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Alfred Brendel: "Spiegelbild und schwarzer Spuk"

Par Marion Siefert
Publié par MDURAN02 le 13/05/2016

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Marion Siefert
élève ENS Lyon


Alfred Brendel: Spiegelbild und schwarzer Spuk, Carl Hanser Verlag, München, 2003, 296 Seiten. ISBN 978-3-446-20349-5

Angesichts des aufwühlend unterhaltsamen Eindruckes, den man bei der Betrachtung dieses außergewöhnlichen, Hornbrillen tragenden Virtuosen gewinnt, ist es keine Überraschung, dass es auch seinen Gedichten nicht an Originalität fehlt. Spiegelbild und schwarzer Spuk ist die zweite Gedichtsammlung des weltberühmten Konzertpianisten, der schon Gedichte und mehrere Aufsätze über Musik geschrieben hat.

Spiegelbild und schwarzer Spuk ist in fünfzehn Sektionen aufgeteilt, fängt im Paradies an und endet im Nichts ("In den Spiegeln / verschwinden sie [die Engel] zögernd / wie schwarzer Spuk / Zurückgespült / verjüngt sich die Welt / und macht uns am Ende / wieder zunichte"). Brendel geht von der Leichtigkeit eines Mozarts über die dunklen und manchmal tragischen Töne eines Beethovens bis zum Ernst und zur Todesstimmung eines Schuberts. Die Titel der fünfzehn Sektionen verweisen auf die Fantasie und den tragischen Leichtsinn dieser rhythmischen Gedichte. Brendels Welt ist von Monstern, Dämonen, Göttern und Götzen bevölkert (Engel und Teufel, Götter und Monster, Buddhas und Weihnachtsmänner). Die Grenze zwischen Menschen und Tieren, Menschen und Monstern lässt sich schwer ziehen: Menschen nehmen tierische Eigenheiten an. Im Laufe der Sektionen aber werden die Gedichte abstrakter und werfen ästhetische wie philosophische Fragen auf: Wie lässt sich Musik gegenüber Lärm und Stille interpretieren? Wie kann man Sinn in einer sinnlosen Welt schaffen?

In diesen heterogenen und phantasievollen Gedichten spielt Brendel mit Sinn und Unsinn zweihändig. Die Dichtkunst von Brendel entsteht aus diesem Spiel: Wie kann der Unsinn sinnvoll sein? Im Gedicht Poetik erklärt Brendel "Sinnig wollen wir sein / gleichwohl unsinnig". Wie die Kunst des Interpreten besteht die Kunst des Dichters darin, eine Ordnung zu schaffen, in der von Zeit zu Zeit eine graziöse Anarchie anklingt.

Der Titel kündigt schon diese Doppeldeutigkeit, diesen Ablauf von Schwarz und Weiß an, der das Klavierspiel metaphorisch ausdrückt. Spiegelbild und schwarzer Spuk klingt echohaft an drei Sinnebenen der Gedichtsammlung an: an diese surrealistische Welt von Engel und Teufel, guten Geistern und Fantomen, an diese märchenhafte Welt, in der ein Doppelgänger einem im Spiegel zulächelt. Die Figur des Emils erscheint als ein beunruhigender Doppelgänger, der dem Dichter Inspiration einbläst aber ihm wie ein Vampir das Blut aussaugt. Die Buddhas verkehren mit den Weihnachtsmännern; Brahms, Beethoven, Mozart tauchen unter dieser bunten und tierischen Bevölkerung auf. Dieses bunte und phantasievolle U drückt die Umkehrung aller Werte in einer Welt aus, in der es keine Regel gibt.
Spiegelbild steht auch für den Doppelgänger im Spiegel (die Figur des Narziss' in Selbstheirat, das Motiv der Maske in Maske und Musik). Diese zweiteilige Struktur (Spiegelbild einerseits, schwarzer Spuk andererseits), die zwei Pole ausdrückt, erinnert an den Ablauf von schwarzen und weißen Tasten beim Klavierspiel. Manche Gedichte sind ästhetische Betrachtungen über Musik und stellen sehr interessante Fragen über die Beziehung von Lärm, Musik und Stille. Im Gedicht Lärm will Brendel das Geräusch und den Lärm positiv aufwerten: "Wer / wie ich / die Erfahrung gemacht hat / dass Lärm die Lebensgeister hebt / der wird dem Institut für Geräuschvermittlung / seine Dank nicht versagen". Die Grenze zwischen Musik und Stille verwischt, da Komponieren heißt, sich von den Geräuschen der Welt abzuschirmen, um auf seine innere Stimme zu hören. Im Gedicht Komponist führt die Kompositionskunst zur Stille und zum Tod: "Bis an den Tag / an dem die Unhörbarkeit der Musik / und der Verlust des Gehörs / ineinanderstürzen würden / in endgültige Stille". Paradoxerweise wird komponierte Musik mit Tod, endgültiger Stille assoziiert, während der Lärm die Toten aufweckt, und sich als Lebensdrang erweist.
Spiegelbild und schwarzer Spuk ist ein geheimnisvoller Titel, der von einer Ästhetik der Überraschung zeugt, die aus diesem sprunghaften Ablauf von Gedichten besteht. Die Gedichte münden in eine Pointe. Die Welt dieses "Klavierpoeten" ist voller witziger Bilder: Weihnachtslieder erscheinen als Qualen und allerletzte Strafe  ("Don Giovanni/ [büßt] seine Sünden unter lauter Weihnachtsengeln im Himmel [ab]"), die Figur des Husters im Konzertsaals ist häufiges Hassobjekt, die Menschen haben tierische Gesichter. Die Gedichte Brendels flechten mehrere Genres ein: die Satire, das Liebes- und das philosophische Gedicht, die Anzeige, den Dialog, das Märchen, den Aphorismus... Die Satire an der heutigen Gesellschaft (Massenkonsum, Kriege, Kleinbürgerlichkeit) taucht ebenso wie die Kritik an der Religion immer wieder auf.
Spiegelbild und schwarzer Spuk ist eine kleine "Witzmusik", die märchenhaft phantasievolle Visionen ins Leben ruft, sarkastisch höhnt, zur Tragik emporsteigt, und die die Leser oft mit einer Pointe verblüfft. Sie singt schöne Liebesgedichte und stößt doch auch Menschenhass aus, bringt Musik und Stille einander nahe. Die "schönen Widersprüche" von Brendel ergötzen den Leser, der sprunghaft Ordnung im Chaos schafft.

 

Pour citer cette ressource :

Marion Siefert, "Alfred Brendel: "Spiegelbild und schwarzer Spuk"", La Clé des Langues [en ligne], Lyon, ENS de LYON/DGESCO (ISSN 2107-7029), mai 2016. Consulté le 25/04/2024. URL: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/bibliotheque/alfred-brendel-spiegelbild-und-schwarzer-spuk-