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«Zwei Männer in Betrachtung des Mondes» (1819) - Caspar David Friedrich

Par Claire Milcent : Elève en Master 1 Etudes germaniques - ENS de Lyon
Publié par Cécilia Fernandez le 29/11/2020

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Analyse d'oeuvre

Das von Caspar David Friedrich gemalte Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes ist ein Ölgemälde, das 1819 entstanden ist. Gegenstand von vielfältigen Interpretationen gilt es heutzutage als Ikone der Romantik und vielleicht noch mehr des romantischen offenen Kunstwerkes. Das Bild lädt den Betrachter dazu ein, sich in die beiden Rückenfiguren hinein zu versetzen und sich gleichsam in diese künstlerische, menschliche und religiöse Epiphanie zu versenken.

Tableau du peintre romantique allemand Caspar David Friedrich. Deux hommes de dos contemple la lune, seule source de lumière au centre du tableau. Ils viennent de gravir un chemin encadré de rochers et d'arbres à demi déracinés.

Caspar David Friedrich Zwei Männer in Betrachtung des Mondes, 1819
 

Einige biographische Elemente

Portrait du peintre Caspar David Friedrich vêtue d'une redingote foncée. Le peintre regarde le spectateur droit dans les yeux, son visage est fermé et encadré de ses cheveux et longs favoris blonds roux

Bildnis des Malers Caspar David Friedrich
Caroline Bardua, 1810
Alte Nationalgalerie, Berlin (CC BY-NC-SA)
 

Caspar David Friedrich ist 1774 an der Ostsee geboren, deren Landschaft seine Auffassung der Malerei maßgeblich und nachhaltig prägen musste. Er bildet sich in der Kopenhagener Kunstakademie aus, wo „er die übliche Ausbildung im Freihandzeichnen, Zeichnen nach Gips und nach Modell erhielt und in die Landschaftstradition des 18. Jahrhunderts durch die Berührung mit der Kunst Ch. August Lorentzens […], Jens Juels' und Erik Pauelsens hineinwuchs“ ((https://www.deutsche-biographie.de/sfz17541.html#ndbcontent)). In Dresden, dem damals geistigen Mittelpunkt der Romantik, entwickelt er seine Kunst und widmet sich bald der Ölmalerei. Anlässlich der 1805 stattgefundenen Ausstellung der Weimarer Kunstfreude erkennt Goethe sein Talent an, ohne den Künstler jedoch weiter zu fördern. Das ist trotzdem der Beginn der Berühmtheit für Friedrich, der 1816 Mitglied der Dresdener Akademie und 1824 außerordentlicher Professor wird. Dennoch kann man hier den Beginn der Berühmtheit für Friedrich ansetzen, der 1816 Mitglied... Seine Gemälde, in denen Leitmotive wie etwa die Bäume – er unternahm botanische Studien – oder das tröstende hoffnungsvolle Licht am Horizont immer wieder vorkommen, stellen häufig eine Welt dar, die vieldeutig zu betrachten und zu entziffern ist. Wegen eines Schlaganfalls kann Friedrich ab 1837 nicht mehr arbeiten. Er stirbt schließlich 1840.

Beschreibung des Gemäldes

Das Dargestellte

Auf dem vorliegenden Bild ist eine abendliche Berglandschaft perspektivisch dargestellt. Im Vordergrund ist ein steiler Weg zu sehen, der auf beiden Seiten von Felsen umrahmt ist. Am Fuß des linken Felsens steht ein Baumstumpf, während vor dem rechten ein herabgestürzter Ast liegt. Der Pfad führt bergauf zum Mittelgrund des Bildes, wo zwei männliche Wanderer auf die strahlende Mondsichel in dem aus der Froschperspektive gesehenen und dem Betrachter daher verborgenen Tal schauen.. Der eine, aufrecht stehende Mann stützt sich auf einen Wanderstab. Er ist in einen blaugrauen Umhang gehüllt und trägt ein Samtbarett. Sein Begleiter lehnt sich an ihn, indem er die Hand vertrauensvoll auf seine Schulter legt. Im Gegensatz zu diesem trägt er einen langen, eng anliegenden Mantel und eine Schirmmütze. Die beiden Wanderer kehren dem Zuschauer den Rücken zu und heften den Blick auf den Mond, der im Zentrum des Gemäldes steht und mit dem sich in gleicher Höhe befindenden Abendstern als einzige Lichtquelle des Bildes fungiert. Diese Betrachtungsszene, die im Fokus des Bildes steht, wird von zwei Bäumen, einer Fichte und einer Eiche, gerahmt. Die Fichte ragt im Schatten der oberen linken Seite und deutet mit ihren hängenden Zweigen auf den unheimlicherscheinenden Eingang zum tieferen Wald. Die Eiche nimmt eine zentrale Stellung im Bild ein. Beinahe abgestorben und majestätisch geneigt droht sie mit ihren in die Luft ragenden Wurzeln zu stürzen. Ihr Geäst erstreckt sich über den ganzen oberen Bildrand und friedet sozusagen den malerischen Raum ein. Aus der Ferne sind schließlich die Wipfel von Tannenbäumen zu erkennen, die die Konturen des im Hintergrund stehenden Tals zeichnen und daher zum tiefenräumlichen Charakter des Bildes beitragen.

Das Bildgefüge

Das Bild verfügt über ein festes, genaues Gefüge. Es besteht aus einer harmonischen Verflechtung ausgesprochener gebogener Linien, die in den hauptsächlichen dargestellten Elementen mit gedachten geometrischen Linien zu erkennen sind, welche die Bildfläche organisieren. Letztere folgen zwei verschiedenen Strukturprinzipien. Einerseits das der Perspektive: Zwei hintereinander gemalte Schichten laufen als zwei Parallelen im Zentrum des Bildes, in dem der Mond dargestellt ist, zusammen. Andererseits wirkt das Prinzip des des sogenannten Goldenen Schnittes: Das Bild strukturiert sich durch vier senkrecht zueinander stehende Geraden, die es in neun Teile zergliedern, von denen sich zwei Grundachsen abheben. In seinem Artikel zeigt der Kunsthistoriker, Werner Busch, auf, wie der Blick des Aufrechtstehenden, durch dessen Auge die obere Waagerechte exakt geht, eigentlich der „Ausgangspunkt durch die Anordnung auf der Linie des Goldenen Schnittes“ ist. (( BUSCH, Walter. 2011. «Caspar David Friedrichs „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ - Ästhetische Transzendenzeröffnung? », in Christoph Markschies (Hg.), Atlas der Weltbilder. Berlin : Walter de Gruyter, S. 306-316. http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2019/6539 )) Daher wird  deutlich, dass das Sehen beziehungsweise das Betrachten in dem Bild thematisiert wird. Werner Busch bringt außerdem „das geheime ästhetische Zentrum des Bildes“ ((Idem.)) ans Licht, und zwar den Abendstern, der „auf den Millimeter genau, auf der rechten Senkrechten des Goldenen Schnittes und zugleich auf der waagerechten Mittelachse des Bildes (liegt)“. Wenn nun Rücksicht auf die wesentliche Funktion des Abendsternes genommen wird, den man  als natürliche Zeitangabe zu betrachten pflegte oder mit Werner Buschs Worten „in seiner Konstellation zum Mond den jahres- und tageszeitlichen Moment bestimmbar“ zu machen, darf angenommen werden, dass in diesem Bild die Zeit sowohl symbolisch als auch malerisch eine tragende Rolle spielt. Sogar die Kombination dieser beiden dargelegten Strukturprinzipien mit gebogenen Linien trägt zu einer Ausgewogenheit der lebendigen Natürlichkeit und der Regungslosigkeit bei, aus der sich eine bestimmte Temporalität herausbildet: die Zeit der Kontemplation. Aus diesem besonderen Bildgefüge ergibt sich zusammenfassend die Bedeutung sowohl des Betrachtens, als auch der Himmelskörper und der Zeit.  

Die Farben

Als Darstellung einer nächtlichen Landschaft ist „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ ein dunkles, tonwertiges Bild, in dem ein sogenanntes valeuristisches Farbkonzept verwendet wird. Dies besteht in der Mischung der vorherrschenden Farbe und der Lokalfarben der verschiedenen dargestellten Motive, wodurch eine ausdifferenzierte Gesamtfarbigkeit entsteht. Im vorliegenden Gemälde färbt nämlich das milde Licht, das von den beiden zentralen Gestirnen ausgestrahlt wird, die gesamte Landschaft. Laut Werner Busch, „durchtränk(e)“ tatsächlich „das Licht des Mondes, der nicht nur einen breiten Hof hat, sondern durch den Erdschatten gerade noch den vollständigen Scheibenrand sichtbar werden lässt, […] das ganze Bild und tauch(e) es in ein bräunlichrotes Licht, das selbst das Grün des Mooses auf Fels und Weg in ein Ocker verwandelt“. (Id.)

In dem folgenden Zitat erläutert Werner Busch Friedrichs Technik genauer:

Auf die weiße Gips-Kreide-Grundierung hat er [Friedrich] eine warm leuchtende, rot-orange Imprimitur gelegt, darauf mit Stift und Feder die Vorzeichnung entworfen, der die Malerei recht genau folgt, darüber kommen die eigentlichen, lasierend aufgetragenen dünnen Malschichten, sodass die Imprimitur überall durchscheint und das Bild von innen her leuchten lässt. Die Leuchtkraft ist zu den Rändern hin abgeschwächt - ein Verfahren, das, wie technische Untersuchungen gezeigt haben, Friedrich häufig verwendet, indem er einen zu den Rändern hin zunehmend stärker eingefärbten Schlussfirnis verwendet. Das Licht mag nicht allerorten gänzlich logisch optischen Gesetzen folgend eingesetzt sein, doch fokussiert es einerseits den Blick auf den Mond und seinen Hof und markiert andererseits vor allem den Weg von der unteren Bildmitte bis zum Standpunkt der nächtlichen Wanderer. (Id.)

Aus dieser ausdifferenzierten Gesamtfarbigkeit lassen sich schließlich spannungsvolle Farbenbeziehungen erkennen, deren symbolische Aufladung auf drei verschiedenen Ebenen zu interpretieren ist.

Interpretation

Ein Restaurationsbild

Das 1819 entstandene Bild, das von Caspar David Friedrich als einem ehemaligen Anhänger der patriotischen Bewegungen der Befreiungskriege (1813-1815) gemalt wurde, konnte zunächst einmal politisch analysiert und als Darstellung der Enttäuschung der liberalen Hoffnungen des Malers betrachtet werden. Mit dem 1815 gegründeten „Deutschen Bund“ (1815-1866), über den das restaurative und freiheitsfeindliche Metternichsche System herrschte, rückte tatsächlich die erhoffte Verwirklichung einer deutschen, nationalen Einheit und die Errichtung eines „modernen Verfassungsstaates" ((WOLLSTEIN, Günter. 2008. Von der Paulskirche bis zur Verfassung von 1871. Bpb, 01.09.2008. https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/grundgesetz-und-parlamentarischer-rat/39184/1848-1871. )) Dies brachte den enttäuschten romantischen Künstler dazu, aus der politisch-gesellschaftlichen Realität in transzendentalen Idealismus zu fliehen und sich zu dem hinzuwenden, was jenseits der sichtbaren Realität existiert. Die Figur kehrt seitdem der Welt den Rücken und verliert sich in die Betrachtung der Natur, die die Zeichen ihrer Enttäuschung und ihrer Sehnsucht nach einer Zeit aufweist, in der man immer noch Hoffnungen hegen konnte. Das kann besonders gut im vorliegenden Bild beobachtet werden, in dem der Naturprozess dem Geschichtsprozess offensichtlich entspricht. Die halbentwurzelte Eiche, die sich gleichsam majestätisch vor dem geschichtlichen Akzidens verneigt, ist tatsächlich die Metapher für diese enttäuschten Hoffnungen. Auch die Dunkelheit, in welche die bergische Landschaft und vor allem die linke Seite des Bildes, zu der der Weg führt, gehüllt wird, weist auf einen tieferen Sinnzusammenhang hin, und zwar darauf, dass düstere Zeiten noch bevorstehen, die die Wanderer durchlaufen werden müssen. Melancholisch gestimmt finden diese Trost in der Betrachtung des Mondscheines.    

Dennoch begnügt sich Friedrich nicht damit, seine Enttäuschung malerisch zum Ausdruck zu bringen und denunziert die Restauration, die er als Zeit der Erstarrung im Bild schildert. Der im Vordergrund betretbare Weg, dessen Aufwärtsbewegung ihn für die natürliche lebendige Fortentwicklung stehen lässt, verschwindet nämlich im Mittelgrund des Bildes hinter dem schroffen linken Fels, der den Status Quo versinnbildlichen mag, wobei er in die Dunkelheit eintaucht. Dadurch wird wahrscheinlich angedeutet, dass die Restauration die Welt in ihrer Weiterentwicklung behindert, dass das Metternichsche System ein Hemmschuh dafür ist: Die beiden Figuren müssen stehenbleiben. Die Art und Weise, wie die Natur dargestellt wird, vermittelt überdies diesen Eindruck der Erstarrung. Sie scheint de facto bar jeglicher Lebenskraft zu sein: Dürre Äste liegen auf dem Boden, Baumstümpfe sind zu sehen, die Zweige der Fichte hängen trostlos herab und die Wurzeln der Eiche, ohne welche sie weder Wasser noch Nährstoffe aus dem Boden schöpfen kann, ragen in die Luft.  

Darüber hinaus konnte dieses Gemälde, das gerade im Jahr entstanden ist, in dem die nach dem Wartburgfest gefassten Karlsbader Beschlüsse ausgeführt wurden, als gewagte Provokation aufgefasst werden. Während diese wohl bekannten Beschlüsse „jedes Streben nach Volkssouveränität als unheilstiftender Frevel und als Gefahr“ erklären, alle „liberale Vorkämpfer von Verfassungen mit Gewaltenteilung und Grundrechten als Demagogen“ ((Idem.)) verfolgen und ihre Gesinnungstracht verbieten,  wagt es Friedrich, zwei Männer in altdeutscher Tracht darzustellen. Nun sind diese beiden „demagogischen“ Figuren dabei, den Mond zu betrachten, der mit seinem milden, aber strahlenden Hof eigentlich nicht nur Trost spendet, sondern auch Hoffnung macht, insofern er als „Zeichen der sich wandelnden Zeit“ gilt und einen „epochal(en) Sinn“ hat (Busch, 2011). Der Mond kündigt nämlich das Anbrechen der Dämmerung an, das heißt, das bevorstehende Ende der Düsterkeit und den Anbeginn des Glanzes. Walter Busch schreibt auf einleuchtende Weise Folgendes:

Die beiden Männer sind für das Bestehende gefährlich, das eben heißt „demagogisch“, weil sie in der sich veränderten Natur eine Analogie zu der sich veränderten historischen Wirklichkeit erkennen. Die hereinbrechende wird einem neuen Morgen weichen, wie die dunkle Gegenwart einer leuchtenden Zukunft. (Busch, 2011)

Des Weiteren könnte die halb entwurzelte Eiche, die gemeinhin ein Sinnbild des Beständigen ist, auch als Metapher für den latenten oder zumindest erwünschten Untergang dieses erstarrten Bündnisses von Thron und Altar verstanden werden. Jonathan Osmond bemerkt diesbezüglich, dass „Friedrichs in der Restaurationszeit zerstörte liberale Hoffnungen […] zutage(treten), wenngleich nicht so stark wie beispielsweise in dem Bild „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ (1819), wo die Wurzeln des Baumes aus der Erde herausragen". (( OSMOND, Jonathan. 2006. Politische Symbolik in der deutschen Kunst. Bpb, 12.05.2006. https://www.bpb.de/apuz/29751/politische-symbolik-in-der-deutschen-kunst?p=2. )) Wenn auch die Eiche für die nationale Macht stünde, muss betont werden, dass sie halb entwurzelt ist und dass alles immer noch umkehrbar ist, wie das Stillstehen der Zeit es erahnen lässt. Dieses dargestellte Leben in der Abgeschiedenheit einer nächtlichen Landschaft ist also provisorisch. Wenn diese politische Auslegung des Gemäldes die grundlegende Vieldeutigkeit der symbolischen Aufladung seiner Motive aufdeckt, hebt sie gleichzeitig die grundsätzliche Rolle der Schwebe hervor, die durch die Umkehrbarkeit, die sie voraussetzt, einer hoffnungsvollen zukünftigen Weltanschauung dient. Dieser Eindruck, dass eine bessere Zukunft möglich bleibt und dass es keine geschichtliche Notwendigkeit gibt, ist sowohl auf der politischen Ebene der Interpretation als auch auf der religiösen und künstlerichen aufzufinden. 

Eine künstlerische Initiation zur fruchtbaren Dialektik des Innen und des Außen

Die vorangehende politische Interpretation des Bildes reicht aber nicht aus, um die geheime zentrale Stellung des Abendsternes sowie die vorrangige Bedeutung des Mondes als einzige Beleuchtung der ganzen Leinwand zu begründen, der dabei tatsächlich vor allem die symbolische Funktion der tröstlichen Hoffnung auf eine leuchtende Zukunft übernimmt.

Um diesen gewissen Mangel zu beheben, müssen wir auf das Bildgefüge zurückkommen. Es wurde nämlich aufgezeigt, dass die beiden Gestirne sich nicht nur im Zentrum des Bildes, sondern sich als einzige Motive im quadratischen Zentrum des Blickfeldes des Aufrechtstehenden befinden. Dementsprechend sollten sie vor allen Dingen als Betrachtungsgegenstände und daher nicht unabhängig von der Figur, die sie betrachtet, gedeutet werden. Aufgrund des Bildgefüges scheint es daher deutlich zu sein, dass das Betrachten im Fokus des Gemäldes steht. Diese These wird überdies durch die malerische Mise-en-Abyme bestätigt, die von der Struktur des Bildes aufgebaut wird. Die Eiche und die Fichte bilden tatsächlich zusammen einen Rahmen, innerhalb dessen zwei Wanderer, welche selbst von den vor dem Gemälde stehenden Zuschauern betrachten werden, zwei Gestirne betrachten. „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ ist daher ein Gemälde in dem Gemälde, das den Zuschauer zum aufmerksamen Betrachten sowie zur Entzifferung der Natur auffordert, beziehungsweise einlädt, indem es ihn durch den im Vordergrund dargestellten Weg betreten lässt.

In dieser Hinsicht kommt eine gewisse didaktische Bedeutung zur unbestrittenen ästhetischen Bedeutung des Bildes hinzu. Friedrich, der sich im Bild in der Gestalt des aufrechtstehenden Mannes in reiferen Jahren wohl selbst darstellt, weiht die Zuschauer mithilfe seines Wanderstabs, der metaphorisch auch noch als Wünschelrute fungieren könnte, in die Kunst des Betrachtens ein. Der außenstehende Betrachterwird zu diesem angehenden Künstler im Bild, zu diesem von seinem Master unterstützten Schüler, der es unternimmt, dem schroffen Pfad  der wahren Betrachtungsweise zu folgen. Die zwei Männer wandern nämlich auf der Suche nach einem Jenseits der Realität, nach einer verborgenen Wahrheit, die nur im Herzen der Natur zu finden ist. Jene enthüllt sich aber erst, wenn man Sinnoffenheit beweist, wenn man  innehält, um sich das phantastische Naturschauspiel anzuschauen und anzuhören. Diese Sinnoffenheit wird durch das Stillstehen der Zeit oder, genauer gesagt, durch eine Darstellung, die gleichsam in der Schwebe ist, gekennzeichnet: Der Baum biegt sich in der Luft, aber fällt nicht, kein Wind rauscht in dem Laub, die Rückenfiguren stehen regungslos. Es ist die Zeit der Kontemplation. Aus der Darlegung dieser beiden Voraussetzungen – das In-der-Natur-Sein und das Empfänglich-Sein – wird geschlossen, dass das Betrachten, das Friedrich durch seine Darstellung anpreisen mag, auf einer Dialektik des Innen und des Außen beruht. Der Zuschauer muss in sich hinein tauchen, um einen Blick in das Außen werfen zu können, aber kann erst Zugang zu seinem Innern bekommen, wenn er vor der Außenwelt steht, weil diese bei ihm Empfindungen hervorruft, die seine Innerlichkeit dann gewissermaßen greifbar macht.

Nun ist die Frage des Betrachtens eigentlich zugleich die Frage des Darstellens. Hier wird letztendlich Friedrichs Auffassung der Malerei berührt. Laut Friedrich soll nämlich der Maler „nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht“. Dadurch behauptet er, dass es keine Objektivität der Wahrnehmung und somit des Darstellens existiert. Das Bild wird „empfunden“, es quillt aus der Innerlichkeit heraus. Mit anderen Worten lässt der Maler den Zuschauer die Eindrücke oder Empfindungen zu betrachten, welche die Landschaft bei ihm ausgelöst hat, das heißt, die Landschaft seines Seelenzustands. In dieser Hinsicht sieht der Zuschauer trotz der Nahsicht den Betrachtungsgegenstand nicht durch die Augen der Figuren. Keine Identifikation ist möglich, denn die Landschaft ist notwendigerweise der figurativen Ausdruck einer Innerlichkeit. Auf der regungslosen Leinwand wird das Augenblickliche der eigenen Emotionen unsterblich gemacht. Natur und Eindrücke sind eins. Aufgrund dieser Auffassung der Landschaftsmalerei sind letztendlich Friedrichs Gemälde „in gewisser Weise eine Montage von Elementen, die er in der Wirklichkeit skizziert hat und dann im Atelier zu einer neuen – mentalen – Wirklichkeit zusammengesetzt hat. […] (D)ieses Vorgehen ist durchaus modern“. ((PADBERG-JEANJEAN, Gabriele. 2012. Deutschland – Grundwissen und mehr. Connaître et comprendre l’Allemagne.))

Die Darstellung des latenten tröstlichen Übergangs vom sterblichen zum ewigen Leben

Das Gemälde könnte aber auf einer weiteren Ebene interpretiert werden, und zwar religiös. Wenn deutlich gemacht wurde, dass das Betrachten überhaupt eine wesentliche Rolle im Bild einnimmt, bleibt dennoch eine Frage offen: Was ist eigentlich das Ziel dieses künstlerischen Prozesses, in den der Zuschauer eingeführt wird und der darin besteht, sich der Natur zu öffnen, indem die von ihr erweckten, innerlichen Empfindungen berücksichtigt werden?

Bevor darauf geantwortet wird, sollen die malerischen Analysenelemente vorgebracht werden, die zu ihrer religiösen Interpretation führen. Zuallererst konnte das Bild als Darstellung des Abends des Lebens angesehen werden. Ein erstes Anzeichen, das dafür spricht, ist die metaphorische Bedeutung des Weges, durch welchen der Zuschauer den Raum des Gemäldes betreten kann, beziehungsweise betreten muss. Hier wird tatsächlich das Ende des Lebensweges, den der Betrachter früher oder später gehen werden muss, und daher die notwendige menschliche Endlichkeit dargestellt. Dieser Weg, symbolisch zur linken, in Dunkelheit gehüllten Seite des Gemäldes führend, ist von dürren Ästen und gefällten Bäumen gerahmt und sein Fortsetzen wird den beiden Männern figurativ durch den Fels, der ihn sperrt, verweigert. Selbst die Stellung dieser Männer ist von Belang: Sie befinden sich am Ende dieses Weges, kehren ihm und dadurch dem Leben den Rücken und stehen vor dem Mond, der ihnen eben den Abend ihres Lebens verkündigt. Der Aufrechtstehende weist sogar Altersschwäche auf, die an dem Gebrauch eines Wanderstabs erkannt werden kann. Die Vermutung, dass die beiden Figuren ein und dieselbe Person sind, dass die gebeugte das junge Alter Ego des Aufrechtstehenden ist, liegt nahe. Der Kreis schließt sich, das Ende des Lebens wird erreicht.

Nun ist dieser figurative Abend des Lebens offensichtlich religiös unterbaut, da der latente Tod gerade nicht als zerstörendes Element des Lebendigen dargestellt wird, sondern als notwendiger und hoffnungsvoller Übergang - wie die oben beschriebene, im Gemälde herrschende Schwebe es andeutet - vom endlichen zum ewigen Leben, als der Abend, auf den ein strahlender Morgen folgt. In der Tat sorgt die ganze Bildkomposition für Kontinuität. Angesichts der Perspektive folgen Vorder-, Mittel- und Hintergrund einander ohne räumliche Trennung. Man kann sogar behaupten, dass eine Lichtbrücke zwischen dem Diesseits und dem Jenseits dadurch geschlagen wird, dass die Mondstrahlen die einzige Lichtquelle im Bild sind. Dies verleiht ihm darüber hinaus einen hoffnungsvollen Charakter: Der dunkle Weg des Lebens wird vom göttlichen Licht erhellt und die Zweige der halbabgestorbenen Eiche ragen in den Himmel, zum Mond. Weit entfernt davon, das Hinscheiden als einen tragischen Vorgang darzustellen, strahlt tatsächlich das Gemälde Hoffnung aus und lässt den Tod zur Wiedergeburt, ja sogar, zum Höhepunkt des Lebens werden. Die Grundlinien des Weges bestätigen diese These. Wenngleich dieser Weg zum Tode im kollektiven Imaginären als eine fallende oder absteigende Bewegung empfunden wird, die dann für das Schwinden und den Verfall stünde, so geht dieser Weg des Lebens doch aufwärts und führt die beiden Rückenfiguren zur Apotheose. Im Endeffekt führt das Gemälde einen metaphysischen, von festem Glauben durchzogenen Diskurs vor Augen, der festlegt, dass der Tod kein Ende sei, sondern ein Übergang zu etwas Glänzenderem, das notwendig ist. Wenn Gott sich nämlich im künstlerischen Betrachten der Natur enthüllt, vor der die Figuren und die Zuschauer in Ehrfurcht erstarren, sei das ewige Leben „nur im Durchgang durch den Tod […] zu erlangen“ (Busch, 2011).

Wie vorherig behauptet soll die Bildkomposition Kontinuität schaffen. Allerdings soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Auffälligkeit des Kontrasts zwischen Hell und Dunkel bedeutungsvoll ist und darauf abzielen mag, eine Differenzierung vorzunehmen. Es ist wahrlich weniger das Diesseits und das Jenseits als vielmehr das Körperliche und das Seelische, die voneinander unterschieden werden. In dieser Hinsicht entspräche die linke Seite des Bildes, die in Dunkelheit gehüllt ist, dem Körperlichen, das dem aristotelischen Prinzip des Entstehens und Vergehens unterliegt und umgekehrt entspräche das helle Zentrum des Bildes dem Seelischen, wodurch der Mensch die Gotteserfahrung machen kann. Diese unterschwellige Differenzierung entspricht im Übrigen Luthers doppeldeutigem Menschenbild, welches er in seiner sogenannten Freiheitsschrift folgendermaßen schildert: „[…] (E)in jeglicher Christenmensch ist zweierlei Natur, geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt“ ((LUTHER, Martin. Von der Freyheyt eyniß Christen menschen, Grünenberg, Wittenberg, 1520.)).  Das Gemälde scheint daher mit einer bestimmten religiösen Tradition in Berührung zu kommen, und zwar der „eines pietistischen Protestantismus“, der gerade davon ausgeht, dass die „religiöse Erfahrung […] nur aus einem in demütiger, passiv erfahrener Anschauung resultierenden Gefühl entstehen kann“, mit anderen Worten, dass die Kontemplation eine Voraussetzung für die Gotteserfahrung ist. Nun ist es gerade das, was Friedrich in diesem Bild teilweise didaktisch darstellt, indem er dem Zuschauer zwei Figuren zum Vorbild gibt, die ihm den Rücken zukehren und der Froschperspektive wegen über das Sichtfeld des Zuschauers hinausragen. Dazu schreibt Werner Busch Folgendes:

Friedrichs nicht handelnde Personen, die nicht auf die Natur zuagieren, sondern sich willig ihrer Erfahrung aussetzen, liefern dem Betrachter ein Modell dafür, wie über die Anschauung religiöses Gefühl gestiftet werden kann: durch Hingabe an die Phänomene, die durch bloße Anschauung von ihrer Zweckhaftigkeit befreit werden.

Letztendlich laufen die künstlerischen und religiösen Interpretationen des Bildes zusammen. Von nun an kann die zu Beginn dieses Teiles gestellte Frage beantwortet werden und die Hypothese aufgestellt werden, dass das Schaffen nicht bloß das Ziel jenes künstlerischen Prozesses sein kann, da es gerade fester Bestandteil davon ist. Alles deutet schließlich darauf hin, dass die Kunst nicht der eigentliche Zweck dieses Prozesses ist, sondern dass sie eine Vermittlerfunktion innehat. Durch die Empfindungen, die sie auslöst, verschafft sie nämlich Zugang zu der sich in dem menschlichen Inneren befindenden göttlichen Wahrheit, deren Licht das Gemälde gänzlich durchtränkt und somit die vorbildliche innerliche Epiphanie darstellt. Die Darstellung dieser abendlichen Landschaft fungiert demnach als Vermittler zwischen dem Zuschauer und Gott, indem sie die grundsätzliche Korrespondenz zwischen Gott, dem Inneren und der Natur vor Augen führt, die Ulrich Christoffel in seiner Untersuchung der deutschen Innerlichkeit folgenderweise formuliert – er greift Weigels Worte wieder auf –: „Da „Gott selber das Auge und Licht im Menschen (ist), so ist der Übergang offen vom Ich zum Du, von der Seele zur Welt und zu Gott“. Alles in allem sind die Gestirne von so zentraler Bedeutung wie die beiden Rückenfiguren, die dieses wesentliche künstlerische Betrachten verkörpern, das den Übergang zur frommen Kontemplation ermöglicht und ebendiesen Dialog zwischen der menschlichen Seele und Gott sich entspinnen lässt.

Notes

Literatur und Webseiten

BUSCH, Walter. 2011. «Caspar David Friedrichs „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ - Ästhetische Transzendenzeröffnung? », in Christoph Markschies (Hg.), Atlas der Weltbilder. Berlin : Walter de Gruyter, S. 306-316. http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2019/6539

CHRISTOFFEL, Ulrich. 1940. Deutsche Innerlichkeit. München: R. Piper & Co., S.127.

EINEM, Herbert von. 1961. Friedrich, Caspar David. Neue Deutsche Biographie 5, S. 602-603 [Onlinefassung] https://www.deutsche-biographie.de/sfz17541.html#ndbcontent

OSMOND, Jonathan. 2006. Politische Symbolik in der deutschen Kunst. Bpb, 12.05.2006 (Übersetzung aus dem Englischen: Wiebke Düwel (Leipzig)). https://www.bpb.de/apuz/29751/politische-symbolik-in-der-deutschen-kunst?p=2

PADBERG-JEANJEAN, Gabriele. 2012. Deutschland – Grundwissen und mehr. Connaître et comprendre l’Allemagne. Paris : Sedes.

WOLLSTEIN, Günter. 2008. Von der Paulskirche bis zur Verfassung von 1871. Bpb, 01.09.2008. https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/grundgesetz-und-parlamentarischer-rat/39184/1848-1871

https://www.kunstimunterricht.de/images/stories/pdf/bildanalyse_fachvokabular.pdf

Pour citer cette ressource :

Claire Milcent, "«Zwei Männer in Betrachtung des Mondes» (1819) - Caspar David Friedrich ", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), novembre 2020. Consulté le 23/04/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/arts/peinture-et-sculpture/zwei-manner-in-betrachtung-des-mondes-1819-caspar-david-friedrich