRO vor Ort den Jugendgruppen geholfen, Überwachungsposten mit Radios und Walkie-Talkies einzurichten (insbes. Jalin Merapi), und haben auch Informationsblätter zur Beobachtung von Lahars ausgeteilt (Abb. 13).
Abb. 13. Ein Informationsblatt über Lahars, von einer örtlichen NRO ausgeteilt
Oben ein Beispiel für ein Informationsblatt, das ab Januar 2011 den Anwohnern der Flüsse Boyong und Code ausgeteilt wurde, dann im März denen des Gendol und des Opak im Süden des Merapi. Das von einer örtlichen NRO erstellte Papier liefert knappe und präzise Informationen zu den Lahars und macht auf den Warnungsverlauf aufmerksam. Nicht zu vergessen, dass man sich auf dem fernsten Teil des Vulkans befindet, die normalerweise nicht den natürlichen Gefährdungen oder der Evakuierung ausgesetzt ist. Dieses Blatt wird oft von Treffen vor Ort begleitet, wo erläutert wird, welche Notfallausrüstung vorzusehen ist, wie man evakuiert, welches nützliche Telefonnummern sind, wie man sich auf dem Laufenden hält.
Der Ausbruch von 2010 und die ihm folgenden Lahars der nächsten Jahre haben daran erinnert, dass die Bevölkerung mit den Risiken vertraut ist, was das Krisenmanagement vereinfacht und das Katastrophenrisiko verringert. Einerseits haben die Behörden eine wichtige Koordinierungs- und Entscheidungsarbeit geleistet, andererseits sollte man nicht das Engagement der Ortsgemeinschaft und besonders der Jugendlichen vergessen. All dies veranschaulicht, dass der Umgang mit Krisensituationen vor allem von der Fähigkeit der Einwohner abhängt, vorauszudenken und sich den örtlichen Gegebenheiten anzupassen.
3. Zwischen Widerstandsfähigkeit und Entstehung neuer Vulnerabilitäten auf einem einzigartigen Vulkan
Die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) definiert in der Geographie in der Regel die Fähigkeit eines territorialen Systems, zu dem Zustand vor einer Störung zurückzukehren, sei es nach einem Krisenfall oder einer Katastrophe. Der Begriff ist jedoch vieldeutig (Reghezza-Zitt, 2013) und wird ausgiebig diskutiert (Rufat, 2012). Trotzdem kann er als theoretischer Rahmen dienen, um die Richtungen ins Auge zu fassen, welche die verschiedenen Gebiete um den Merapi nach seinem Ausbruch von 2010 eingeschlagen haben. Nun war dieser letzte Ausbruch keine Katastrophe und hatte auch nicht zum völligen Bruch geführt ; dafür hat er die vielen Dynamiken zum Vorschein gebracht, welche zur Unbeständigkeit, wenn nicht zur Vulnerabilität der sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen am Merapi beitragen.
3.1. Das Problem der Umsiedlung
Die Einwohner nämlich haben nicht nur mit den Risiken umzugehen, denen sie ausgesetzt sind, sondern auch mit den Verwaltungsinstanzen, die für die Umsiedlung nach der Katastrophe verantwortlich sind. Die Arbeiten der Geographin Annabelle Moatty haben die Konflikte betont, die entstehen, wenn eine Gemeinde dazu gezwungen wird, sich in einem anderen Dorf, das als sicherer gilt, anzusiedeln (Moatty u.a., 2017). Einerseits ist ein Verlust an Wohnraum zu verzeichnen, aber auch an Lebensqualität, denn die vorgeschlagenen Behausungen sind Standardmodelle, die nicht genau den ehemaligen Häusern entsprechen. Andererseits, im Fall der Umsiedlung der Einwohner derjenigen Dörfer, die durch den Vulkanausbruch zerstört worden waren, waren die betroffenen Haushalte gezwungen, weit entfernt von ihrem Heimatort zu wohnen, weiter unten in der Ebene, dazu in einem Dorf, in dem sie nicht immer unbedingt willkommen waren. Die älteren Viehzüchter, gewohnt, das Futter zu Fuß im hochgelegenen Unterholz zu suchen, haben nun einen viel längeren Weg vor sich. Daraus folgt ein mögliches Verlassen der Ersatzunterkünfte : unter dem Firnis des lautstark von den Behörden proklamierten Wiederaufbaus, Merkmal einer robusten Widerstandsfähigkeit, zeichnet sich ein gewisses Versagen der Umsiedlungspolitik ab, welche nicht immer berücksichtigt hat, in welcher Weise die Umgesiedelten ihre früheren Gebiete bewohnt hatten. Zwar haben Befragungen stattgefunden, aber nicht alle Wünsche konnten erfüllt werden. Indem sie in ihre Ursprungsdörfer zurückkehren, um dort illegal zu leben, begeben sich diese Personen ins Abseits des Systems, das die Krisen verwaltet, denn diese nicht offiziell anerkannten Ortschaften bieten keine Evakuierungsmöglichkeiten, was die Verwundbarkeit (Vulnerabilität) sehr erhöhen kann. Hingegen war die Unterbringung der von Lahars betroffenen Umsiedler insgesamt weniger problematisch (Moatty, 2015), und zwar teilweise deswegen, weil die Dörfer auf der vom Gipfel am weitesten entfernten, abgewandten Vulkanflanke nicht vom Zugang zu den höheren Lagen abhängen.
3.2. Von der Sandgewinnung zum Katastrophentourismus : ein behutsamer Wirtschaftsaufschwung
Die vulkanischen Risiken sind ein Segen, besonders am Merapi (De Bélizal, 2017), aber auch an fast allen bewohnten Vulkanen der Welt. Die Eruptionen und ihre Folgen tragen trotz der ihnen innenwohnenden Todesgefahr dazu bei, diejenigen Bevölkerungsgruppen fest anzusiedeln, welche die vulkanischen Materialien nutzen. Der Sand und die Lavabrocken sind in dem sich stark urbanisierenden Indonesien so gefragt, dass das Versiegen des Putih Mitte der 2000er Jahre paradoxerweise zu einer Prozession führte, in der man um die Wiederkehr der Lahars gebeten hat. Der Abbau ist tatsächlich sehr lukrativ, sein Gewinn liegt vier- bis fünffach über dem Tageslohn eines Landwirts. Er existiert seit Jahrhunderten, wovon die hinduistischen und buddhistischen Kultstätten von Prambanan und Borobudur zeugen, deren Baumaterial, nämlich Andesitblöcke, aus den Flussbetten stammt. Dieser Abbau erlangte nach dem Ausbruch von 2010 einen Höhepunkt und gehört zu den Veränderungen, die seit Ende der 1990er Jahre eingetreten sind. Die Menge an pyroklastischem Material und Laharablagerungen war dermaßen überwältigend, daß die staatlichen Stellen vielen privaten Anlegern, die über Bagger verfügten, großzügig Unterstützung geleistet haben. Aus einer über lange Zeit hin völlig informellen Tätigkeit, denn die Ablagerungen waren frei zugänglich für Anwohner, die gewohnheitsmäßig Sand holen kamen, als Zusatzverdienst oder für ihren privaten Gebrauch, aus dieser freien Tätigkeit also wurde sehr schnell eine Industrie mit einer obskuren Organisation. Der Mangel an gesetzlichen Rahmen, die Verfielfältigung der Akteure, die Privatisierung der Grundstücke im Flussvorland, die Einstellung von Arbeitskräften von außerhalb des Merapi und die erhebliche Zunahme des Verkehrs (tausende von Lastwagen tauchen um einen einzigen Steinbruch innerhalb weniger Stunden auf), all dies trägt dazu bei, die ursprünglich spontane Anpassung an die regelmäßig auftretenden Lahars gewaltig zu stören. In wenigen Jahren wurde aus dem Abbau eine Industrie, deren beträchtliche wirtschaftliche Vorteile nicht der Bevölkerung am Vulkan zugutekommen, denn diese Aktivität hat ihren informellen Charakter bewahrt. Unkontrolliert und anarchisch hat sie dazu geführt, die Steinbrüche mit LKW vollkommen zu verstopfen und sie dem Krater immer mehr anzunähern : und dass man diese sehr tiefgelegenen und dazu permanent verstopften Orte nicht evakuieren kann, das erhöht die Vulnerabilität der Arbeitskräfte beträchtlich (Abb. 14).
Abb. 14. Ein Steinbruch wird von einem Lahar überschwemmt
Die wirtschaftlichen Anpassungsstrategien haben sich seit dem Ausbruch von 2010 in vieler Hinsicht vervielfältigt. Neben dem Sandabbau war der Tourismus in und zu den zerstörten Dörfern Kepuharjo und Kinahrejo für die jungen Leute, die dort wohnten, das Mittel, ihre langjährige emotionale und wirtschaftliche Bindung an diese Orte aufrechtzuerhalten. So fungiert der Tourismus als ein Weg, einer oft wenig ausgebildeten Bevölkerung, die zudem plötzlich das Wenige, das sie besaß, verloren hatte, ein Einkommen zu sichern und darüber hinaus das Trauma zu überwinden, indem neues Leben in die verheerten Dörfer einzieht. Die Aktivität strukturiert sich gebietsweise um einen wesentlichen Pol, das « Café Merapi » in Kinahrejo, von dem aus ein dichtes Routennetz per Jeep organisiert ist. So kann man zu bemerkenswerten Orten gefahren werden (imposante Blöcke, die der Lavastrom abgelagert hat, Aussichtspunkte auf den Vulkan …) und dabei die verschiedenen Steinbrüche im Tal besuchen. Erfrischungsstände wurden an den entscheidenden Wegmarken aufgemacht, gefolgt von vielen Souvenirläden dicht daneben. Die Vervielfältigung der Unternehmen (die Rothelme und die Orangehelme zum Beispiel), oft in scharfer Konkurrenz zueinander, sowie die Steinbruchbesichtigung, wo die Jeeps zur generellen Verstopfung beitragen, zeigen sehr bald die Grenzen dieser Aktivität auf. Trotzdem hat der Tourismus in den verwüsteten Dörfern die Wirtschaft angekurbelt, der Besuch der zerstörten Landschaften nach dem 2010er Ausbruch konnte außerdem den kulturellen und spirituellen Hintergrund des Lebens am Merapi wiederbeleben : der Clou der Darbietung ist das Haus des ehemaligen Schamanen und Hüters des Vulkans, der in den ersten pyroklastischen Strömen Oktober 2010 ums Leben kam.
Abb. 15. Lahar auf dem Gendol, Februar 2011
http://geoconfluences.ens-lyon.fr/geoclips/videos/lahar-gendol.mp4
Abb. 16. Von demselben Lahar abgeschnittene Straße, 40 Minuten später
http://geoconfluences.ens-lyon.fr/geoclips/videos/route-coupee-gendol.mp4
3.3. Ein besonderer Vulkan : eine starke kulturelle Identität
Der Hüter der Schlüssel (juru kunci) verkörpert das entscheidende Gleichgewicht zwischen Vulkan und Ozean, für das der Hof des Sultans von Yogyakarta (kraton) verantwortlich ist (Dove, 2007 ; Lavigne u.a., 2008). Das kulturelle Palimpsest von Java hält bestimmte althergebrachte spirituelle Traditionen lebendig, ein Erbe von Animismus, Hinduismus oder Buddhismus, welche die königlichen Dynastien der Gegend über viele Jahrhunderte hinweg gelenkt haben. Unter der Deckschicht des Islam, der von der großen Mehrheit der Vulkanbewohner praktiziert wird, hat sich eine tiefe Verbindung zur Gegend bewahrt, die an das Übernatürliche oder gar Heilige grenzt und die alte Geomantik des notwendigen Gleichgewichts zwischen den Schutzkräften des Feuers und des Ozeans erhält, welche der Hof des Sultans garantiert. Über die jährliche Prozession hinaus, vom kraton organisiert, sieht man nicht selten mehr oder weniger feierliche Aufforderungen zum Gebet an die Vulkangeister, worin ein Synkretismus zwischen uralten Riten und islamischer Praxis zum Vorschein kommt. Hiermit wird die Persönlichkeit des juru kunci – der im übrigen auch ein Imam ist – zur unumgänglichen Schlüsselfigur in der Frage des Krisen- und Risikomanagements. Für die Dauer der zweiten Hälfte des XX. Jh. fungierte der charismatische Mbah Maridjan als Hüter, dessen Ausstrahlung bei weitem die Grenzen seines Dorfs Kinahjero, ja des Merapi insgesamt, überschritten hat. Seine Stellungnahmen, oft konträr zu den wissenschaftlichen und politischen Empfehlungen der Behörden in den 1990er und 2000er Jahren, wurden lautstark von der regionalen und nationalen Presse während der Ausbruchsperioden weitergeleitet. Maridjans Einfluss galt lange als traditionelle Gegenmacht zu den Wissenschaftlern und den politischen Entscheidungen und damit als Bremse bei Evakuierungen und bei der Umsetzung des Krisenmanagements, wenn er sich beispielsweise weigerte, zu evakuieren.
So wurde ihm vorgeworfen, ein schlechtes Beispiel zu geben, zumal seine charismatische Persönlichkeit ihm eine symbolische Dimension verliehen hatte, die weit über seine Hüterrolle hinausging und ihn zum Garant für die javanische Kultur und Identität machte. So tritt er im traditionellen javanischen Kostüm auf, um für ein Stärkungsmittel (oder Aphrodisiakum, gemäß einem eher berüchtigten Image) zu werben. Paradoxerweise hat auch hier die Sprengung des traditionellen, kulturellen und geographischen Rahmens um den Einfluss des juru kunci sowohl dazu beigetragen, ihn bekannt zu machen, als ihn auch bei einigen Bevölkerungsgruppen am Merapi abzuwerten. Dabei hatten Texier u.a. 2009 aufgezeigt, dass sein wirklicher spiritueller Einfluss letztlich auf die Südseite des Vulkans begrenzt war. Dieser Einfluss war jedoch stark genug, ihm eine Gruppe von zwanzig Getreuen zur Seite zu stellen, die mit ihm zu Beginn des Ausbruchs von Oktober 2010 in den ersten Lavaströmen zu Tode kamen. Sein Tod ging durch alle Medien, sein Grab hat heute viele Besucher, und Hunderte von Touristen besichtigen täglich die Überreste seines Hauses. Er hat fast Heiligenstatus trotz aller Kritik an der Art, wie er gegen Ende seines Lebens sein Ansehen verschleudert hatte : der ehemalige Hüter personifiziert in seiner Person allein die Vielschichtigkeit des kulturellen Gewebes, in dessen Zentrum sich der Merapi befindet. Diese Elemente machen es möglich, die komplexe Verbindung von Bevölkerung und Vulkan zu verstehen und laden dazu ein, diese Gegend nicht mehr nur als Risikogebiet zu begreifen, sondern als ein System mit vielfachen Zeitaspekten, wo einerseits die Gefährdungen unmittelbar tödlich ausgehen, aber auch längerfristig neue Ressourcen bereitstellen können, welche die Bevölkerung anziehen und festhalten.
Diese starke kulturelle Identität hat Vorteile und ist auch ein soziales Instrument, das den Merapi-Anwohnern erlaubt, die möglichen Risiken zu verstehen und zu akzeptieren. So existiert dort eine gut verankerte Risikokultur, welche der Bevölkerung bestimmte grundlegende Reflexe im Alarmfall sichert. Sie trägt auch dazu bei, eine Wahrnehmung des Vulkans zu schaffen und ihn touristisch zu nutzen, was sich für die Einwohner in wirtschaftlichen Möglichkeiten auszahlt. Die Attraktivität des Vulkans bringt allerdings eine Menge neuer Akteure auf den Plan, welche die Risiken (besonders in den Steinbrüchen) verschärfen und damit das labile Gleichgewicht zwischen den vielfältigen Einnahmequellen und den Gefahren für die unzureichend vorbereiteten neuen Anwohner aufs Spiel setzen.
Fazit
Die Raum- und Zeitaspekte der Gefahren um den Merapi sind unter dem Blickwinkel von kurzen, sogar sehr kurzen Fristen bei der Auslösung von Risiken in Betracht zu ziehen – in eher begrenzten Gebieten um den Vulkan selbst oder weiter entfernt verteilt (durch Ascheregen und Lahars) – aber auch längerfristig in Bezug auf Vorbereitung und Wiederaufbau. Der letzte Ausbruch von 2010 war eher gut gehandhabt worden, hatte aber auch wegen des Schadensausmaßes tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Umgestaltungen verursacht. Diese haben die Widerstandsfähigkeit der verschiedenen Gesellschaftsgruppen deutlich gemacht, welche nicht etwa in eine simple Rückkehr in alte Zeiten mündete, sondern im Gegenteil Dynamiken ausgelöst hat, deren Entwicklung mittelfristig neue Verwundbarkeiten mit sich bringt. Sie entsprechen der Fülle von wirtschaftlichen und sozialen Bewegungen, die man überall auf der Insel Java beobachten kann : der nicht aufgewogene Bevölkerungsdruck auf dem Land, die rasche Verstädterung, welche immer mehr Gebiete einnimmt, die natürlichen Gefährdungen ausgesetzt sind, die explosionsartige Öffnung für die Touristenströme als Entwicklungsinstrument.
Diese Veränderungen dürfen jedoch nicht vergessen lassen, dass allem ein komplexes kulturelles Fundament zugrundeliegt, das weiterhin die eigentümliche Identität des Merapi gestaltet. Im Vergleich zu den anderen indonesischen Vulkanen kommen ihm seine Geschichte und Legenden zugute, welche schon früh das Interesse der Wissenschaftler auf sich gezogen haben, sei es bei den Vulkanologen, Geographen oder Anthropologen. Die Risiken, selbst potentiell verschärft durch die aktuellen Dynamiken, werden dort verstanden und gemanagt, was jedoch nicht für die Dutzende von anderen Vulkanen des indonesischen Archipels gilt. Lavigne u.a. (2008) hatten bemerkt, dass den Bevölkerungsgruppen der Nachbarvulkane des Merapi, dem Sumbing und dem Sindoro, nicht bewusst war, dass sie auf aktiven Bergen lebten, da dort die Eruptionen selten vorkamen. Die Lage erscheint noch kritischer an den östlichen Rändern des Archipels, wo die Vulkane nicht nur zu wenig bekannt sind, sondern auch von Bevölkerungsgruppen bewohnt sind, deren geographische, wirtschaftliche und soziale Isolation sie für Gefahren besonders verwundbar macht. Die geographische und kulturelle Besonderheit des Merapi mit seinem effizienten Krisenmanagement darf also nicht den Blick dafür verstellen, dass es in Indonesien noch viele gefährliche Vulkane gibt.
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In Verbindung mit den Geowissenschaften
Auf der Website unseres Partners Planet Terre :
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- Michel Detay et Pierre Thomas, La mise en place d'un dôme de lave : l'exemple du Paluweh (Indonésie), 2014.
- Olivier Dequincey, Lusi, volcan de boue de Sidoarjo (Indonésie) : naissance, controverses et impacts, 2012.
Édouard DE BÉLIZAL
Doktor der Geographie, lehrt in den Vorbereitungsklassen für die Elitehochschulen am Lycée von Saint-Just, Académie de Lyon
aus dem Französischen übersetzt von Charlotte MUSSELWHITE-SCHWEITZER
Korrektur gelesen von Cécilia FERNANDEZ
Webbearbeitung : Cécilia Fernandez
Pour citer cette ressource :
Edouard De Bélizal, Der Vulkan Merapi (Indonesien) : Raum- und Zeitaspekte des Risikos am Beispiel eines einzigartigen indonesischen Vulkans, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), novembre 2021. Consulté le 06/12/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/civilisation/civilisation/der-vulkan-merapi-indonesien-raum-und-zeitaspekte-des-risikos-am-beispiel-eines-einzigartigen-indonesischen-vulkans