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Interview mit Husch Josten: "Hier sind Drachen"

Par Laurie Durand, Husch Josten : Auteure - Journaliste
Publié par Cécilia Fernandez le 22/06/2018

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En mai 2018, Husch Josten était l'invitée des Assises Internationales du Roman organisées par la Villa Gillet à Lyon. A cette occasion, elle a accepté de répondre aux questions de Laurie Durand au sujet de son dernier roman, ((Hier sind Drachen)) (2017 im Berlin-Verlag), publié en français sous le titre ((Wittgenstein à l'aéroport)) (2018 chez Grasset).

Portrait en noir et blanc de l'auteure Husch Josten

 

Husch Josten, geboren 1969, studierte Geschichte und Staatsrecht in Köln und Paris. Sie volontierte und arbeitete als Journalistin in beiden Städten, bis sie Mitte der 2000er-Jahre nach London zog, wo sie als Autorin für Tageszeitungen und Magazine tätig war. 2011 debütierte sie mit dem Roman In Sachen Joseph, der für den Aspekte-Literaturpreis nominiert wurde. 2012 legte sie den vielgelobten Nachfolger Das Glück von Frau Pfeiffer vor und 2013 den Geschichtenband Fragen Sie nach Fritz. 2014 erschien Der tadellose Herr Taft sowie zuletzt die Romane Hier sind Drachen (2017) und Land sehen (August 2018) im Berlin Verlag. Husch Josten lebt heute wieder in Köln. (Quelle: www.piper.de)

 

 

L'interview de Husch Josten a été réalisée par Laurie Durand, étudiante en Master de l'ENS de Lyon, et s'est déroulée par écrit.

Laurie Durand: In Ihrem Buch Hier sind Drachen erzählen Sie die Geschichte einer Journalistin, Caren, die einen Tag nach den Anschlägen am 13. November auf dem Weg nach Paris ist. Wie sind Sie auf die Idee für diesen Roman gekommen? Kam Ihnen der Einfall kurz nach den Attentaten oder sind Sie später darauf gekommen?

Husch Josten: Ich wollte lange schon über die Angst schreiben, die der Terror in uns allen hervorruft. Über die Sorgen, in ein Flugzeug zu steigen, ein Großevent zu besuchen, in dieses oder jenes Land zu reisen… Angst und Zufall, das waren meine Themen. Meine Geschichte war fast fertig, als sich am 13. November 2015 die grausamen Anschläge in Paris ereigneten. Ich bin am nächsten Tag tief bestürzt nach Paris gefahren, wollte die Stadt und die Menschen fühlen, einfach dort sein, und dann habe ich noch vor Ort begonnen, das Buch umzuschreiben. Ich wollte und musste dieses Massaker benennen.

Laurie Durand: In dem Buch erstellen Sie ein Bild der Gesellschaft und der Stadt Paris am Tag nach den Anschlägen: Wie haben Sie sich darüber informiert? Haben Sie selbst ein paar Tage in Paris zu diesem Zeitpunkt verbracht? Haben Sie viele Aussagen von in Paris wohnenden Menschen gelesen?

Husch Josten: Ich habe viel mit den Menschen in Paris gesprochen, mit Freunden wie fremden Passanten, bin in Cafés gegangen, habe mit Polizisten und Wachleuten etwa an Supermarkt-Türen gesprochen. Ich wollte wissen, was sie denken, wie sie sich fühlen.

Laurie Durand: Wo steht für Sie die Grenze zwischen fiktivem Roman und journalistischem Bericht?

Husch Josten: Der Journalismus hat sich sorgfältigst um Objektivität und Wahrheit zu bemühen, hat so sachlich wie möglich zu bleiben, hat die Pflicht, ein Geschehnis von allen Seiten zu beleuchten. Der fiktive Roman darf, was er möchte - erfinden, hinzufügen, abziehen; unsachlich, emotional, subjektiv, einseitig sein. Ich mag es sehr, die Genres durchaus verwirrend zu verbinden. Die Fakten in meiner Fiktion müssen stimmen. Der Rest nicht.

Laurie Durand: Mit der Figur von Caren stellen Sie eine tiefe Überlegung über die journalistische Arbeit an. Haben Sie selbst, als Sie Journalistin waren, diese Spannung zwischen der sachlichen Reportage und den persönlichen Gefühlen erlebt?

Husch Josten: Jeder Journalist erlebt das. Man kann immer nur so objektiv wie möglich sein - nie objektiver.

Laurie Durand: Hat die Tatsache, dass Sie selbst schon in Paris gelebt haben, Sie für die schrecklichen Ausmaße der Pariser Anschläge empfänglicher gemacht? Spielt das eine Rolle bei der Entstehung dieses Romans?

Husch Josten: Ich bin dieser Stadt und ihren Bewohnern sehr verbunden, habe dort eine französische Familie, bin viel und häufig in Paris; es ist meine zweite Heimat. Es hat mich ungeheuer verletzt, diese Stadt getroffen zu sehen - und es hat mich unglaublich wütend gemacht.

Laurie Durand: Wie groß ist übrigens die autobiographische Komponente in dem Roman? Sie haben selbst in Paris gewohnt, Sie haben auch als Journalistin in Köln, Paris und London gearbeitet… Ist Caren eine Art Doppelgängerin?

Husch Josten: Gewiss nicht, aber es ist die alte, spannende und unauflösliche Frage: Wie viel Autor steckt im Text? Ich konnte mich beruflich gut in Caren hineindenken, obwohl ich nie politische Korrespondentin gewesen bin, mich nur einmal - in London - zufällig in der Nähe eines Bombenanschlags befunden und nie unter herabkommenden Zimmerdecken gelitten habe… Ich bin nicht Caren. Aber sie interessiert mich.

Laurie Durand: Der Begriff des Schuldgefühls nimmt einen zentralen Platz in Ihrem Roman ein. Empfinden Sie selbst angesichts der Anschläge eine Art Schuld, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit gewesen zu sein?

Husch Josten: Nein, das tue ich nicht. Aber ich kenne einige Menschen, deren Geschichte tragisch mit der der Opfer von Terroranschlägen verwoben ist. Dass diese Menschen Schuld empfinden, etwa die Frage nicht loswerden „was wäre gewesen, wenn ich an dem Tag nicht krank und zu Hause gewesen wäre?“, kann ich sehr gut nachempfinden. Worum geht es da? Um Schicksal? Fügung? Bestimmung? Zufall? Warum er oder sie und nicht ich? Diese Frage kann man nicht einfach abstreifen.

Laurie Durand: Das Buch ist auch zum großen Teil von Philosophie geprägt, in einem solchen Maße, dass Sie eine Nebenfigur Wittgenstein genannt haben. Glauben Sie persönlich, dass die Philosophie in einem solchen Moment heilsam sein kann? Und wie steht es Ihrer Meinung nach mit der Literatur?

Husch Josten: Unbedingt. Philosophie hilft uns, die vermeintlichen Sicherheiten unseres Lebens immer wieder neu zu überdenken und neu zu justieren. Literatur hilft, große und kleine Themen unseres Daseins immer neu in Sprache zu bringen.

Laurie Durand: Sie sind nicht die Einzige, die das Trauma der Anschläge zum Gegenstand eines Werks machte. Viele Bücher oder Filme haben das Thema aufgegriffen. Ist Hier sind Drachen eine “noch nicht erzählte Geschichte”, um den im Buch benutzten Ausdruck zu verwenden?

Husch Josten: Es geht in meinem Roman nicht um die Antwort, sondern um die Frage: Gibt es eine noch nicht erzählte Geschichte? Weder Carens noch meine Antwort ist relevant. Nur die des Lesers ist es: Gibt es in meinem Leben eine noch nicht erzählte Geschichte?

Pour citer cette ressource :

Laurie Durand, Husch Josten, "Interview mit Husch Josten: "Hier sind Drachen"", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), juin 2018. Consulté le 24/04/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/litterature/litterature-contemporaine/entretiens/interview-mit-husch-josten-hier-sind-drachen