Der Nationalsozialismus als Publikumsmagnet? Rammsteins fragwürdiger Umgang mit der rechtsextremen Ästhetik
1 Das Erfolgskonzept Rammstein
Rammstein gilt seit mehreren Jahren auf internationalem Parkett als erfolgreichste deutsche Band. In den 17 Jahren seit ihrer Gründung (1994) haben sich die sechs Bandmitglieder Till Lindemann (Gesang), Richard Zven Kruspe (Lead-Gitarre), Paul H. Landers (Gitarre), Oliver Riedel (Bass), Christian "Flake" Lorenz (Keyboard) und Christoph "Doom" Schneider (Schlagzeug) mit ihren nunmehr bereits sechs veröffentlichen Alben einen festen Platz in den Charts der ganzen Welt erspielt und können auf enorme Fanstammgemeinden zählen. Das neueste Album Liebe ist für alle da (2009) legte in vielen europäischen Ländern einen Blitzstart hin und dominierte bereits in der ersten Woche nach der Veröffentlichung die ersten Plätze der Hitparaden. Nur kurze Zeit nach seiner Veröffentlichung war es das meistverkaufte Album in ganz Europa und schaffte es sogar in den USA auf Rang 13. Auch Frankreich gehört zu den Ländern, in denen Rammstein bei jungen Hörern eine starke und konstante Popularität genießt. Selbst Schüler, die nie Deutsch gelernt haben, können die Texte in- und auswendig(1). Doch so erfolgreich das Konzept Rammstein auf dem internationalen Markt auch ist, vor allem in Deutschland erfährt die Band auch vielfach Kritik. Schließlich handelt es sich bei der Gruppe um den Kopf einer Strömung der deutschen Musikkultur, die sich - in Anlehnung an die Neue deutsche Welle der 70er Jahre - "Neue deutsche Härte" nennt. Das bedeutet konkret, dass sie meist auf sehr makabere Weise mit den Themen Sex, Tod, Liebe und Religion umgeht und ein Image pflegt, das in erster Linie auf der Demonstration von Aggressivität und Stärke fußt. Wiederholt wurde in den Medien die Frage aufgeworfen, ob die Jugendlichen denn in der Lage seien, mit diesem schonungslosen Stil umzugehen, ohne ihn sich im Alltagsleben zum Vorbild zu machen. In regelmäßigen Abständen wird Rammstein deshalb als politisch unkorrekt und als gewaltverherrlichend verteufelt, ihr Name fiel in Zusammenhang mit Amokläufen an Schulen oder mit anderen tätlichen Übergriffen. Zuletzt geriet die Gruppe in die Schlagzeilen, weil sie zur Singleauskopplung Pussy aus dem neuesten Album ein Pornovideo drehte. Einen besonderen Stein des gesellschaftlichen Anstoßes stellt nicht zuletzt die angebliche Nähe der Band zum Rechtsextremismus dar, welche zumindest in der Ästhetik offenkundig ist. Über die wirkliche ideologische Orientierung der Mitglieder und ihr eventuelles Sendungsbewusstsein herrscht allerdings Unklarheit. Zwar streiten die Mitglieder der Gruppe in den Medien konsequent jegliche Verbindung zur extrem Rechten ab, scheuen sich aber gleichzeitig nicht, auf typisch nationalsozialistische Darstellungsformen zurückzugreifen. Direkten Fragen nach der politischen Gesinnung weichen sie in Interviews stets aus, indem sie sich betont naiv geben - wie folgendes Zitat aus dem Spiegel zeigt:
Wir machen gar nichts. Wir waren sicherlich eine der ersten Bands, die sich getraut hat, harte Musik mit provokanten deutschen Texten zu spielen. Aber was will man uns denn vorwerfen? Dass wir böse gucken? Dass wir schwarze Klamotten anhaben? Dass wir uns trauen, Wörter wie "ficken" und "Fotze" zu benutzen? Das macht doch jeder HipHopper heute. (Picker Dressel, Spiegel Online, 2.4.2001, www.spiegel.de)
Der folgende Artikel beleuchtet die rechtsextremen Elemente der Ästhetik Rammsteins genauer. Anhand des Liedes Links 2-3-4 aus dem dritten Album Mutter (2001) wird die Ambivalenzstrategie herausgearbeitet, welche der Band erlaubt, zwar einerseits Bezüge zum Nationalsozialismus herzustellen, sie aber gleichzeitig zu trivialisieren. Es wird aufgezeigt, dass allein die Uneindeutigkeit ihrer politischen Verortung der Gruppe erlaubte, die Schockwirkung ihrer Musik aufrecht zu erhalten - und mit ihr den kommerziellen Erfolg.
2 Rammsteins Spiel mit rechtsextremer Ästhetik
Die Anspielungen auf rechtsextreme Elemente in Rammsteins Musik sind auf inhaltlicher sowie visueller Ebene latent. Bereits im Titel führen viele Lieder Bestandteile nationalsozialistischer Rhetorik. So trägt etwa das Album aus dem Jahre 2006 den Titel Völkerball. Der Begriff bezeichnet einerseits ein bei Schülern beliebtes Ballspiel, bei welchem zwei Teams versuchen, die Mitglieder der gegnerischen Mannschaft mit einem Ball zu treffen und dadurch ihre Zahl zu dezimieren. Andererseits evoziert er aber bei einem Deutschen auch zwangsläufig Reminiszenzen an die Nazi-Ideologie, so etwa an den Propagandaslogan "Ein Volk, ein Reich, ein Führer", der 1938 auf den Wahlplakaten der NSDAP zu lesen war (Littlejohn, 2010: 38). Das Wort "Volk" muss jedem schuldbewussten Deutschen der Nachkriegszeit zuwider sein und hinterlässt jenen bitteren Nachgeschmack, der das deutsche Nationalgefühl seit 1945 bestimmt. Insofern fungiert Rammsteins Titel als Stolperstein für die political correctness, als Tabubruch und erzeugt bei den älteren Generationen sogar Horrorvisionen und Schockreaktionen. Die Zweideutigkeit der Titelwahl ist typisch für die Band: Sie erlaubt ihr, sich im Notfall stets auf die politisch korrekte erste Bedeutungsdimension zu berufen und sich selbst gegen alle öffentlichen Anschuldigungen in Unschuld zu wiegen. Wenn die Gruppenmitglieder in Interviews zur Stellungnahme aufgefordert werden, dann wirkt es stets beinahe so, als wäre das rechtsextreme Image von der Band selbst überhaupt nicht beabsichtigt:
Wir haben uns vor 15 Jahren zusammengetan, weil wir monotone, stumpfe Musik machen wollten. Wir haben in einem Keller gestanden und Krach gemacht. Wir haben nie versucht, Erfolg zu haben. Wir machen, was wir gut finden. Immer. Und wenn wir zu sechst zusammen sind, kommen Ideen heraus, die die Allgemeinheit widerlich findet. Wir sind einfach so. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.2009, www.faz.net)
Rammsteins respektloses Zitat erzeugt bei jedem geschichtsbewussten Deutschen ein Gefühl der Beklemmung. Ihr Spiel mit dem Schuldkomplex und der Sensibilität der Nachkriegsdeutschen trifft einen tief verwurzelten Automatismus, der eine der letzten Refugien des Provokanten innerhalb einer sexuell und geschlechtlich emanzipierten Gesellschaft darstellt. Verstärkt wird dieses durch die ungewöhnliche Art und Weise Rammsteins, ihre Inhalte zu präsentieren. Die Suprasegmentalia ihrer Performance können leicht an eine Hitlersche Propaganda-Rede erinnern, zeichnen sie sich doch durch starke Lautstärkevariationen aus (die Strophen sind meist halb gesungen und halb gesprochen, während der Refrain schreiend realisiert wird), welche erhöhte emotionale Intensität suggerieren. Auf phonetischer Ebene ist das "r" auffällig, welches als alveolarer - und nicht wie im Standard üblich als uvularer - Vibrant realisiert wird. Das gerollte Zungenspitzen-r ist zwar im süddeutschen Raum gebräuchlich, aber aufgrund der ostdeutschen Herkunft der Bandmitglieder kann der Ausdruck lokaler Identität als Verwendungsgrund für Rammstein ausgeschlossen werden. Auch die hohe Anzahl der Anschläge ist ein Indiz dafür, dass es sich um eine Imitation der Realisierung zu Anfang des 20. Jahrhunderts handelt wie sie für Propagandareden typisch war. Hans Grassegger weist in Phonetik. Phonologie darauf hin, dass zur korrekten Realisierung des aveolaren Vibranten [r] zu Anfang des Jahrhunderts bis zu zehn Vibrationen gefordert werden, während es heute etwa zwei bis drei Anschläge sind. Die Anzahl der Vibrationen ist im letzten Jahrhundert stark zurückgegangen (Grassegger, 2006: 48). Es bleibt fraglich, warum Rammstein das [r] nach wie vor so ausgeprägt realisiert. Aber nicht nur linguistisch, auch optisch lehnt sich die Band an die Nazi-Ästhetik an. Auf der Ebene der Bühnenshow zeigt Rammstein eine klare Vorliebe für nackte, muskelbepackte Oberkörper und pyrotechnische Machtdemonstrationen, welche für so manchen die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Robert Burns beispielsweise fühlt sich durch die brennenden Fackeln auf der Bühne an den Nürnberger Reichsparteitag der späten 30 Jahre erinnert. Es würden lediglich noch die beleuchteten roten Nazibanner fehlen, so der Musikwissenschaftler (Burns, 1997: 461). Besonders auffällig ist die Anlehnung an die Ästhetik des Dritten Reiches im Musikvideo zum Song Stripped. Dabei handelt es sich um ein Cover der braven, britischen New-Wave-Band Depeche Mode. Die Bildspur enthält Ausschnitte aus Olympia, einem Dokumentarfilm über die olympischen Sommerspiele 1936, welcher von Hitlers umstrittener Propagandafilmerin Leni Riefenstahl abgedreht wurde. Die ästhetische Grundlinie des Films beruht auf einer Überhöhung des nackten, sportlichen Körpers in Berufung auf das antike Ideal. Im Nachhinein wurde diese Form der Darstellung mit der nationalsozialistischen Rassenpolitik in Zusammenhang gebracht und deshalb abgelehnt. Nicht zuletzt denunzierte Susan Sontag in "Fascinating Fascism" seine Glorifizierung des Primitiven und prangerte die Dialektik von Beherrschung und Unterwerfung an (Sontag, 1978: 79). Auf die Frage, wie ein solches Zitat moralisch zu beurteilen sei, herrscht bei den Kommentatoren Uneinigkeit. Bei Daniel Bax beispielsweise läuten die Alarmglocken, wenn er diese Bilder sieht. Er spricht von Rammsteins neofaschistischen Zügen und macht der Band zum Vorwurf, Leni Riefenstahl wieder salonfähig gemacht zu haben: Die Band trage Schuld daran, dass man ihre Bücher und Filme wieder in jedem Geschäft bedenkenlos kaufen könne (Bax, Taz Online, 06.04.2001, www.taz.de). Gegenstimmen betonen, der Flirt mit der Nazikultur basiere lediglich auf Provokation, es handle sich um "harmlosen Schockrock", der mit rechtsextremen Tendenzen nichts zu tun habe (Weinstein, 2008: 138). Auch Martin Büsser sieht das Riefenstahlzitat als unproblematisch an: Da die faschistischen Bilder ihrem ursprünglichen Kontext entzogen seien, würden sie leer und erreichten dadurch gerade nicht die ursprünglichen Propagandaeffekte, sondern über die Verfremdung eine Trivialisierung zum popkulturellen Element (nach Weinstein, 2008: 135). Auch Robert Burns argumentiert in diese Richtung, indem er anmerkt, dass die faschistischen Elemente sich im Zitat in Kitsch verwandeln. Außerdem verführe die Gruppe mit anderen Elementen der deutschen Vergangenheit ebenso: Sie berufe sich auf die klassische Literatur (z.B. das Erlkönig-Zitat im Lied Dalai Lama, das Zitat des Grimmschen Märchens Schneeweißchen und Rosenrot im Lied Rosenrot) und entwerte sie durch ihre Banalisierung zum Kitsch (Burns, 1997: 466). Wie auch immer man den Rückgriff auf Hitlers Propagandafilmerin in Stripped beurteilen mag - Fakt ist, dass das Lied Stripped vor der Veröffentlichung des Videos relativ schlecht beim Publikum ankam, während es danach außerordentlichen Erfolg genoss (Weinstein, 2008:133). Die Anspielungen auf das dritte Reich scheinen ein enormer Publikumsmagnet zu sein. Warum das so ist und wie dieses Phänomen zu verstehen ist, soll im Folgenden anhand des Songs Links 2-3-4 analysiert werden.
3 Beispielanalyse des Liedes "Links 2-3-4"
Das etwas unbekanntere Lied Links 2-3-4 entstammt wie Stripped dem Album Mutter (2001) und ist laut Rammstein der erste Versuch, "sich künstlerisch mit dem ewigen Vorwurf auseinanderzusetzen, wir seien eine rechte Band" (Bax, Taz Online, 06.04.2001, www.taz.de). Angeblich sei der Song eine Stellungnahme zur politischen Orientierung der Gruppe. Inwieweit dies zutrifft, wird in der Analyse von Text und Video geklärt.
3.1 Rechtsextreme Elemente in den Lyrics
Der Titel Links 2-3-4 nimmt Bezug auf Marschmusik. Bei "Links 2-3-4" handelt es sich um einen Merkspruch, die den Marschierenden dabei unterstützt, im Takt der Musik zu gehen. Der Konvention nach beginnt man dabei mit dem linken Fuß, man zählt für den rechten Fuß "zwo", dann noch einmal zwei Schritte "drei" und "vier". Nach diesen vier Schritten beginnt der nächste Takt und damit der Spruch von vorne. Das Lied referiert nicht nur namentlich auf das Marschieren zur Musik, sondern auch, indem der Rhythmus sich dem typischen Marsch anpasst: Es beginnt allein mit Trommeln, die einen Vier-Viertel-Takt schlagen, welcher später von den übrigen Instrumenten übernommen und verstärkt wird. Durch diese Klimax wird der Zuhörer in einen sehr strengen Beat gezwungen, der ihn zum mitmarschieren, also zum weiterhören animiert. Mit seinem Minimalismus in Text und Melodie und den vielen Wiederholungen ruft das Lied unweigerlich eine erste Assoziation an Militärparaden hervor. Im Dritten Reich kamen Aufmärschen als Machtdemonstrationen die fundamentale Rolle zu, das Regime zu legitimieren. Auf den ersten Blick glaubt man also, es hier mit einer klaren Referenz auf das Heer und den Krieg und damit auf den Nationalsozialismus zu tun zu haben. Weniger bekannt ist jedoch, dass es sich bei "Links 2-3-4" auch um ein Zitat aus dem Einheitsfrontlied handelt, einem der bekanntesten Lieder der deutschen Arbeiterbewegung der Weimarer Republik. Nach jahrelangen Kämpfen zwischen SPD und KPD sollte dieses Lied die gemeinsamen Interessen beider Parteien unterstreichen, um den Faschismus als gemeinsamen Gegner besiegen zu können.
Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei! Wo dein Platz, Genosse, ist! Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil du auch ein Arbeiter bist. (http://ingeb.org)
Die Parole "Links 2-3-4" könnte demnach - entgegen der ursprünglichen Annahmen - genauso gut ein Indiz für eine politische Linksorientierung der Gruppe sein. Dafür spricht auch die Verwendung der Symbole Hammer und Sichel (1.16 min im Videoclip www.youtube.com) sowie die vor jedem Refrain wiederholte Textzeile: "Sie wollen mein Herz am rechten Fleck, doch seh' ich dann nach unten weg dann schlägt es links". Allerdings kann man sich hier nicht sicher sein, ob die Band mit ihrer Vorliebe für Ambiguisierung dieses links in politischer Hinsicht versteht oder ob sie einfach die physische Verortung des Herzens auf der linken Körperhälfte meint. Möglich ist, dass es sich um einen Bezug auf den Linke-Politiker Oskar Lafontaines 1999 erschienene Autobiographie mit dem Titel Das Herz schlägt links handelt. Trotzdem bleibt fraglich, ob man dies als klares politisches Statement werten kann. Diese Uneindeutigkeit löst sich auch nicht auf, wenn man die drei Strophen genauer untersucht. Sie setzen sich aus jeweils vier Verszeilen zusammen, wobei jede eine rhetorische Frage enthält. Es handelt sich um verschiedene bildliche Ausdrücke in Verbindung mit dem Lexem "Herz". In ihrer übertragenen Bedeutung beziehen sie sich auf folgende Bereiche:
- Verliebtheit: jdm. das Herz brechen (= jdm. großen Kummer bereiten, jdn. unglücklich machen), jdm. das Herz stehlen (= jdn. dazu bringen, dass er sich in einen verliebt), sein Herz verschenken (= sich in jdn. verlieben)
- Emotionale Intensität: das Herz zerspringt (= sehr glücklich sein/ Trennungsschmerz empfinden), das Herz singt (= sehr froh sein)
- Moralische Wertigkeit: ein Herz aus Stein haben (= kalt/ ablehnend/ gefühllos sein), mit dem Herzen denken (= sich von Güte leiten lassen), das Herz spricht (= Mitleid haben), ein reines Herz haben (= frei von Sünde sein)
Die Frageform verleitet den Hörer jedoch dazu, die Ausdrücke in ihrer wörtlichen Bedeutung wahrzunehmen und führt ihm so vor Augen, dass die Bedeutung von Zitaten mit ihrem Gebrauch wandeln kann und der erste Schein oft trügt (Weinstein, 2008: 141). Eventuell soll hiermit darauf hingewiesen werden, dass der Hörer seinem ersten Eindruck, Rammstein sei eine rechtsextreme Band, misstrauen solle. Eine politische Stellungnahme kann man aus dem Text jedoch nicht herauslesen.
3.2 Rechtsextreme Elemente im Video
Der Clip (www.youtube.com) zeigt eine Ameisengesellschaft, in welcher gemeinsam Fußball geschaut, gegessen und in der Disko gefeiert wird. Doch plötzlich dringt das Böse in Form von angreifenden Käfern in diese heile Welt ein, welche wahllos Ameisen ermorden. Auf diese Attacken hin schließen sich die Ameisen zusammen und setzen unter der Anleitung der Chefameise zum Gegenschlag an, um die Käfer mit vereinten Kräften zu vernichten. Die Ameisen sind letztendlich siegreich. Eine Personifikation findet nicht nur über die mythischen Elemente der inhaltlichen Ebene statt, sondern auch in Hinblick auf die Filmsprache: Die Ameisen werden der Konvention gemäß in Nahaufnahme gezeigt, wenn ihre Emotionen vermittelt werden sollen, und in der Totalen oder Halbtotalen, wenn sie handelnd dargestellt werden. Der Zuschauer befindet sich so auf einer Ebene mit ihnen. Nach dem Angriff der Killerkäfer jedoch wechselt der Standpunkt der Kamera: Sie favorisiert dann hauptsächlich Aufnahmen aus der Vogelperspektive, welche die Organisation der Tiere in militärischen Marschformationen als erhabenen Moment illustrieren. Alltagssituationen mit identifikatorischem Potential werden demnach vom Ausnahmezustand Krieg abgelöst, der den Zuschauer wie den Kriegsgegner mit den kämpfenden Massen beeindrucken will. Die Verwendung der streng geordnet marschierenden Ameisen (2.39-2.44 min) erinnern stark an Leni Riefenstahls Dokumentarfilm zum Reichsparteitag in Nürnberg, Triumph des Willens. Es wird zwar nicht direkt zitiert wie in Stripped, dennoch handelt es sich um eine Imitation, die in manchen Bildern allzu offenkundig wird, so zum Beispiel in dem Moment, in dem die Ameisen zum Angriff auf die Käfer ansetzen (2.45 min). Die Bildkomposition ist symmetrisch gehalten und über die Zentralperspektive dargestellt, was ein hohes Maß an Monumentalität vermittelt. Die in strengen Quadern angeordnete Ameisenarmee läuft in der Ferne auf ein Gebäude zu, das in seiner geometrischen Form stark an das Redepodest des Reichsparteitages erinnert. Rammstein lehnt sich in der Gestaltung des Videos an die expressionistische Ästhetik an, derer sich auch Leni Riefenstahl bediente. Das wird besonders an den Hell-Dunkel-Kontrasten sichtbar: Zu Anfang des Clips befinden sich die Ameisen in einem düsteren Bau, doch zum Kampf treten sie aus ihm heraus in gleißendes Licht, das die Tiere glorifiziert. Weiterhin werden die Ameisenarmeen selbst zu Ornamenten des Filmbildes und laden dieses dadurch ästhetisch auf. Die Ästhetik des Expressionismus steht in engem Zusammenhang mit die des Nationalsozialismus. Die demagogische Funktion dieser Darstellungsform hat beispielsweise Lotte Eisner in Die dämonische Leinwand angeprangert (Eisner, 1955: 37). Seinen Bezug zum Expressionismus unterstreicht der Videoclip außerdem über einen Intertextualität: Am Anfang des Filmes werden die Ameisen auf einem Rammstein-Konzert gezeigt. Die Band ist in schwarz-weiß auf eine Videoleinwand projiziert. Sehr eindeutig erkennt man in ihrem Bühnenoutfit eine Anspielung auf Fritz Langs Metropolis. Der Sänger der Gruppe ist haargenau so geschminkt wie die Hauptfigur Freder und mit einer ähnlichen Kamera gefilmt (1.29 min), so dass ein ähnlicher ästhetischer Effekt erzeugt wird. Eindeutige Assoziationen an das Dritte Reich löst nicht zuletzt auch die Versammlung der Ameisen um eine Führer-Ameise aus, welche von einem Podest aus zu ihnen spricht. Am Ende seiner Rede reckt sie ihre Fühler in die Höhe; die Ameisen, die ihm zu Füßen sitzen, tun es ihm gleich (2.26 min). Dass hier eine Art Hitlergruß imitiert wird, ist mehr als eindeutig.
3.3 Propaganda oder Provokation?
Die Frage ist nun, wie sich diese Zitate nationalsozialistischer Kultur bewerten lassen. Ist der Clip zu Links 2-3-4 propagandistisch, allein weil er auf den bekanntesten deutschen Propagandafilm aller Zeiten anspielt? Oder verfolgt er alternative Ziele? Ein Propagandafilm zeichnet sich erstens dadurch aus, dass er identitätstiftende Werte vermittelt. Diese werden meistens in eine klare Gut-böse-Dichotomie eingeflochten. Das Video bietet eben diese Struktur: In die Idylle der Ameisengesellschaft brechen unrechtmäßigerweise die gemeinen Käfer herein und fallen über die unschuldigen Tiere her. Nur logisch, dass diese sich zu verteidigen suchen. Der Tod der Käfer am Ende scheint dem Zuschauer wie ein Sieg, da ihn die Form der Darstellung für die Ameisen Partei ergreifen lässt. Ein Propagandafilm enthält weiterhin Demonstrationen von Macht und Stärke: Über Bildkomposition, Montage, Kameraperspektive sowie Musik und Licht sollen die Zuschauer beeindruckt und emotional zurechtmoduliert werden. Auch dieses Element ist mit den Militärparaden sowie den Kameraeinstellungen, der Lichtmodulation etc. im Video vorhanden. Trotz dieser Übereinstimmung mit den Merkmalen eines Propagandafilms kann von einer propagandistischen Ausrichtung des Clips aber nicht die Rede sein. Schließlich handelt es sich bei den Protagonisten um Ameisen und nicht etwa um Rammstein-Fans. Die Verwendung von Tieren in bunter Trickfilmoptik deautomatisiert die Wahrnehmung des Zuschauers, lenkt sie ab vom Ziel des Propagandafilms, den Leni Riefenstahl für den Reichsparteitagsfilm folgendermaßen definiert hat:
Die Gestaltungslinie fordert, dass man instinktiv, getragen von dem realen Erlebnis Nürnbergs, den einheitlichen Weg findet, der den Film so gestaltet, dass er den Hörer und Zuschauer von Akt zu Akt, von Eindruck zu Eindruck überwältigender emporreißt. (Riefenstahl, 1935: 28)
Im Falle Rammsteins gestalten sich die Propagandaelemente nur wenig erhebend. Sie werden vielmehr durch die kindliche Form der Darstellung banalisiert und zum popkulturellen Element gemacht. Auch die Explizitheit der Referenzen ist ein Anhaltspunkt dafür, dass Rammstein wohl nicht aktiv das Ziel verfolgen, Jugendliche zum Rechtsextremismus zu erziehen. Der Bezug läuft auf einer sehr bewussten Ebene ab, nicht versteckt wie normalerweise üblich für den rhetorischen Gestus eines Propagandafilms. Dies alles sind Indizien dafür, dass Rammstein mit der Referenz auf Riefenstahl und die Nazi-Kultur nichts weiter als eine Schockwirkung erzeugen will. In einer Gesellschaft ohne Tabus und Schranken bleiben nicht viele Möglichkeiten, um als Musikgruppe jugendkulturelle Opposition zur Schau zu stellen. Mit dem Nationalsozialismus legt Rammstein auf sehr plumpe Weise den Finger in die deutschen Geschichtswunden, schafft damit aber der adoleszenten Lust zur Transgression einen Spielplatz. Diplomatie, Reflexion und Feingefühl passen nicht zum simplen Motto der Gruppe: "Wir wollen Ärger, und wir haben Spaß daran" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.2009, www.faz.net). Diesen Spaß hat die Band jedoch nur solange, als sie als potentielle rechtsextreme Bedrohung glaubwürdig bleibt, weil ihr nur so die Nachkriegsgeneration Ärger macht. Damit ist Rammstein im Grunde in derselben Position wie Leni Riefenstahl: Zeitlebens pochte sie darauf, Triumph des Willens sei ein reiner Dokumentarfilm und spiegle nichts als die Wahrheit der Geschichte von 1934 wider (nach Courtade, 1975: 37), wohl wissend, dass ihr Film an Glaubwürdigkeit verlieren würde, wenn sie ihm offen propagandistische Absichten attestierte. Genauso kann auch Rammstein - wenngleich auf einem anderen ästhetischen Niveau - nicht umhin, den Extremismusverdacht einerseits zu schüren und ihn andererseits in Interviews zu zerstreuen, weil nur so die Illusion einer Gefahr entstehen kann. Insofern trifft die oben zitierte Behauptung zu, es handle sich bei Links 2-3-4 um ein Statement zum Rechtsextremismusvorwurf. Das Lied illustriert die Taktik der Ambivalenz der Band, welche die Basis der Provokation und damit des kommerziellen Erfolgs darstellt. Nur wenn der Zuhörer unsicher bleibt, ob die Gruppe den Nationalsozialismus ironisch oder ernst zitiert, wirken diese Referenzen als Tabubruch. Ambivalenz wird hier zur gesellschaftlichen Authentifizierungsstrategie eines Images, das mit der Illegalität spielt, ohne jedoch jemals die Grenzen des Legalen wahrhaft zu überschreiten. Wie Tobi Müller in der Frankfurter Rundschau kommentiert: "der amtliche Rechtsextreme hat sicher andere Bands zur Hand als Rammstein - härtere, klarere, verbotenere" (Müller, 15.10.2009, www.fr-online.de).
4 Fazit
Walter Benjamin hat in Bezug auf die Leni-Riefenstahl-Filme und die restliche Propaganda des Nationalsozialismus eine Ästhetisierung der Politik proklamiert: Mit rhetorischen und ästhetischen Mitteln sollte die deutsche Bevölkerung auf den Krieg vorbereitet werden. Als Gegenmittel schlug er eine Politisierung des Ästhetischen vor, also die Aufrechterhaltung eines politischen Bewusstseins auch in der Ästhetik (Benjamin, 1963: 56). Rammstein betreibt mit seiner Referenz auf nationalsozialistische Elemente keine Ästhetisierung, das Ziel der Gruppe liegt nicht in der politischen Erziehung oder in der Überhöhung rechtsextremer Werte. Was man ihr vielmehr attestieren kann, ist die Banalisierung des Politischen zu kommerziellen Zwecken: Indem die Band zur Provokation auf unsensible Weise in der deutschen Vergangenheit herumrührt, bleibt sie erfolgreich im Gespräch. Dieser Erfolg wird so lange andauern, als sie entrüstete Gegenreaktionen ernten, die Endeffekt nichts weiter sind als eine Politisierung des Banalen.
Bibliographische Hinweise
Bax, Daniel. Rammsteins neues Album "Mutter". Taz Online, 06.04.2001, www.taz.de
Benjamin, Walter. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt: Suhrkamp, 1963.
Burns, Robert. "German Symbolism in Rock Music. National Signification in the Imagery and Songs of Rammstein", Popular Music 27, 1997, S. 457-472.
Courtade, Francis: Geschichte des Films im Dritten Reich. München: Hanser, 1975.
Eisner, Lotte. Die dämonische Leinwand. Die Blütezeit des deutschen Films. Wiesbaden: Feldt, 1955.
Grassegger, Hans. Phonetik, Phonologie. Idstein: Schulz-Krichen, 2006.
Littlejohn, John. "Rammstein and Ostalgie. Longing for yesteryear", Popular Music and Society 33/1, 2010, S. 35-44.
Müller, Tobi: "Rechtsextreme und Kulturversteher", Frankfurter Rundschau, 15.10.2009, www.fr-online.de
Pages Neil, Christian (Hg.): Riefenstahl Screened. An Anthology of New Criticism. New York: Continuum, 2008.
Picker Dressel, Stéfan Picker. "Das ewige Rechtfertigen macht uns mürbe", Spiegel Online, 02.04.2001, www.spiegel.de
Riefenstahl, Leni. Hinter den Kulissen des Reichsparteitagfilms. München: Zentralverlag der NSDAP, 1935.
Schaaf, Julia: "Wir wollen Ärger. Rammstein im Interview", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.10.2009, www.faz.net
Sontag, Susan. "Fascinating Fascism", in: Under the Sign of Saturn. New York, Farrar, 1978; S. 80-105.
Weinstein, Valerie. "Reading Rammstein, Remembering Riefnsthal. Fascist Aesthetics and German Popular Culture", in: Pages Neil, Christian (Hg.): Riefenstahl Screened. An Anthology of New Criticism. New York: Continuum, 2008.
Note
(1) Wie sehr die Band hierzulande zur Alltagskultur der Jugendlichen gehört, zeigt die französische Internetseite über die Gruppe (www.rammsteinworld.com), auf der sich französische Fans über Konzerttermine, die nächste CD oder DVD informieren oder sich mit anderen Anhängern austauschen können. Das Forum der Seite registriert mit mehr als 100 000 Einträgen eine mehr als rege Aktivität.
Pour citer cette ressource :
Teresa Hiergeist, Der Nationalsozialismus als Publikumsmagnet? Rammsteins fragwürdiger Umgang mit der rechtsextremen Ästhetik, La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), février 2011. Consulté le 19/11/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/arts/musique/der-nationalsozialismus-als-publikumsmagnet-rammsteins-fragwyrdiger-umgang-mit-der-rechtsextremen-asthetik